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VII.

Oh, was haben Sie für Hände ... Hände wie Aprikosenblüten!« sagte der Dichter Liers. Er stand mit gesenktem Haupte vor der Josefa.

Sie sah ihn unmutig an und ließ im Nu die Arme hinter dem Rücken verschwinden.

»Tun Sie doch nicht so entsetzlich spröde!« Seine großen, braunen Augen weiteten sich bei diesen Worten.

»Was soll denn das heißen?« fragte sie mißtrauisch.

»Das soll heißen«, erwiderte er trotzig, »daß Ihnen der Ton der heiligen Cäcilia nicht steht!«

Sie lachte herbe auf. »Meinen Sie? Am Ende bin ich heiliger, als Sie denken.«

»Ach nein, sagen Sie das nicht. Ich wollte Sie gerade um etwas bitten.«

»Tun Sie's lieber nicht!«

»Doch – doch – ich muß! Nämlich«, fuhr er mit sanfter weicher Stimme fort und stockte einen Moment, »Sie sollen ... ein einziges Mal sollen Sie mir Modell stehen –«

»Sind Sie verrückt?«

»Im Gegenteil, ich war nie mehr bei Sinnen.«

»Adieu!«

»Fräulein! ... Fräulein!«

»Wollen Sie mit dem Unsinn aufhören?«

»Ich will!«

Nach einer Pause: »Nur ein paar Fragen mögen Sie mir gestatten.«

»Ich habe Ihnen nichts zu gestatten.«

»Gut. Ich nehme das als Erlaubnis. Erstens: warum tun Sie so, als ob wir beide siebzehnjährig wären? Zweitens: haben Sie denn keinen Tropfen Künstlerbluts in sich?«

»Nein!«

»Nun gut! Aber ich! Wie können Sie es mir übel nehmen – ich spreche jetzt rein akademisch, hören Sie, rein theoretisch – daß ich Sie sehen – nur sehen will. – Was müssen Sie für einen Körper haben – silbern wie Kirschblüten ... weich wie Pfirsiche ...«

»So halten Sie Ihr Versprechen?«

Sie lachte schrill und boshaft und wandte ihm von neuem den Rücken.

»Nein ... nein!«

In seinem Ton lag etwas, das sie zum Bleiben zwang.

»Ich will nur eines wissen«, stieß er bebend hervor und atmete mit Anstrengung, »vor jedem talentlosen Anstreicher ziehen Sie sich aus ... enthüllen ihm Ihre Schönheit ... jeder Kitschmaler – Sie sollen mich zu Ende reden lassen«, unterbrach er sich heftig –, »darf sich an Ihnen vergehen ... während ich ... ich ... Sie sündigen ja an mir – hören Sie – Sie versündigen sich doppelt an mir. In dem Menschen und an dem Künstler!«

»Sind Sie endlich fertig?« fragte sie ganz blaß, und ohne seine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort, indem sie ihn durchdringend anblickte: »Ob die Leute Talent haben, ist mir ganz einerlei, wenigstens sehen sie mich nicht mit so entsetzlichen Blicken an wie ein gewisser Herr, und wenn sie's tun – nun, so habe ich eine gewisse Fixigkeit im Anziehen. Man lernt das! Meine Toilette dauert nicht lange! Übrigens, wer weiß denn, daß Sie Talent haben? Kein Mensch!«

»Ich«, entgegnete er tiefernst – »ich weiß es! Das ist das Wichtigste – – das genügt.«

»Dichten Sie denn überhaupt? Sie schlafen ja nur!«

»Gerade das beweist mein Talent«, erwiderte er leise. »Ich habe zu großen Respekt vor mir. Ich besudele nicht weißes Papier! Ich stelle eben an mich die höchsten Ansprüche. Ich bin doch kein Handwerker – kein Zeitungsschreiber!«

»Das sind faule Fische. Dafür gebe ich keine drei Pfifferlinge.«

»Ziehen Sie sich nackend vor mir aus – und ich ...«

»Werden Sie wieder unverschämt?«

»Sie stellen die Dinge auf den Kopf.«

Er lächelte traurig.

»Es wird die Zeit kommen«, rief er feierlich, »wo Sie um meine Liebe betteln werden. Ich weiß es, die Zeit kommt. Aber vielleicht werden Sie dann vergeblich betteln. Vielleicht ist dann meine mißhandelte Liebe – Sie haben meine Liebe mißhandelt – abgestorben. Vielleicht ...«

Die Josefa maß ihn mit einem höhnischen Blicke.

Sie weidete sich an seiner hoffnungslosen Liebe. Sie, die so gequält wurde, empfand eine grausame Genugtuung, auch einen anderen leiden zu sehen. Im übrigen kümmerte sie Liers Zustand nur wenig. Hinter ihrer Stirn hatte all die Wochen hindurch nur ein Gedanke beständig gearbeitet und von ihr Besitz genommen.

»Das sind ja Phrasen«, sagte sie unvermittelt. »Sie reden sich das ein!« Und indem sie in ein niederträchtiges Gelächter ausbrach, setzte sie mit einer verkniffenen Miene hinzu: »Das sind Zwangsvorstellungen, mein Lieber!«

Er blickte überrascht empor.

»Woher haben Sie denn den Ausdruck?«

»Das tut ja nichts zur Sache!«

»Wie können Sie denn behaupten, daß ich Sie belüge? Was für Beweise haben Sie dafür?« Und bitter fügte er hinzu: »Wie schlecht verstehen Sie sich auf andere!«

Sie griff eines seiner Worte auf: »Beweise ...«

Sie hob die Achseln empor und betrachtete ihn halb neugierig, halb mißtrauisch von der Seite.

»Ich habe eben gar keine Beweise«, sagte sie dann geringschätzig. »Sie müssen doch nicht glauben, daß Ihre Worte auf mich Eindruck machen! Für so einfältig müssen Sie mich doch nicht halten! An der nächsten Ecke schwatzen Sie dasselbe Zeug einer anderen vor. Unsereins wird mit der Zeit helle!«

»Das ist einfach Verleumdung!«

Sie warf die Lippen auf.

»Denken Sie, ich finde es hübsch, daß Sie so gegen Ihre Frau handeln? ... Glauben Sie, ich werde Ihre Frau betrügen? ... Es genügt, wenn Sie es tun!«

Er wurde blaß vor Zorn. »Kommen Sie mir doch nicht mit so kindischen Dingen!«

»Kindisch?! Ich finde es reizend, daß Sie das kindisch nennen!«

Er blieb stehen. Sein müdes Gesicht wurde auf einmal straff. Er stampfte energisch mit dem Fuße auf.

»Ich will nicht, daß Sie sich über mich lustig machen! Mit meiner Frau hat die Geschichte nicht das mindeste zu schaffen. Es ist ein Unglück, daß ich Sie liebe; glauben Sie, ich weiß das nicht? Es wäre noch größer, wenn ich mich dagegen wehren wollte. Was Ihre Moral dabei soll, – verstehe ich nicht! ... Ach was, das wissen Sie so gut wie ich ... Man kann doch nicht an sich selbst zum Verbrecher werden!«

Sie horchte auf. »Diese Dinge sind sehr moralisch! Das Gegenteil laß ich mir nicht weismachen! Übrigens, was meinten Sie denn mit Verbrecher an sich selbst werden?« Ihr Ton klang gespannt.

»Damit meine ich«, antwortete er langsam, »daß man um eines anderen willen nicht seine eigene Existenz aufgeben kann und darf!«

»Hm«, machte sie. »Und Sie lieben mich also wirklich? Das ist kein Scherz?«

Er sah sie nur an und erwiderte nichts.

»Ja, was würden Sie denn für mich tun? Man tut doch etwas für den, den man liebt.«

»Alles!«

»Das ist viel«, sagte sie halb spöttisch, halb ernsthaft. »Würden Sie beispielsweise mit mir sterben?«

»Nein! Ich will mit Ihnen leben!«

»Sind Sie von Hause aus ängstlich?«

»Absolut nicht!«

Eine lange Weile schwieg sie jetzt.

»Wollen Sie sich denn von Ihrer Frau trennen?«

Er stutzte.

»Wozu fragen Sie mich das? Wir sind ja noch gar nicht so weit!«

»Ah, das ist prachtvoll! Sie weichen schon jetzt aus! Ich finde das neckisch! Bilden Sie sich denn ein, daß ich noch einmal werde mit mir spielen lassen?«

»Ich werde nicht mit Ihnen spielen! Ich bin imstande, alles für Sie zu opfern!«

»Und wenn ich Sie beim Wort nähme?«

»Tun Sie's!«

»Wenn ich von Ihnen verlangte ...«

Sie sprach nicht weiter. Sie kämpfte ein paar Minuten mit sich selbst. Immer wieder sah sie ihn prüfend an, ob sie ihm trauen könnte.

Sie waren, ohne es zu wissen, an der Königin-Augusta-Straße angelangt, deren kahle, mit Eiskrusten bedeckte Bäume ebenso wie die Lichter der Laternen im Kanal sich spiegelten. Sie blieben beide stehen und sahen schweigend in das Wasser.

Plötzlich nahm sie seine Hand.

»Würden Sie um meinetwillen ... wären Sie imstande, wenn ich Ihnen alles verspräche, etwas zu tun ... etwas, das ...«

»Ach, das ist ja Unsinn! Das ist ja Schwindel! ... hinter dem Gerede steckt noch nicht so viel!«

Sie knipste Daumen und Zeigefinger zusammen. Dabei sah sie ihn fieberhaft an.

»So sprechen Sie doch«, drängte er unruhig. Ihr seltsames flackerndes Wesen hatte sich ihm mitgeteilt. »Sprechen Sie getrost«, wiederholte er.

»Gut!«

Ihr Gesicht bekam einen ehernen, entschlossenen Ausdruck. Sie zog ihn dicht an sich heran.

»Die Sache ist die«, sagte sie heiser, »ich kann nicht existieren, so lange der Mensch atmet ... ich bin es nicht imstande, hören Sie! ... Ich weiß das seit Wochen ... mit einem Worte, dieser Mensch muß fort!«

Er war entsetzt zurückgewichen. Mit einem Male begriff er sie.

»Ich soll ...« stammelte er bleich und verstört.

»Ja! ...«

Etwas Furchtbares ging in ihm vor. Er hielt sich die Hände vor die Augen. Dann ließ er die Arme schlaff sinken und blickte mit hoffnungsloser, verträumter Miene zu ihr auf.

»Nein, nein, das kann ich nicht«, brachte er ganz leise und gebrochen hervor. Und etwas lauter fügte er hinzu: »Um Gottes willen, Josefa, machen Sie sich nicht unglücklich!«

Sie brach in ein irres Gelächter aus.

Es war so unartikuliert und währte so lange, daß ihm unheimlich zumute wurde. Er packte sie am Arme, als wollte er sie auf diese Weise zur Besinnung bringen.

Endlich faßte sie sich.

»Sie sind also wirklich darauf reingefallen!« Ihre Augen brannten wie die eines wilden Tieres.

Sie kniff sie einen Augenblick so eigentümlich zu, daß er nur einen schmalen Streifen der Hornhaut und ein Pünktchen in ihren Pupillen zu sehen vermochte.

»Ich finde Sie furchtbar komisch«, sagte sie dann und reichte ihm zum Abschied ihre Hand, die kalt und feucht war.


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