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VII.

Neben Thomas Truck schritt ein lächerlich dünner Herr mit einem verschossenen Tiroler Hütchen und einem zerschlissenen, grauen Mantel, der ins Grünliche schillerte. Er hatte todestraurige und todesklare Augen.

In einer menschenleeren Allee des Tiergartens machte der Mann halt, und ein sanft gebieterischer Blick brachte auch Thomas zum Stehen.

»Sie sind auf falschem Wege«, beginnt er nach einer Pause des Schweigens. »Sie sind ein Suchender, der absichtlich in die Irre geht. Sie sind doppelt unredlich, denn Sie betrügen sich selbst. Man beginnt mit der Wahrheit am eigenen Fleisch.«

»Ich verstehe Sie nicht«, antwortete Thomas finster.

»Doch – Sie verstehen mich!«

Aber Thomas schüttelte energisch den Kopf.

Da zuckte es um die dünnen Lippen des Fremden. Er fuhr mit der Hand über seine große Stirn und über sein ärmliches rotes Haar.

»So werde ich es Ihnen sagen!«

Thomas nickte lautlos und wagte nicht, seinen Augen zu begegnen.

»Warum werfen Sie begehrliche Blicke auf eine fremde Frau?«

»Tat ich das?« fragte er erschreckt und leise.

»Sie taten es. Sie vergriffen sich mit Ihren Blicken an dem Eigentum eines anderen. Sie gingen in dies Haus voll Stolz und Arglist. Sie zogen in selbstgefälliger Eitelkeit den Rock Ihrer Bedürftigkeit an. Sie wollten auffallen und hervorstechen – aus Eitelkeit.«

»Nein, das wollte ich nicht!«

»Sie sahen diese Frau an«, fuhr der Fremde unbeirrt fort, »und fühlten sich in Ihrem Innern gekränkt, wenn sie zeitweise Sie mied. Sie sprachen mit dem Mann dieser Frau, in dessen Hause Sie Gast waren. Sie hörten gleisnerisch auf seine Worte, und im geheimen dachten Sie daran, sannen Sie auf Mittel und Wege, ihm sein Wertvollstes zu stehlen. Sie leben also nicht im Einklang mit Ihrem Empfinden; Sie sind unrein. Die Reinen streben nicht nach fremdem Besitz.«

Der Fremde schwieg.

Thomas war zunächst niedergerungen und fassungslos. Erst die letzten Worte rüttelten ihn auf.

»Herr, was ist Besitz?«

»Was mir von Rechts wegen gehört«, antwortete der armselige Herr.

»Nichts besitzen wir von Rechts wegen«, rief Thomas laut mit überzeugter Stimme. »Diejenigen, die das Land an sich gerissen haben und es ausschlachten mit dem Schweiße und der Arbeit der Mühseligen – besitzen die es zu Recht? Oder hat der einen Anspruch darauf, der mit seinem sauren Fleiße sät und erntet?« Der Herr schwieg, und Thomas fuhr fort: »Besitzt der Vater seinen Sohn, den er in die Welt gesetzt hat, wenn er an seinem Leib und seiner Seele keinen Anteil nimmt? Oder dessen Leib er nur kennt, nicht aber die Seele? Besitzt ein Mann ein Weib und ein Weib einen Mann, weil sie in einer Stunde ihres Lebens auf ein weißes Papier ihren Namen gesetzt und einen Eheschein ausgefertigt haben? Besitzen sie sich nicht vielmehr nur solange, als sie ihre Arme um sich schlingen und eines zum andern sagt: ich besitze dich, weil du mich liebst, weil du in mir lebst, solange du mich liebst?« Thomas geriet in tiefe Erregung. »Ich frage Sie: Wird Besitz durch Zwang und Übermacht – wird ein heiliges Recht auf Besitz durch solch unnatürliche Mittel errungen? Sie antworten mir nicht. Ich sage Besitz ist etwas, was nun und nimmer von Dauer ist, was von Stunde zu Stunde erkämpft sein will. Mein, dein und sein«, rief er mit zorniger Stimme, »sind Begriffe nicht für die Ewigkeit, nicht für die Zeitlichkeit, nicht für die Stunde. Das Land, das ich zu bebauen aufhöre, versagt mir die Frucht; nur meine Arbeit gibt mir jeweiligen Besitz. Und in der Liebe nützt mir nicht einmal meine Arbeit und nicht meine Menschlichkeit. Man gibt sich oder versagt sich. Man gibt sich, weil man sich geben muß, und versagt sich aus dem nämlichen Grunde. Und handelt man anders, so handelt man sündig.«

Der Fremde hatte schweigend zugehört, dann entgegnete er ruhig; »Sie sind ein Suchender in Verirrung. Besitz, wie Sie ihn auffassen, ist etwas Niedriges und Minderwertiges. Sie sind ein Suchender ohne Gerechtigkeit und Sittlichkeit. Sie stützen sich vielleicht auf Recht und Sitte, die wandelbar sind«, erklärte er gleichsam das Vorhergesagte, »aber Sie vergessen, daß es Gerechtigkeit und Sittlichkeit gibt, die ohne Wandel, die ewig sind. Wer sich selbst besitzt, dessen Streben nach vergänglichen Werten hört auf, denn er hat in sich den Maßstab der Ewigkeit. Vergessen Sie das nicht«, setzte er in gedämpftem Tone hinzu, »und verlassen Sie die Irre, denn noch einmal: Sie sind ein Suchender, der irrt.«

Thomas wollte erwidern, aber der Fremde schloß ihm mit einer Handbewegung den Mund. Er suchte die Lippen zu öffnen, aber der Fremde war verschwunden. Thomas schluchzte mit trockener Kehle in sich hinein. Er wollte dem Fremden nacheilen, aber eine dunkle Mauer türmte sich vor ihm auf und verdunkelte alles um ihn.

In diesem Augenblick erwachte Thomas Truck. – – –


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