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II.

»Dieses Fräulein«, sagte Regine, »hatte etwas, das ich nie vergessen werde. Wie seltsam, daß ich euch traf!« Sie griff nach den mattblauen Glacés, die sie langsam über ihre schlanken Finger zog.

»Und wie sie spielt!« entgegnete er statt jeder Antwort. »Es ist kein Spiel mehr, es ist etwas ganz, ganz anderes.«

Sie blickte ihn forschend an. »Wenn ich du wäre, ich würde in sie verliebt sein. Ich könnte mich nicht von ihr losreißen. Sie hat etwas Lockendes, das man ergründen möchte. Aber ich bin froh, daß du du und nicht ich bist!« Und dabei lächelte sie. »Denn, nicht wahr, niemanden hast du lieb außer mir?«

»Niemanden liebe ich so, wie ich dich liebe! Für sie empfinde ich ganz etwas anderes. Sie ist in mir wie meine Kindheit.«

»Denke dir, ich hatte Angst; ich hatte Angst, sie könnte dich mir stehlen, und als ihr an jenem Sonntagabend nicht kamt, da haßte ich sie wirklich. Ich haßte sie ... ich glaubte, sie hätte sich an mir vergangen – denn etwas hat sie, wovor ich mich fürchte.«

Er schüttelte den Kopf. »Du kennst sie nicht. Hättest du sie spielen hören, dann erst würdest du sie kennen.«

»0 nein! Ich kenne sie auch so. Und an ihre Reinheit –« sie machte eine kleine Pause, dann wiederholte sie mit einer merkwürdigen Betonung: »an ihre Reinheit glaube ich nicht. Sie hat etwas Teuflisches ... mit einem Worte, ich habe Angst vor ihr. Ich glaube, sie hat ganz spitze Nägel, und könnte einem die Augen auskratzen.«

Er sah befremdet empor. »Sie weint in sich hinein und kann niemandem etwas zuleide tun. Und wenn sie spitze Nägel hätte, sie würde sich damit selbst wund und blutig kratzen. Zweimal habe ich sie spielen hören, und jedesmal war es anders, ganz anders. Man könnte beinahe sagen«, fügte er hinzu, und vermied es, Regine anzusehen, »daß sie während des Geigens nackt und ohne Hülle vor einem steht. Das, glaube ich, ist es, was einen zwingt. Aber dahinter steckt noch etwas, das ich nicht zu enträtseln vermag.«

»Du«, machst sie und beugte sich dicht zu ihm, »du sprichst von ihr wie von einer Geliebten!«

Ein flüchtiges Rot überflog ihn. »Ich spreche von ihr wie von einer Schwester, die für mich leidet. Sie leidet, hörst du?«

»Ich höre.«

Und nun waren sie beide ganz still. Es wuchsen in ihnen fremde Gedanken, und in ihr tauchte etwas Feindseliges gegen ihn auf. Aber durch alles Fremde und Feindselige hindurch fühlten sie sich nahe.

»Diese Bettina«, begann sie endlich, »wird eines Tages kommen und dich mir entreißen.«

Er sah sie so ernst, so liebend an, daß sie verstummte.

Erst nach einer geraumen Spanne Zeit meinte sie kleinlaut: »Ich weiß, daß man den Polen nicht trauen darf, sie sind leidenschaftlich und hinterhältig, sie kennen in ihren Gefühlen keine Rücksicht.«

»Und wir?« fragte er. »Wie sind wir?«

Sie wurde um einen Schatten blasser und schlang plötzlich ihre Arme um ihn. »Wir«, flüsterte sie, »wir erfüllen unser Recht ... unser gegenseitiges Recht.«

Er hörte erstaunt auf ihre Worte, die ernst und groß klangen. Wie merkwürdig war sie! Er betrachtete sie mit unverhohlener Neugier. Ihre klare, kalte Stirn, die feinen Brauen, die leuchtenden Augen, die bebenden Nasenflügel und den leise geöffneten Mund, der in sinnlichem Begehren sich zu ihm neigte, ihren schlanken Oberkörper, der sich verlangend zu ihm beugte ... Er fühlte ihre weichen Formen trotz des Mieders, das sie einschnürte. Was war ihr Haß gegen die Bettina anderes, als ihre Liebe für ihn?

»Du sollst nicht so grübeln ... Ich sehe, was in dir vorgeht. Ich sehe alles, alles ... nichts kannst du mir verschweigen.«

»Ich kann und will es nicht.« Und ganz unvermittelt nahm er ihr Handgelenk und drückte es ein wenig.

»Du ... was tust du?«

Er ließ die Hand sofort los, und beide standen auf. –

Sie blickte zu ihm empor mit einem Gesicht, das etwas Lauerndes hatte, und furchtsam abwehrend brachte sie hervor: »Sage es jetzt nicht; bitte, sage es jetzt nicht ... und sieh mich nicht so hart und streng an ... ich ertrage das nicht, du mußt mit mir lieb und gut sein!«

Sie hatte jetzt in der Haltung etwas Scheues und Gedrücktes. Eine krankhafte Angst lag in ihren Zügen.

Ich sehe, wie sie leidet, dachte er bei sich, und kann ihr nicht helfen. Und laut sagte er: »Ich kann so nicht existieren. Du oder ich, einer von uns muß mit ihm sprechen. Das war es, was ich dir an jenem Nachmittage ...«

»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach sie ihn hastig, und beinahe kläglich rief sie: »Das muß doch nicht gerade jetzt sein. Das hat doch noch Zeit.«

»Nein«, antwortete er fest, »es hat keine Zeit.«

»So ... so ...« machte sie, und ein nervöses, irres Lächeln huschte über ihre Miene. Dann krampfte sie die kleinen Hände zusammen und trat dicht vor ihn hin. »Ich finde das überhaupt zwecklos! ... Wozu soll ich ihm das sagen? Warum soll ich ihn in solche Verzweiflung bringen? Denn dieser Mensch, mußt du wissen, liebt mich – er liebt mich«, wiederholte sie noch einmal, »obgleich er mir widerwärtig ist. Er ist dankbar wie ein Hund, wenn ich ihn nur gut ansehe ...« Und ohne auf das entsetzte Gesicht Thomas Trucks zu achten, fuhr sie ein wenig gereizt fort: »Ich sehe überhaupt in der ganzen Geschichte keinen Zweck ... er weiß, wie ich zu ihm stehe, und du ... du ...« sie brach mitten im Satze ab und nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände. »Thomas, sei gut!« Ihre Miene wurde sanft. »Quäle mich nicht ... du sollst mich nicht quälen.«

Aber als sie ihn nun anblickte, ließ sie erschreckt ihre Arme fallen. Er sah aus wie an jenem Abend, wo er wie ein verstörter und gehetzter Heiliger ihr Haus verlassen hatte. An den Schläfen und an dem Halse traten die Adern bläulich hervor, und über der Nasenwurzel hatten sich tiefe Falten gebildet. Sie bekam Furcht vor ihm und wich ein paar Schritte zurück. Aber dann schielte sie wieder neugierig zu ihm hinüber, und sie fühlte, wie sein Zorn ihre Leidenschaftlichkeit und Liebe steigerte. Eine ihr fremde Lust durchdrang sie. Was ist mein ganzes bisheriges Leben wert ... kostet es mich wirklich eine Überwindung, alles von mir zu werfen? ...

Und wieder blinzelte sie zu ihm hinüber, und wieder empfand sie diese ihr fremde Wonne, die seine starke Empfindung und seine mutige, alles Jämmerliche und Feige zurückweisende Liebe in ihr auslöste.

Er wandte sich, ohne zu sprechen, von ihr ab, und einen Augenblick schloß sie wie beseligt die Augen.

Sie ging auf den Fußspitzen behutsam zur Tür, die sie vorsichtig öffnete. Dann sagte sie kaum hörbar: »Ich werde alles tun, was du willst; ich werde mit ihm sprechen.«

Bevor er noch etwas erwidern konnte, war sie verschwunden.


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