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XXIII.

»Sie lassen sich ja gar nicht mehr sehen«, sagte der Dichter Liers zu Abraham Gebhardt. Sie standen auf dem Rundell des Potsdamer Platzes und blickten in das Menschengewühl und Wagengewirr.

»Arbeit, Arbeit«, entgegnete der Musiker und schüttelte seine blonden Locken, während es in seinen durchsichtigen Augen zukunftsfroh leuchtete. Er nahm den Dichter unter den Arm. »Kommen Sie, wir gehen zu Josti und trinken eine Tasse Kaffee.«

Nur mit Mühe bekamen sie ein Plätzchen. Sie zündeten sich eine Zigarette an und bliesen den feinen Dampf von sich.

Neidisch und traurig meinte der Dichter: »Also Sie arbeiten so viel?«

»Ja, denn ›Das Reich der Freude‹ geht seiner Vollendung entgegen. Ich bin beim dritten Satz. Wenn ich fertig bin, müssen Sie mir einen Text schreiben.«

»Ich? – Bedaure ... bedaure lebhaft!«

»Sie müssen!«

»Lieber Freund, dann werden Sie diese Oper nie komponieren.«

»Weshalb denn nicht?«

»Weil ich ... nicht arbeiten kann.«

Abraham Gebhardt bückte forschend auf. »Unsinn! ... nicht können! ... raffen Sie sich auf!«

Liers verzog seinen Mund unendlich schmerzhaft. »Ich arbeite, ... ich arbeite unaufhaltsam ... Was habe ich für Phantasien ... was höre ich für Töne!«

»Nun also!«

»In meinen Träumen!«

»Das sind Dummheiten!«

»Ich kann nichts aufschreiben, nicht eine Zeile! Jetzt weniger denn je ... Wenn wir erst das freie Genußrecht haben – dafür schwärme ich nämlich – so bin ich geborgen. Der einzige vernünftige Zustand, wenigstens für die Dichter, daß man genießen kann, ohne den Nachweis der Arbeit führen zu müssen.«

»Was sind das für Sachen, die sich im ›Festsaal‹ abspielen?« fragte Gebhardt unvermittelt.

»Lesen Sie denn das Blatt regelmäßig?«

»Natürlich! Ich freue mich jeden Sonnabend darauf. Was die Kerle leisten ... ich bin erstaunt. Man muß seine sieben Gedanken zusammenfassen, wenn man ihnen folgen will. Da ist doch wenigstens Selbständigkeit und eigenes Denken, auch wenn man oft anderer Meinung ist. So ein Bursche wie der Fründel, woher hat er denn das eigentlich?«

»Diese Leute arbeiten«, sagte Liers trocken. »Sie arbeiten ... arbeiten! Übrigens, was Ihre Frage anbelangt: man wühlt gegen Thomas Track. Nicht aus Niedertracht, sondern tatsächlich aus Prinzipienreiterei. Sie können es nicht begreifen, daß ein Mensch milde und rein ist. Das ist der einzige, der mir wirklich imponiert.«

Der Musiker war sehr nachdenklich geworden.

»Das Wertvollste und Tiefste im ›Festsaal‹ ist unbedingt von ihm. Er ist auch derjenige, für den der Name des Blattes nicht bloß Name ist. Alles bei ihm ist selbständig. Auch Form und Stil haben ihr eigenes Gepräge. Das fühlen eben die anderen heraus! Kann sein, daß hinter den Quengeleien eine gewisse Mißgunst steckt! Notabene, ich weiß es nicht. Was geht's mich auch an?«

»Ich finde das erbärmlich! Übrigens, was macht er denn?«

»Das weiß eigentlich niemand recht! Man sieht ihn seltener denn je. Allerhand Dinge werden so gemunkelt! Ob etwas Wahres daran ist, wer will das wissen!«

»Ein Frauenzimmer?«

»Hm, hm ...«

»Man sollte die Weiber der Reihe nach aufhängen«, knurrte Liers.

Abraham Gebhardt ging auf die Bemerkung nicht ein. »Ich dachte«, sagte er langsam und betrachtete dabei aufmerksam seine Fingernägel, »zwischen ihm und der Geigerin, Sie erinnern sich wohl, bestände etwas.«

»Es scheint doch nicht so«, entgegnete Liers und blinzelte den Musiker prüfend an.

»Sie haben ganz recht, mir ist das Mädchen nicht mehr aus dem Kopf gegangen.«

Der Dichter schwieg eine Weile. »Ach, mein Lieber, das ist ein feiner Punkt!« Sein müdes, hübsches Gesicht legte sich in Falten.

Was ist das für ein schöner Mensch, dachte Gebhardt im stillen und betrachtete die fein geschnittenen Züge.

Liers klopfte mit einem Geldstück an die Tasse, und ohne jeden Zusammenhang bemerkte er: »Niemand ist mir so verhaßt und unangenehm wie dieser Fründel. Der Mensch ist mir widerwärtig nach jeder Richtung hin.

»Was macht denn Ihre Frau?«

»Sie päppelt mich!« Es zuckte um seine Lippen.

»Adieu! Sie haben heute einen schlechten Tag.« Das Gespräch hatte ihn nervös gemacht. In sein »Reich der Freude« brachte dieser Ton einen Mißklang.

»Adieu!« sagte auch der Dichter.


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