Carl Hauptmann
Mathilde
Carl Hauptmann

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Wenn nun eine am Brunnentroge steht, kennt man sie

Wenn nun am Brunnentroge eine steht und ins ferne Tal mit der Bergstadt starrt, wo unten die Schlote rauchen und dampfen, und Simoneit mit tausend Mühenden am Tage fleißig schafft, kennt man sie. Sie steht oft, in das große, graue Tuch gehüllt Kopf und Leib, starrt hinaus, wie eine Fremde, Einsame, starrt lange, windgeweht und eisig, wartet auf etwas, was doch kommen muß. Es ist Mathilde. Und wenn eine einhergeht unter den dunklen Bergleuten auf der Straße im Schmutze, zwei frische Jungen, einen jeden an einer Hand, den einen dunklen, der Simoneit gleicht, wie der jung und kindlich und weich war, und den andern, der ihr gleicht – der Strengen, Hohen, die mit ihm einhergeht – als wenn sie stolz trüge wie eine Lastträgerin – ein Gesicht mit hellen, unbarmherzigen Augen – kennt man sie. Sie geht oft ins große, graue Tuch gehüllt, den Kopf und ihren armseligen Kittel bedeckt davon, und sieht in die Ferne und sieht nicht zurück. Es ist Mathilde. Sie hat viel getragen. Und trägt noch. Und sorgt für ihre beiden Jungen. Sie kehrt heim, wo sie immer noch wohnt mit Simoneit. Und erträgt alles. Denn sie hat keine Hoffnung. Und hat kein Begehren. Nur als Mutter ist sie dort – und bleibt auch daheim. Wenn Simoneit auch lebt wie er will, und hereinpoltert oder dumpf hereintritt, früh oder spät. – Sie ist grau geworden und scheint fast eine alte Frau. – Sie achtet Simoneit nicht groß. Sie gibt zu, daß er für sie sorgt und fleißig ist am Tage. Und weiß, daß er wild und toll ist – und leidenschaftlich und heiß – und in Unmaß. Manchmal auch, wenn er heimkommt, und sich vergreifen will an ihr, und wenn er nach ihr schlagt, weint sie heimlich. Und wenn er nüchtern ist, staunt er sie an und sieht auf zu ihr mit verborgener Furcht. Sie hat keine Falten im Gesicht, die vom vielen Lachen eingegraben. Der Kummer hat ihre Stirn oft hochgezogen und dann das gespannte Erwarten. Sie sieht weit hin und selten und gleichgültig zu Simoneit, dem sie sein Haus stille versieht. Man kennt sie, wie stumm und starr sie ist. Wie sie lauscht und wartet. – Und niemand sieht sie im Stübel, wie sie die beiden Jungen, die kräftig aufblühen, ins Reinliche bettet, wenn sie sie entschlafen sieht unter weichen Lidern – niemand sieht, daß sie dann noch immer reich aussieht, wie eine Gottesmutter, die an das Leben glaubt, und die ein Lachen und eine Liebe verklärt, vorausschauend, daß es doch kommen muß. – Wer weiß woher?


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