Carl Hauptmann
Mathilde
Carl Hauptmann

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Mathilde wartet auf Ernsts Brief

Wer Mathilde begriffen, was in ihrem Blute saß seit ihren Kindertagen und damals, wie sie auszog, noch ein völliges Kind, mit einem Jäckchen, das viel zu eng ihr jungfräuliches, kräftiges Wesen ärmlich und kümmerlich machte, wer sie in ihrer kindlichen Absicht gesehen, erschrocken und von der Güte ganz gefangen, als Saleck sie an sich zog und ein Kind aufblühte in ihr, zuerst zum Schreck und dann ganz zum stolzen Behagen und zu einer Sommerseligkeit in Blumen und unter Bienen und bunten Käfern, wie sie gestanden für sich selbst, fast fremd und ein Rätsel, nur ganz das reine und freie Genießen, ahnungsfroh und ohne Sinn, wie wir die reine Bergluft saugen und uns nur plötzlich lachen fühlen – oh – ja – der sah Mathilde nun fast nicht mehr. Eine junge Mathilde war es noch. Eine strahlende Menschenkraft sprach noch je und je aus ihr. Es war noch immer die im blonden Haarkranz, der voll um ihren Kopf sich wand, mit den kühlen Augen, die brennen konnten, wenn sie der Rechte suchen kam; noch immer eine Kraft, die aus ihr ausging, eine ganz glückselige Kraft, die einen umfing wie mit Eisenklammern, wenn es der Rechte war: was hier nichts anderes heißen kann, als einer, der oben aus der Heimat in die Stadt gekommen und unter den Soldaten Freimut und Laune und dazu eine frische Männlichkeit im Blick und eine stählerne Sicherheit in Gang und Haltung angenommen hatte. Es war noch immer dieselbe – und doch schon dieselbe ganz und gar nicht mehr.

Sie kam und ging, und niemand wußte, woher sie solche Hast gewonnen. Sie war wie ausgewechselt. Das ganze Wesen schien keine Zeit zu haben, spröde und stolz zu sein. Auch wenn sie einen ganzen Tag zu weben hatte, vielmehr einen vollen Tag Fäden fing, was sie mit einer schier unerfindlichen, aufmerksamen Miene tat und nicht rechts und links sah – durchs Tor hinein schritt sie, als wäre etwas zu versäumen, daß sie niemandes Gruß beim Hineineilen achtete – und heraus kam sie, und es sah jeder, daß sie in ihren versunkenen Gebärden etwas trug, das ihr nicht Rast noch Ruhe ließ Tag und Nacht. Sie kämpfte um Ernst. Und zerquälte sich einsam. Die Wirtin, bei der sie wohnte, kam oft in ihr Stübel, wo auch ihr Junge lag. Sie hatte längst den Jungen geboren, und war glücklich, daß es so ohne Not vorbei war. Nun hatte sie es Ernst geschrieben und harrte ewig. Kein Brief kam. Sie war wieder ganz allein und zerquälte sich. Sie saß, auf sich angewiesen, wenn sie heimgekommen, nährte den Jungen an der vollen, kräftigen Brust mit einem harten Unmut in den Zügen, der nicht dem Kindermunde galt, der an ihrem Blute sog, und der sich löste jedesmal, daß sie auf den blonden Kopf hinuntersah, der im seligen Saugegefühl ganz die Augen verkniff und fühlbar den süßen Inhalt schluckte. Das machte sie flüchtig lachen, es tat ihr wohl. Sie sah auf den Jungen, der aussah wie ein Engelkopf, wie einer, den das himmlische Behagen sinnenkräftig und gedankenlos träumen und genießen ließ – ein Bauer auch – einer, der einmal ein Soldat, oder sonst einer werden möchte, wie ihn Mathilde gern hatte. – Das waren flüchtige Gedanken, lange Träume hatten jetzt nicht Platz in Mathilde. Sie war voll Unmut und vergaß, daß sie lachen gemußt, und sah die Wirtin, die hereintrat, eine kleine, nichtige, leichtsinnige Person im blauen Kittel und mit einem Tüchel um den Kopf, die auf der Straße gewesen und eingeholt hatte, nur groß an und sah, was sie brachte.

»s war noch immer nischte gekumma?« sagte Mathilde, als die geschwätzige Wirtin sich erholt hatte, auszupacken und auch Atem zu nehmen anfing, um endlich ihrer Ansicht über das Benehmen Hallmanns Luft zu machen.

»Gekumma – 's werd au nischt kumma! Kannst mir's gleeben, Mathilde, 's kummt gar nischt. Gleeb du ock a Mannskerlen! Gar nischt kann ma gleeben. Das sein ticksche Hunde! Wie war's denn bei mir. Wie ich mein' Jungen hatte. Ach du mein Gott! Was würd mir da alles verspruchen, eh ich einwilligte. Na, na, heirata war's wingste! Und nu d'r Junge kam, war er über de Berge. Au's Geldschicka hatt'r balde vergessen. Die Mannsen sein ju ni zurechnungsfähig, wenn die ock a Mädel finden. Oh – 's hiert alles uf. Ock genießen und immer genießen, 'r hat mir dann a paar Taler gega'n – nu find dich ab damite!« –

»Ach,« – sagte Mathilde zornig, »redt mir nee!«

»Brauchst ni biese zu tun,« sagte die Wirtin, »Jungla

- Jungla – Jungla – Ernstla –«, fing sie gleich an zu spielen, um auch Mathilde wieder stille zu machen und ihren Zorn abzukühlen, den die Worte heimlich in ihr erregt hatten. Mathilde sann.

»Was kann's denn ock sein, daß er gar nee schreibt!« fing die Wirtin rückhaltender wieder an und blickte auf Mathilde. Mathilde saß im Scheine eines Sonnenstrahls, der sie und das Kind umfloß und in Dämmer hüllte, daß sie groß und geweiht aussah in ihrem Kummer, ganz ausgefüllt aus der Tiefe ihrer Seele, das Kind und sie zusammen eine strahlende Macht, wie sie nun gar lange darauf niedersah – so daß die Wirtin, ohne recht zu wissen, warum, sie heimlich noch einmal ansehen mußte, und ein Gefühl wie Liebe oder Anbetung flüchtig wie ein feiner Ton durch sie hindurch eilte. Mathilde nahm das Kleine von der Brust, hüllte es sorglich in Tücher ein und trat dann ans Fenster. Es war Mittag:

»Ernst is nee wie die Andern«, sagte sie gläubig.

»O Jeses nee«, gab die Wirtin, von der Ferne stehend hinzu, hatte ihrer Geschwätzigkeit Halt geboten und tat jetzt auch das ihrige, um still und sinnend auszusehen. »Wenn ock wingstens was käm.«

»' s werd was kummen«, sagte Mathilde.

»Ich wißte au' gar ni, was zu tun wär'«, sagte die Wirtin.

»Oh, ich wißt's schun!« gab Mathilde sicher und hart zurück. Und wie ein Hohn blitzte es aus ihr, und sie sah auf die Wirtin fast von oben herab. »Ich wiß schun«, sagte sie noch einmal und lachte. Aber dann kam ihr Unmut und zernagte von neuem ihre jungen Züge und grub sich ein aus ihrem Augenblick, daß die Wirtin sie gar nicht wecken konnte.

»Ach, mei Jungla« – sagte sie für sich ganz inbrünstig und heiß, und es kamen ihr Tränen, die nicht nur Rührung waren.

»Ich muß Klarheit ha'n«, – rief sie auf einmal wie grausam und sah wieder hinaus, daß die Wirtin zögerte und sinnend zur Tür ging:

»O mein Gott – ich ha' au' gesunnen und gesunnen – dazemal –, bis ich uf eemol klar wurde« – sagte sie.

Mathilde sah sie verständnislos an und hörte gar nicht auf sie, so inbrünstig hing sie an Ernsts gutem Wesen, daß er sie nicht verlassen dürfte. Sie sehnte sich. Sie liebte ihn. Sie sah im Kinde auch nur ihn.


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