Carl Hauptmann
Mathilde
Carl Hauptmann

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16

Heimliche Unruhe

Heute kam Mathilde ins Stübel und sah kaum, daß im Vorzimmer der Tisch voll Leute war, die im Tabaksqualm saßen und die Karten aufschlugen und lachten. Sie kam heim. – Es war Sonnabend um halb neun und draußen herrschte Kälte. Sie war an der Ecke unten mit Hallmann zusammen gewesen Aber sie war wie noch nie aufgeregt und wußte und begriff nicht, was sich in ihr zu regen begann. Sie hätte wirklich alles mögliche noch aufgeben und hinwerfen mögen – und achtete nichts, so hatte es sie gezwungen und gelockt, mit Ernst zusammen zu sein und seine Hand in der ihren zu fühlen. Aber das Gewissen hatte ihr auch so rasend geschlagen, daß sie auf nichts mehr eingehen und um keinen Preis sich wieder mit ihm treffen gewollt. Sie hatte es ihm gesagt. Sie hatte in Furcht an Saleck gedacht. – Nun sie eintrat, dachte sie vor allem an Simoneit. Sie war noch eine Weile unten auf der Brücke stehengeblieben, wo sie sich getrennt hatte von Hallmann, und er auf die Kaserne zu in die Nacht verschwunden war. Nein – wirklich –, sie war so heiß und toll gewesen, daß sie nicht aus und ein gewußt, – und immer erwogen, wie sie der Sache ein Ende machen könnte. Unten an der Brücke glitzerte alles, die Straße war in hellem Blinken, und die Sterne lagen im schwarzen Himmelsgrunde hoch und hehr und groß wie Diamanten. Es war eine Nacht, wie aus Edelsteinen gefügt, daß jeder Schritt auf dem Erdboden hart klang und quarrend, als wenn man über ganz Erstarrtes hinwegging. Und Mathilde noch ganz im Kampfe, von dem Hallmann gar keine Ahnung verspürt, obwohl er um keinen Preis zugegeben hatte, daß es aus sein müßte. Sie hatten ja auch wieder ein neues Stelldichein verabredet – jetzt gar beim Schwager, der in der Stadt wohnte. Aber Mathilde hatte immer noch in der Nacht am Brückenbogen gestanden im inneren Kampfe, als es sich plötzlich ereignete. Sie hatte ihn gar nicht erkennen können. Die Laterne war zu fern, obwohl sie ihn hätte schon an der Stimme erkennen müssen, wenn sie nicht im sinnlosen Hin und Her, in gar nicht zu entwirrender Vorstellungsunrast gestanden hätte, daß sie zu Anfang nichts begriff. Und da tat es ihr wohl, wie sie sah, daß es Simoneit war, nun sie sich plötzlich dem Menschen mit wahrem Zorn entziehen konnte, der sie wieder halten wollte, nicht mehr roh und gemein, nur brünstig und leidenschaftlich und mit einem sinnlosen Gerede und Gestammle – nun sie ihn anlachen konnte, so hart und unbarmherzig, so in Freude, während ihr Gewissen in Schlaf sank, so frisch angeweht zum Kampfe und herausgefordert; nun sie sich wie eine Hohe, Starke einen Augenblick fühlen konnte und heimsprang und noch daheim die Starke und Entrüstete war – auch wie jetzt mit einem Korb Besorgungen am Arme Saleck ins Zimmer trat und den Korb fast hinstieß – nun sie ihm energisch erzählen konnte – sich über Simoneile Dreistigkeit, der sie wohl gar zu lieben schien, »hahaha«, lustig machen konnte, daß sie sich gar nicht zugute gab.

Und sie war kräftig und zornig den ganzen Abend. Das war ihr nun angenehm, zornig zu sein. Es schien ihr wie eine eiserne Kette, daß sie sich fast schon gewöhnt hatte, mit dem Kränklichen gar nur zärtlich und ernst umzugehen. Nun hatte sie Grund – und sie lachte –, ohne daß ihr das Gewissen widersprochen, und sagte bestimmt: »Ich will nee, daß es zwischen euch wieder was gibt, dafür kann enner nischt, wenn er a anderes werklich liebt. Mir tun, als wenn nischte wär, au du, und damit gutt.«

Und in dem Krummen fand das Vorschlagen auch gleich Widerhall. Von jenem Streite wollte er längst nichts wieder wissen. Jetzt weniger als je, seit er krank gewesen. Und er war auch unsicher und sein Leben mit Mathilde nicht mehr im rechten Gleise. Entweder in Unruhe oder in Leidenschaft, und immer mischte sich ein stilles Gefühl von Entsagung hinein und von Demütigung, daß er krumm und schwächlich wäre, und sie blühender war als je. Und Mathilde war an diesem Abend für ihn immer mehr ein Rätsel. Sie fing an, den Ton des Zornes aufzugeben und in alle möglichen Redensarten hineinzufallen, die rein wie Verzweiflung klangen. Er begriff nicht. Sie sagte: »Man kann hie ni leben. Ich hätte soll'n daheeme bleiben, und nu bin ich wie angeschmiedet und kann ni furt von hier.« Und der Krumme wurde böse zuerst, dann streichelte er sie, wie er sie oft gestreichelt hatte, und sie ließ es geschehen. Sie saß auf der Ofenbank und sah bleich aus, trotz ihrer Frische und Fülle und hatte nicht einen Bissen angerührt. »Daß dich der Mensch a su ei Verwerrung bringt«, sagte Saleck ganz gläubig. »O dar Mensch! 'S is ni blus dar!« sagte sie, fast wie offen. Aber Saleck bezog es nur auf sie und sagte: »Was huste mir denn ni g'folgt, warum sein mir ni uff 'm Durfe geblieben. Was gihst de immer unter de Leute!« Es war in sie gefahren, daß sie hätte den ganzen kleinen Kerl wegwischen können aus ihrem Gedächtnis und dann, daß es ihr wieder fast die Seele brach, wenn er vor ihr stand, so demütig zuletzt; wenn sie sah, wie er mit einer Leidenschaft ohne Sinn und Gleichen an ihr hing, daß sie gleich anfing, in ein bitteres Weinen umzuschlagen, so rätselhaft und unheimlich, daß er es bis ins Wesen fühlte, es ihn mit zerriß, er sie ziellos tröstete, sie ziellos liebkoste, sie aufrichtete, vor ihr stehend vor der Ofenbank, bis sie aufsprang fast im Zorn – und alles wegwarf, ihn stehen ließ –, lachte und sich erst spät in den kleinen Hantierungen des Haushalts wiederfand. Ja – in Mathilde war wirklich ein zielloses Umgehen, daß Saleck nichts mehr zu sagen wagte. Daß nur stumme Sprache schließlich noch in heimlichem Hinblicken mit ängstlichen und scheuen Mienen im kleinen Raume herrschte – und sie einschliefen – zuerst ohne ein Auge innerlich zuzutun – so seltsam –, daß sie, einen jeden von ihnen, derselbe Traum mit Gewalt plötzlich ergriff und beide wie mit einem Schreckensrufe auffuhren. Dann aber endlich so tief und schwer einschliefen, daß sie am Sonntagmorgen noch dumpf und schwer waren – und Worte ohne Glanz und Leben im Raume hin und her krochen.


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