Carl Hauptmann
Mathilde
Carl Hauptmann

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Mathilde wappnet sich

Aber Mathildes Jugend verrann bald vollends. Sie gebar ein Kind nach dem andern. Dreie hatte sie. Die andern waren nicht so gesund, wie das Erste, das Simoneits Liebling war, obwohl er sich in letzter Zeit überhaupt um Frau und Kind noch weniger scherte. Er verdiente gut und hatte Geld in die Kneipe zu gehen und wer weiß wohin. Mathilde sah auch nicht mehr aus wie eine weiche, kalte Blüte. Nichts mehr davon. Sie sorgte früh und spät. Sie war früh auf, wenn er noch längst im Bette lag, und spät am Abend harrte sie oft vergeblich die halbe Nacht, ob er käme. Oft kam er nicht. Die Anton wußte zu reden. Und dann die Haken, die andere Nachbarsfrau, die hatte erst ein heimliches Mundwerk. Wenn es Simoneit gewußt hätte, er hätte ihr was aufs Maul geschlagen. Alle fürchteten ihn. Schon, weil er Werkmeister war. Dann aber auch, weil ihm niemand recht in die Karten sehen konnte. Er sah immer voll Verachtung auf alle nieder. Auch auf Mathilde, die jetzt ein Arbeitstier war, und ihm und den Kindern lebte, ohne sich nach etwas sonst umzusehen. Simoneit war ein heißblütiger Mensch außerdem. Manchmal kam es ihm ein, sich wie ein Eifersüchtiger zu geberden, und er machte der Frau allerhand Vorwürfe. Er fing an, sonderbar zu sein, Gründe zu suchen, wenn er unzufrieden heimgekommen war, nur um sich auszutoben. Er schrie dann in sie hinein, oft noch zu nächtlicher Weile, daß die andern nebenan zuhörten, und während Mathilde ihn zu begütigen suchte mit ängstlichem Zagen – lachten und sich ausgelassen freuten. Er warf ihr vor, was er aus der früheren Fabrik wußte. Er dachte so aus heiler Luft, daß sie sein könnte, wie die anderen, von denen er ja selbst wußte, daß sie für ihn zu allem bereit waren. Außerdem kam ihm Wut an, wenn er an Saleck dachte. »Mit an sulchen krummen Hunde hust de dich au' abgegeben.« Und er fluchte und wetterte. Er war auch oft nicht nüchtern. Die Kinder in den Betten begannen dann manchmal zu schreien, und in Mathilde kochte eine Haßwelle auf, selten nur, aber nun doch schon, weil es mehrmals vorgekommen mit Inbrunst. Und er schlug auch einmal nach ihr, wie sie in ihn drang und ihn halten wollte, er schlug nach ihr und traf sie ins Gesicht, daß sie leicht blutete und nichts sagte – nur den andern Tag sich lange schämte, hinauszutreten – unnahbar und streng – und wie eine aussah, die mit Stolz sich zu wappnen anfing und mit Kraft das Gemeine zu tragen. Wie aufgerichtet ging sie – die Demut war im Schwinden. Alles Dienende lag in ihr. Aber wem diente sie nun? Sie hatte ihn, den Simoneit mit sorgender Güte und mit tausend Opfern umgeben, jetzt fing sich an, ihr Wesen hart zu verschließen, und sie ging bald wie eine, die trotzig trägt und der Welt sich nicht mehr offenbaren kann.

Die Anton kam.

»Daß du das a su dulden kannst!«

»Was?« sagte Mathilde.

»Nee, was der für a Wesen hat – prügelt'r dich ni manchmal?« sagte sie neugierig.

»Und wenn er mich schlägt, was giht's dich an?« sagte Mathilde hart.

»Da sollt mich meiner suchen,« sagte sie, »meiner sollte mich amol a'greifen!«

Der Anton ihrer war ein schwächlicher, alt gewordener Mann, der froh war, wenn er nach seiner Arbeit sitzen und schlafen konnte, so daß ihre Zunge freien Lauf hatte. Tag und Nacht.

Und die Haken kam.

»O du meins, du, du – du tust doch alles fir den Mann und fir deine Kinder, und der verfiehrt sich a so.«

Mathilde waren die Weiber zum Hassen. Sie war verschlossen und hart und ließ sich nicht in Reden ein. Nur manchmal sagte sie doch:

»Wenn er hart is – besser hart – als su a Weechquarg. 's macht sich keener. Und ich muß'n ertragen.«

Und sie lachte dann plötzlich voll Hohn – und liebte ihre Kinder.

Und ertrug auch wirklich.

Sie ertrug alles. Und schließlich, wenn er seine gehässigen Vorwürfe wiederholte, lachte sie ihm auch ins Gesicht.

»Bist mir a Leben nachgelaufen. Was ich bin, hust de gewußt«, sagte sie stolz, und dachte gar nicht einmal, daß sie etwas anderes wäre, wie nur eine, die alles trug – nein, eine, die Kraft hatte zu tragen – und Verachtung genug und nicht viel Hoffnung.

So war bald ihr Leben. Nur, daß sich Simoneit an den Kindern nie vergriff.

Denn trotz allem Trostlosen mit dem Manne hatte sie die Kinder in sicherer Hut und war eine Mutter wie nur eine. Das gab ihr am Sonntag Morgen, wenn Simoneit spät erwachte und die Kinder in reinlichen Kleidchen sah – und die Mutter freundlich und sorglich hantieren um den Herd und draußen an dem Brunnentroge – ein heimliches Ansehen. Daß er sie nüchtern mit stummem Staunen betrachtete und sie nicht mehr ihn, er sie fürchtete. Und Liebe neu aufquoll, wild und gewaltsam. Aber Liebe hatte sie für ihn nie gehabt. Nicht die, die eine Seele in freiem Glücke an eine andere Seele bindet. Aber eine stolze Mutterpflicht band sie und machte sie jetzt sicher. Und wenn er in Gewaltsamkeit dann nach ihr greifen und sie an sich ziehen wollte, stand sie in Verachtung und blickte kalt wie ein Fels, daß die Kinder sich um sie scharten, und einige weinten, und alles stumm und dumpf blieb im Sonntagsjubel, er in sich sank und sie einherging, wie in Erz, streng und hart und verachtend und sogar auch hart mit einem dann unversehenen Worte zu dem Kleinen, der ein schwaches Kind war.

»Flenne nee«, sagte sie dann zu dem zweiten, blonden Jungen. »Der Vater tutt euch nischt. Flenne nee! Und du, Max, wisch 'm Albert de Nase – paß uf de Kleene uf, a su lange ich hie noch zu machen ha'.«

Es war dumpf und Mann und Weib sahen sich bald fast in Haß.


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