Carl Hauptmann
Mathilde
Carl Hauptmann

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Mathilde wird nun klar

Aber wie Tag um Tag und Woche um Woche verrann, daß Ernst immer sagte, es muß ein Ausweg werden, und doch in Gutshaus und Stube, wenn Mathilde vorbeischlich im Dunkeln, Lachen und Ruhe nicht gestört und von Aussichten ganz und gar keine Rede schien, da hatte sie sich ein Herz gefaßt: »Ich muß klar werden« – hatte sie auch schon Ernst eines Tages heimlich gesagt, daß er erschrocken war und sie dabei angesehen in Beunruhigung und mißtrauisch und auf alles plötzlich gefaßt.

Nun war es Abend und um den Tisch saßen die Trottel – oben der Bauer mit sicherer Miene gutmütig und zufrieden, daß Ernst am Tische neben ihm saß, heimlich auch erwägend, daß der Junge sich, wie es schien, gar nicht mehr um Mathilde kümmerte, obwohl sie, wie er längst erfahren, schon seit einiger Zeit im Dorfe war. Er war völlig beruhigt. Er hatte längst Nachforschungen angestellt. Er hatte mit dem Gemeindevorsteher Rat gehalten und in Erfahrung gebracht, daß es gar nicht nur so war, wie es aussah. Das Mädel war der Mutter nach, wie er sich innerlich ausdrückte. Sie hatte es gar nicht erwarten können, zum Manne zu kommen, und war mit einem Buckeligen gelaufen, dem sie schon vor Ernst ein Kind in die Wiege gelegt. »Das wär' an Zucht«, hatte er zum Gemeindevorsteher lachend gesagt, als der Gemeindebote draußen war. Und er wußte, daß er das beste Werkzeug gegen Mathilde längst in der Hand hielt. Übrigens war ihm unbegreiflich, daß sich der Junge so schnell scheinbar ganz zugute gegeben, und manchmal dachte er bei sich, daß er es auch wohl wissen müßte, was an dem Frauenzimmer im Grunde wäre. »Nee, die kimmt mir nee ei's Haus«, hatte er zum Schulzen gesagt, wie er hinausging; und das sagte er auch heimlich zur Alten, die jetzt um den Herd war, behaglich und geschäftig wie immer, sich nur mit kleinen Schritten um sich selber drehend. Man kann sich wirklich gar keinen Vers machen, daß Mathilde es wagte, hier hereinzutreten mitten unter die Bauersleute. Nur weil sie daheim gar nicht gewesen war und Ernsts Reden ihre Hoffnung stark gemacht hatten. Aber sie hatte klug getan, daß sie nicht ins Gemeindehaus gegangen war. Das hätte dann auf ihr gelegen, wie der Schnecke ihr Haus, so auf ihrer Seele, und sie wäre gedrückt und erniedrigt hereingekommen. Jetzt trat sie ein, ganz in voller Kraft und mit einfacher Frische. Das war ihr so gekommen, als sie wieder in sauberer Gewandung draußen vor den Fenstern gestanden und das fröhliche Lachen ungestört gehört hatte. Das Lachen war ihr plötzlich wie ein Hohn gekommen, denn die Wochen verrannen.

»Ich muß Klarheit han«, hatte sie gedacht. Und sie war einfach gerade auf das Haus zugeschritten, wie eine, die ein Recht hat, hineinzugehen, und stand nun im Türrahmen. Der Bauer hielt den Bissen im Munde auf und machte Augen, als wenn ihn ein Wunder anwandelt. Die Trottel grunzten und platzten gleich aus. Die alte Bäuerin sah zur Tür und drehte sich dann, als wie nicht recht bei sich, zum Tische und sah den Vater an. Und Ernst war auch gleich aufgesprungen und hatte gesagt: »Nee Jeses – wie denn?« und war erschrocken stehengeblieben, als wenn er nicht wissen könnte, was vorging. Denn Mathilde kam langsamen Schrittes, aber mit einer Miene, wie ein Kind fast, das mondwandelt, herein, und sagte nur leise und verhalten fast, und so kindlich lächelnd zu gleicher Zeit: »Guten Abend, Herr Hallmann«, daß gewiß kein Auge zu verachten oder zu höhnen den ersten Moment gewagt hätte.

»Guten Abend, Herr Hallmann«, sagte sie noch einmal, und blieb, als sie die Erstarrung sah, plötzlich zögernd stehen.

»Hahaha«, – Hallmann erholte sich und lachte – nicht laut, rücksichtsvoll und erschrocken fast, und Ernst merkte es und gab jetzt seiner Seele eine Hoffnung, daß er Mathilde die Hand zu reichen wagte und sagte:

»Kumm ock, Mathilde –«

»Hahaha«, – lachte Hallmann, ganz wie überrumpelt; und die Mutter spannte ihre Augen ganz hoch und sah dann unter die Bankbretter und hob mit Gekrach nun einen Topf in die Röhre, um nur etwas zu tun zu haben und zu fühlen, daß sie nicht ganz erstarrt wäre.

»Nee Jeses – wer denn«, entrang sich endlich ein Wort aus Hallmanns Munde, wie der Junge versuchte, Mathilde allen Ernstes einen Schemel zum Sitzen anzubieten.

»Hahaha,« lachte er lauter – »wer denn – was wird denn – du – Ernst? Nee, Jungt – sag mir ock«, sagte er ganz sinnlos und hastig.

»Nee Jeses, Mathilde«, sagte jetzt auch Ernst zögernd, wie der den Vater sah.

Mathilde stand grade und einfach und unerschrocken. Sie wußte, daß sie klar werden mußte und rührte sich nicht. Und wie ein kindliches Lachen bat aus ihren Augen zu Ernst, daß er ein Wort reden und Mut haben möchte, wie sie ihn gehabt, nun wo sie dastand, unter aller Augen, und die Trottel von neuem lachen mußten mit dem Alten zusammen, und wie noch gar die alte Bäuerin höhnisch zu lachen sich erholt hatte. »Nee, Vater«, sagte die nur. Und es gab noch eine Pause, daß Ernst nicht wußte, wie er sich benehmen sollte, ob er lieber mit Mathilde gleich hinauseilen und sie vor den höhnischen Worten bergen sollte, die jetzt kommen mußten, oder ob er gar zornsprühend auf den Tisch schlagen sollte, wie es eben tatsächlich der Alte tat, daß alle Schüsseln plötzlich tanzten.

»Naus«, schrie der Bauer. »Naus –« schrie er. »Mädel, du hust dich wull verlaufen«, schrie er. »Ei's Gemeenhaus gehierst de, zu der Heintken gehierste!« Er konnte im Augenblick gar nicht Worte finden.

Ernst sah mit Schrecken, daß er sich erhob.

Mathilde war am Herde und duckte sich, so fühlte sie es, und ihre ganze Seele lag in ihren Augen, so glänzend war ihre Schmach und Trauer, daß Ernst die Hand aufhob, sie zu schützen und dann plötzlich gegen den Vater ging mit ganz aufgeregter Abwehrmiene.

»Vater«, sagte er drohend, wie sich Mathilde bückte. Aber der Alte blieb versteinert stehen und lauerte, wie Mathilde so demütig war, und ihr leise einige Worte kamen, die vom Kinde Hallmanns sprachen.

»Hahaha«, schrie der Bauer von neuem. »A Kind hot se – ju ju – vo dir ees – und von am Buckligen au' ees«, schrie er – »die werd noch viele han, wie de Heintken. Vo jedem Strolche eim Graben ees – hahaha.«

Die Trottel lachten. Ernst sah, als wenn er die Augen aufreißen müßte, wie Mathilde plötzlich sich scheu umblickte – wie sie nun hinausrannte, als wenn sie eine Giftschlange in die Hand gebissen, so aufschreiend – nur einmal – und sich im Hause besinnend noch einmal ohne Worte. Und dann auf die Straße hinaus – während Ernst wie gebannt stand – und dann plötzlich wie zu sich kommend und nur in ganz großer, grausamer Sicherheit zurückgehend zum Türrahmen und hineinsprechend, während noch immer alles drin in Erstarrung war, der Alte den Sohn noch immer scharf im Auge hielt, was er endlich sagen würde – hineinsprechend, grausam und mit einem Lächeln, als wenn es nichts begriffe in diesem Leben: »Ju ju – au' a Kind von am Huckigen ha ich – das is wuhr!« – und dann langsam und klar in ihrem Elend hinausschreitend, hinunter – wo sie im Gemeindehaus eintrat, umringt von der lumpigen Kinderschaar und der alten Heintken, und vom alten Heintke auch mit Handschlag begrüßt – in den rauchigen Schmutz starrte und nur sagte: »Eene Nacht blei' ich bei euch.« – Und dann schlief unter Schmutz und Lumpen, so schwer – einen ganzen, langen, unbegreiflichen Schlaf, der ihr vollends alle Träume aus der Seele wusch und nichts übrig ließ als Haß.


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