Carl Hauptmann
Mathilde
Carl Hauptmann

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Wie Saleck sich nähert

Mathilde lebte noch immer bei den beiden Wäscherinnen, still und häuslich. Ihre jungen Mienen waren frisch und stark. Sie liebte die Alten, die ganz selbstlos nur immer Gutes brachten, und sie empfand, daß sie kräftiger und weiblicher wurde. Am Hause war neben Schutt und Schuppen ein winziger Rasenplatz und es begannen Veilchen am Rande des Zaunes aufzusprossen. Und die Abende waren länger. Da saß sie und nähte manchmal auch. Und wenn sie sich abends ihren Leib waschend im Spiegel sah, erschien sie sich kräftig und schön, und dachte an den Frühlingsbaum, der im Hofe eingeschlossen, weiß schäumte. Sie wußte nicht, daß sie es war, die in der kleinen Scherbe widerschien. Wie eine am Brunnen, dachte sie. Und es fiel ihr ein, daß wiederholt eine Stimme heimlich sie neckend »Großmutter« rief, heimlich und freundlich. So wie sie dastand in der drängenden Frische des Lebens, sah sie nicht wie eine Großmutter aus. Aber wenn sie die Fabrik im Strome verließ, und Lachen und Hohn und gemeine Worte und lüsterne Fragen und Spöttereien der Jungen, wohl gar einmal ein wirkliches Angreifen und Festhalten und Geküßtwerdensollen eines Menschen, den sie nicht beachten mochte, und gegen den sie sich mit schneller Kraft wehrte, vorüber waren – hatte sich immer wieder eine freundliche Stimme heimlich, daß sie nie den Rufenden finden konnte, vorgewagt: »Großmutter, Großmutter.« Und nun sie dastand vor ihrem Waschschäffchen, mußte sie sogar darüber lachen. Es war ein Witz. Sie hatte zwar auch dabei immer mit Härte und sicher wie ein Vogel, der zum Auffliegen bereit ist, um sich geblickt. Aber im Grunde gefiel ihr, daß sie ein Zartes und Zurückhaltendes hörte, und daß jemand mit ihr einen freundlichen Witz machen konnte. Und wenn sie auch eilte und froh war, wenn der Schwarm hinter ihr verstummte, so erfüllte sie doch nur gegen die Menschen eine ganz ungedeutete und im Grunde unerfahrene Abneigung, die sie aus dem Gemeindehause mit in die Stadt gebracht hatte – es wäre ein Wunder gewesen in ihrer jungen Seele, wenn sie sich nicht schließlich heimlich gesehnt hätte, den zu finden, der so zurückhaltend und zärtlich »Großmutter« rief. So war es gekommen, daß sie eines Maiabends an die Stelle zurücklief, wo sie den Ruf hatte hören müssen, und daß im Schatten der alten Linde, die aus dem Direktorenpark über die Mauer und den Weg sich breitete, einer plötzlich heraustrat und sie festhielt. Sie war furchtbar erschrocken. Es ging ein Schrei aus ihr aus. Aber sie war stehengeblieben, weil sie gleich sehen konnte an den Schultern, die fast den Kopf hielten, daß es wieder nur der junge, schmächtige Mensch war, der dort heimlich gewartet hatte. »Scheer' dich«, sagte sie hart. »Rühr mich ni a.«

Der Huckige wagte auch nicht, sie festzuhalten, aber er war froh, daß er sie einmal allein vor sich sah.

»Warum biste denn a su?« sagte er nur ganz entschlußlos.

»Wie bin ich denn?« sagte sie – »was willste denn vo mir?«

»Nu Jeses,« sagte er, »ich will weiter nischt, du brauchst doch nee asu verächtlich zu tun.«

»Grade – ich tu ni a su – ich bin's.«

»Ich wiß gar ni, was hot denn das fir'n Zweck?«

»Zweck hot's nee« – lachte sie höhnisch, wie sie einst zur Mutter lachte.

»Wenn ich dir gutt bin, kannst du doch mit mir gihn«, sagte er, immer noch eingeschüchtert. Oh, sie war streng und hell wie eine klare Glocke.

»Ich geh ni mit jedem, an sulche bin ich nee. Heute und morne. Verstihste? Und wenn de mir noch amol an sulchen Schreckschuß eijagst«, sagte sie zögernd und sah, daß er fast verlegen niedersah – lachte auf einmal über die demütige Gebärde hell auf, und indem sie zurückgewandt wieder weiterzugehen versuchte, » n Zweck Hot's ni – gar keenen – ich bin a su –.« Aber weil er entschlossen bat und gütig und ohne Verlangen sagte:

»Nee, bleib ock – an Augenblick wenigstens – sei a su freundlich!« Da kam es ihr wie ein ganz warmer Hauch vor, der aus dem zarten, bartflaumigen Mannesgesicht ausströmte. Sie dachte gar nicht, daß das es wäre, worum sie stolz und hart sein wollte, und sie verstand auch gar nicht, was in ihr vorging – sie hatte auf einmal ihr Kaffeetöpfchen fester ergriffen und sich umgesehen, ob jemand in der Nähe wäre und war davongerannt –, ängstlich und scheu und unsicher und doch mit einem Glück, was ihr warm in den Gliedern rann.

Jetzt begann ein eigentümliches und neues Leben in ihr. Sie raffte sich. Sie sah nun alles, als hätte jemand ihr die Welt klarer gemacht. Sie ging auch noch eifriger in die Arbeit, versuchte Überstunden zu machen, daß sie reichlicher noch verdiente. Sie hielt auf sich. Die enge Jacke und den kurzen Rock hatte sie bald für ihre Geschwister nach Haus gegeben und kleidete sich wie eine Erwachsene, nur sauberer und frischer wie die andern. Ihr Haar legte sie in Zöpfe, reichlich wie es war und goldig, und in ihren Augen glänzte ein heimliches Aufmerken, wie auf etwas Frohes, was kommen konnte. Dabei schritt sie einher, ohne groß um sich zu blicken. Sie empfand es plötzlich fast wie einen Ekel: das Feile, das die andern jungen Mädchen und gar die alten darunter hatten, wenn sie aus dem Tore sich auf die Straße drängten und jedem Gutgekleideten nachblickten und nachlachten. Sie ging immer, als hätte sie ihr Ziel anderwärts. Nur sah sie alles doch um sich. Und alles empfand sie fein oder grob – daß es sie anzog, oder abstieß, bestimmter und klarer als je –, und sie hatte ganz das Gefühl verloren, auf der Hut zu sein. Als wenn sie jetzt ganz sicher wäre. So kam sie und ging sie. Und saß daheim. Und nähte und wusch, und wenn sie jetzt nach Hause schrieb, man konnte es fast nicht glauben, was da in die kalte, rauchige Stube für ein heller Schein aus einer jungen Seele sich wie eine weiße Taube niederließ: »Innig geliebte Mutter – oh – nun verdiene ich viel – und ich kleide mich gut – und die Menschen in der Stadt, Du kannst gar nicht denken, wie anständig die Menschen hier leben und gehen – und ich bin ganz sauber und anständig und halte wirklich darauf, daß ich Euch, geliebte Eltern, keine Schande mache« – usw. So klang es. Die Seele war voll jungen Lebens, die solche Worte sorgfältig auf einen schönen Bogen schrieb, einen extra schönen mit einer roten Blume, als wollte sie zum Geburtstage grüßen, oder sonst eine Feststimmung zum Auedruck bringen, wie sie in Unterrock und Hemd auf dem Schube hockte am Fensterschlitz. Und es war auch wieder Sonnabend, am frühen Nachmittag. Fast störte es sie, daß die narbigen Mädchen im Zimmer waren. Das Gefühl war ihr bisher noch fremd gewesen. Aber es begann sie zögern zu machen, daß die alten Dirnen sie ansahen, wenn sie, die Junge, Rosige, nackt am Waschfaß stand. Und sie begann zu horchen, ob sie daheim blieben. Sie war in Hemd und Rock sitzengeblieben und machte sich immer noch eine Beschäftigung. Sie zögerte. Es war in sie gekommen, wie ein plötzliches Aufblitzen, daß sie sich vor sich und andern verhüllen wollte, es war ein ganz unbekanntes, hohes Gefühl. Es erschien ihr zuwider, die Augen, die sie ansehen wollten und ihr junges Fleisch wohl gar berührten. Heimlich und tastend versuchte sie, ihre Zeit hinzudehnen. Und erst wie sie hinaus waren, wusch und kleidete sie sich rein und sah sich nicht an, als wenn sie selbst sich nicht feil wäre – und dachte nur an etwas, als wenn es am Horizont sich in Golde und Glanz nahte.

Und dann, am anderen Tage, stand sie fein und sauber im groben, guten, grünen Wollenkleid und hatte einen Hut mit Blumen und wußte nicht: – Sonntag – sie wollte ins Freie. Sie dachte an die Berge, wo die Menschen Sonntags auch in hellen Scharen kamen. Es war Sommer, und sie wußte auch, daß sie irgendwo hingehen mußte, wenn er nun wieder bittend auf sie lauern und sie erschrecken wollte. »Komm in de Hallen«, hatte er das erstemal gesagt. Die narbige Dunkle kam auch wieder und sagte: »Liebling, komm in die Hallen.« Es störte sie nicht, daß auch die Alte es zu ihr sagte, weil sie nur das Wort hörte und ganz sicher war. So kam sie mit ihnen. Der weite Tanzboden war voll Staub – alles wirbelte – es war ein Getümmel. Am Eingange standen Männer mit Bierseideln in der Hand, die Hüte in den Nacken geschoben. Junge Mädels saßen auf Bänken an der Saalmauer und warteten auf ihre Tänzer, lachten und hatten Biergläser neben sich. Und auch alte Frauenzimmer, mit ekeln Patronen am Arm, schlenderten heraus in den Garten. Die Freundinnen Mathildes hatten gleich einige gefunden, die mit ihnen anstießen – und es kam einer, der auch sie zum Tanze einlud –, einer, der nicht mehr nüchtern war und den sie nur ganz erschrocken ansah, und aus Angst und Eile auch schon in seinem Arme durch den Saal fegte. Und wie sie tanzte, drehte sich alles. Es ging. Sie hatte noch nie getanzt. Aber der Kerl hielt sie fest umschlungen, und es ging ganz außer maßen – sie mußte staunen und sich umsehen. Und wie sie blickte, erkannte sie den Kleinen mit der zarten Haut, der den Blick nicht von ihr wandte. Das hätte sie beinahe außer Ordnung gebracht, und sie war fast verwirrt, wie der Angetrunkene sie endlich losließ, und sie auf ihren Platz fiel, daß er prahlerisch lachte, ehe er sich mit einem Ruck wieder dem Saale zuwandte. Und nun blieb sie an derselben Stelle lange stehen und wagte keinen Blick. Und wieder kam eine Angst über sie. Sie war einige Male drauf und dran, wie unter der Linde, fortzulaufen, aber sie war auch gebannt und wagte nicht. Bis sie fast verstohlen sich hinausdrückte. Es war dunkel im Garten – das Getöse des Saales mit seinem Schein verlor sich im Schatten unter den alten Kastanien, unter denen Tische standen. Sie wollte jetzt doch heimgehen. Da trat wieder etwas aus dem Schatten zu ihr. Sie wäre in der Tat fast ohnmächtig geworden, so schwanden ihr in dem Augenblick die Sinne.

»Mich magst de nee – und mit an sulchen Kerle tanzt de«, sagte eine Stimme zornig. Sie war in solcher Glut, daß ihr zu heiß wurde vor Scham, und fand nicht ein Wort zu erwidern. Es war in einer Partie des Gartens, die am Wasser lag. Eine Grasbank stand da, sie sah zur Erde. Und dann in die im Sternenlicht vorbeischießenden Wellen und seine Hand suchte die ihrige.

»Nee – nee,« sagte sie ganz weich und schüchtern, »wenn ich nu eemol doch heem muß – luß mich – luß mich ock – a andermol – ich kann ja a andermol – meinetwegen will ich au ni so sein, wenn de gut zu mir bist.« Und sie dehnte sich langsam und unentschlossen und blieb doch feststehen, ihre Finger mit dem gesenkten Blicke zählend und hatte in der gänzlichen Verwirrung sogar auf die Grasbank sich niedergelassen. Bis dann zum ersten Male in ihrem Leben an ihr Ohr kam, was ein sehnsüchtiger, huckiger Verliebter in die Sterne und in die rauschenden Wasser, die in der Nacht blinkten und plauderten, heimlich mit fieberglänzenden Augen flüsternd und zitternd redete.


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