Carl Hauptmann
Mathilde
Carl Hauptmann

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Fabrikmänner

In der Fabrik ging es gut. Und wie die Räder schnurrten und surrten, und alles in Bewegung und Lärm und in Vorwärtsdrängen sich abspielte, machten die jungen Direktoren und Werkmeister und auch der Portier fröhliche Gesichter. Sie wußten, man verdiente, nun sollten alle ihren Teil haben. Es gab lange Arbeitszeit, und jeder einzelne Arbeiter trug am Sonnabend guten Lohn heim. Auch die Arbeiter machten gute Mienen, besonders die jungen. Und es ging auf den Sommer zu. Da war auch das Schlendern zum Feierabend wiedergekommen. Und wenn die Stadtuhren sieben schlugen, hastig oder feierlich, je nachdem es aus dem Stadthaus oder von den Kirchen klang – da eilte jung und alt und wußte, wo es sich zu finden hätte. Dann liefen die Mädel in Reihen um die entstehenden Neubaue, wo die jungen Maurergesellen froh warm, sie hinter Schuppen und Ziegelständen zu drücken, oder sie schlenderten ins Feld, paarweise, und manche saßen auf den Bänken, manchmal eine halbe kühle Frühlingsnacht, oder trieben sich lachend und schäkernd auf den Promenadengängen am Wasser und um das rauschende Wehr herum. Daß Mathilde nicht darunter war, gab bald Anlaß zu heimlichem Gered«. Man sah sie nie. Die Mädel ärgerte es, und sie erfanden sich allerhand Gründe, die sie höhnisch und fast innerlich beleidigt ihren Burschen zum besten gaben. »Die hält's mit 'n Grussen«, foppten sie. Und es kam auch in der Fabrik unter den jungen Männern und Weibern herum, »die hält's mit 'n Grussen«. Jeder wußte wohl, daß sie dem und jenem jungen Werkmeister gefalle, der sich mit ihr gern eine heimliche Lust machen würde. »Se is zu stolz mit insereens«, sagten manche. Und man erfand auch gleich wer. Es war nur Gerede. Aber man spannte dann auf den Bewußten und beobachtete sie, obgleich sie noch in der Arbeit die engen, ärmlichen Gemeindehauslumpen trug – und ärmlich und gar nicht nach einem Großen aussah. »Luß dr ock endlich amol a längeres Kleed schenka, Mädel«, höhnten die Mädels. Und sie versuchten, sie zu necken und zu ärgern. Mathilde sah es und hielt an sich, wie sie es im Gemeindehaus einst gelernt hatte. Was die Mädels da redeten, war Gemeinheit. Sie haßte die Brut und mit keiner mochte sie Umgang haben. Und eines Tages kam eine, die wußte zu erzählen, sie wäre eines jungen Kommis Gesponse – denn man wollte sie mit ihm im Dunkel haben verschwinden gesehen. So kindlich und bettelhaft arm sie noch immer aussah. Alles war Gerede, aber man machte sich eine Lust, um die junge, stolze Person einen ganzen Kreis Erfindungen auszustreuen. Sie litt unter dem Hohn, im Grunde störte sie's nicht. Sie dachte, das ist das Leben. Was wollte sie auch tun? Sie litt es, es kaum recht begreifend, weil keine vertraulich mit ihr war – und niemand ihr den wahren Grund aus den neidischen Quellen verraten mochten Sie dachte also: das ist das Leben und kam und ging – tat ihre Arbeit und sah stolzer und stolzer aus.

Und die jungen Männer buhlten heimlich um sie. Wer denkt, daß überall ein freier Sinn das Stolze und Tüchtige nur gewähren läßt, wie reine Bergluft das Aufwachsen eines jungen Baumes, der weiß nicht, daß die Menschen am Seile der Leidenschaften gefesselt und geführt sind. Jeder, der sich nach ihr sehnte, versuchte ihr etwas anzuhängen. Die jungen Burschen schrien ihr Namen nach, die sie vergaß – so schändlich waren sie. Einmal in einer kleinen Schenke, wo man an schmutzigen Tischen Schnaps trank, und der übermäßig dicke Wirt immer die Mütze auf dem Kopf trug, saßen viere, die eine Wette machten, daß sie Mathilde verführen könnten. »Das wer'n mir sehn«, sagte der eine, der Soldat gewesen war – und er wiederholte es noch einmal, als ein andrer vom Trottoir herein in die Schenkstube trat, schwerfällig und mit guten, einfältigen Zügen, der nur sagte: »Tag, Simoneit«, und dann gleich den Schnaps in den Hals goß und schmunzelnd zuhörte. »Das wer'n mir sehn!« rief Simoneit noch einmal. »Die kann noch a su stulz tun, die ha' ich – ei enner Woche, wenn ich wil« – und er riß die dunklen, sicheren Augen prahlerisch in die Höhe und stieß die Mütze in den Nacken, daß ein Strähn loser, dunkler Haare ihm in die Stirn fiel. Und es gab ein Lachen – und ein älterer Arbeiter sagte bedächtig: »Sag ock ni zuviel, Perschla – könnt'st afahren –« und die anderen lachten wieder und schrien: »A Alter wie du, freilich.« Und es kam ein Vergnügen unter die Leute, daß der Wirt auch hinzutrat und wissen wollte – und man erzählte ihm genau, daß sie jung und stolz und böse wäre, wie eine Katze. Und Simoneit schrie: »Ich fang se, wenn se mich au' krallt!« Und der Wirt sagte: »A Mädel, nee, das wär gar – nu ich ha mir au' Rat gewußt« – und er sagte, daß nun die andern noch einmal in helles Gelächter fielen, wie sie den Dickbauch, der sich nur mit mehreren Schritten noch um sich selber drehen konnte, seine Liebesabenteuer erzählen hörten – er sagte: »Je stulzer de Mädeln tun – desto wilder sein se«, und Simoneit schrie noch einmal: »Heinrich, was wettst de, ich ha se ei enner Woche ha ich se« – und sie wetteten.

Es waren alles junge, kräftige Männer, sie waren erhitzt im Gesicht und angetrunken und rücksichtslos – und wie sie hinaustraten auf die Gasse, mußten sich die Passanten vorsehen, weil sie in ihrer Wildheit jetzt auch Lust verspürten, sich am anständigen Rocke zu reiben, und Mädchen und Frauen mußten eilig und ohne sich umzublicken, hinübergehen auf die andere Seite, daß sie nicht Wort und Hohn aus ihnen neu herauslockten. Jung waren sie, und waren doch schon wie die Alten – sie kannten alles zur Genüge – und waren ausgenützt. Keine Seelen, die noch etwas anderes dachten und wünschten, als was kalt und trocken wie ein harter Stein zuletzt in ihren Händen blieb. Sie sahen Blumen nicht blühen – und sahen nicht, daß weiße Wolken am Himmel zogen – hoch über den engen Straßen – und Vögel zogen in den Lüften. Sie gingen hinein noch in die Destille, wo sie um den Schenktisch standen – und tranken sich zu, die Mützen hinten, und lachten und tollten wie oft.

Nur einer hatte nicht gesprochen, aber er war kränklich und schmächtig und klein. Er wußte, daß er nicht aufkam gegen die Gesunden. Deshalb schwieg er. Und vor der Destille hatte er sich von ihnen getrennt und war heimgegangen. Und es nagte an ihm. Er war dann noch einmal bis vor Mathildes Haus gelaufen, um zu sehen, ob er sie treffen könnte, und hatte vor ihren Fenstern gestanden. Derselbe, der sie versucht hatte, anzureden, den sie hart und unbarmherzig abgewiesen. Dem sie einen Zornblick zugeworfen und nie ein Wort mit ihm gewechselt hatte. Es nagte an ihm. Er empfand einen Gram. Er hatte den Wunsch, Mathilde zu warnen. Er versuchte, die Treppe im Hause aufzugehen und dann ging er doch nicht, weil jemand oben aus dem Zimmer trat – er eilte in die Nacht und ging nun tagelang, gequält von einem Gedanken.


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