Carl Hauptmann
Mathilde
Carl Hauptmann

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Wie Mathilde Simoneit das erste Kind geboren

Mathilde lag einsam und verlassen in ihrem kleinen Stübel. Simoneit konnte nicht abkommen. Er war Werkmeister geworden und hatte allerlei Verantwortliches. Und Mathilde gab sich darein. Sie ertrug stumm ihre Mutterschmerzen, daß kaum in dem verschneiten Nebenhäuschen an der Berglehne jemand ahnte, daß sie einen dunklen, schreiigen Jungen schon an der Brust hielt. Ein wimmerndes Stimmchen und runzelig und behaart wie ein Affenkind, so lag es der noch schwachen Mutter im Arme, und sie sah mit weichem, wortlosem Entzücken nieder, und dachte, daß es Simoneit gleichen mußte. Frau Anton kam aus der Nebenwohnung. Sie schüttelte sich den Schnee ab und half einiges für den Abend.

»Setz ock de Kartuffeln uf,« sagte Mathilde mit schwacher Stimme noch, nach den kaum überwundenen Mühen und Schmerzen, »und bring Wurst mit für Simoneit, daß der nee aus der Ordnung kimmt«.

»Freilich – freilich – «. Und Frau Anton sah sich das Jungel an, nahm es heraus, denn es war warm in der Stube. Eben hatte sie auch Feuer im Ofen geschürt und die Töpfe zurechtgerückt. Sie nahm den Jungen in die eine Hand und wog ihn, wie sie sonst auch ihre jungen Ziegen in der Hand wog, die dann auch so widerwillig meckerten und kinderhaft schrien, und lachte und rief der Mutter zu:

»Hust an Guden geboren – der is nee sterblich, Mathilde.«

Und Mathilde lachte schwach und war ängstlich und nahm ihn sorglich wieder unter die Decken – und hüllte ihn selbst, so schwach sie war, in ein flanellenes Bindwerk ein, ehe sie ihren Platz einnahm, sich ruhig hinstreckte, die Augen an die graue Decke geheftet und einsam an Simoneit dachte und an tausend Dinge.

Und die Anton machte an dem Abend alles im Stübel sonst in Ordnung. Sie war eine abgehetzte, kleine, niederträchtige Frau, mager und mit verrunzeltem Gesicht, aber pfiffigen Blicken, die jedes Wort auffing, um ein desto spitzeres zurückzugeben, und die nicht viel mit Würde und Hoffen im Leben zu tun gehabt. Frech und klein und scharf mit der Zunge und gelaunt, immer ein wenig zu schüren, wo es nicht brannte.

»Hahaha – Simoneit hätt' sich au' kümmern kinn'n«, sagte sie. »A niederträchtiger Vater.«

»O Jeses,« sagte Mathilde schwach, »nee, nee, 's ging nee jitzte, wo 'r grade Werkmeester geworn is.«

»Ach, das is 's nee«, sagte die Anton eilfertig und hob die Kartoffeln übers Feuer.

»Ju, ju,« sagte Mathilde, »das is 's grade, nu freilich – was denn sunste?«, die in ihrer Schwäche ganz gläubig war und an Gutes dachte aus dem Glück, was ihr der kleine, heiße Kinderleib an der Brust neu erweckt hatte.

»Ach!« sagte die Anton, die kaum je ein armseliges, bleiches, schmächtiges Kind unterhalten, die es mit schnellem Trost immer wieder in einem billigen Kindersarg eingebettet und der Erde zurückgegeben hatte, und die jetzt mit heimlichen Neide flüchtig auf Mathildes Muttertum niedersah und auch daran dachte, daß Simoneits Arbeit Erfolg hatte. »Ich gleebe, die Mannsen sein ees wie's andere. – Mit 'm Vatersein is 's ni weit har. Meiner war zufrieden, wenn mir se wieder ei'm Sarg hatten. Ich hab de Männer überhaupt uf 'm Striche. 's is keener, wie er soll, und 's Weib hat de Not. – Außerdem is Simoneit ein junger, hübscher Mann, und du sollst uf der Hut sein. Die wullen a Vergnigen ha'n, sulche. Und wenn es erst Kind um Kind hot, schiener werd ma nee«, sagte sie frech; »du siehst au' aus wie Quarg mit Spucke – ach, mein Gott, du, du –«

Aber wie Simoneit heimkam, strich er Mathilde freundlich die Haarsträhne aus der Stirn und lachte ein wenig nieder auf das Kind und war wortkarg aber sanft, weil ihre Augen noch blutgefüllt und entzündlich waren von dem, was sie ohne Hilfe ertragen hatte. Und Mathilde war froh und sah im halben Traume des ersten Abends oft nach dem dunklen, strengen Simoneit, der am Tische lesend, die Stunden daheim blieb und in der Nacht sogar einmal Hilfe leistete, wie das winselnde Geschrei des Jungen lauter hörbar geworden, und Mathilde sich im Bette aufzurichten versucht hatte. Da sprang er, wie er war, aus dem Bette, brachte die kleine Oelfunze auf dem Tische neu in Brand, half der Mutter sich vollends erheben, saß sinnend und verschlafen im Hemde auf dem Bettrand, solange der kleine, haarige Kerl an der Mutterbrust sog und riß – lachte vor sich hin – und einmal Mathilde an, half beide dann sorglich einbetten und deckte ihr auch noch einen Rock über, weil es kalt im Stübel wurde in der Nacht, ehe er in sein knarrendes Bett zurückkroch.


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