Carl Hauptmann
Mathilde
Carl Hauptmann

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Mathilde versöhnt sich mit Simoneit

Mathilde kümmerte sich um die Unruhen nicht.

Sie war daheim geblieben und breitete unten im engen Gärtchen ihre Wäsche aus. Das gab eine Zeit, um sich einmal ins Klare zu bringen. Sie hatte nicht große Gedanken. Und wenn eins der Mädchen vom Flur zu ihr kam und sagte: »Se sein noch immer nee einig,« hob sie die Schultern, war geschäftig und sagte nicht viel. Sie war nicht sehr erschüttert davon, daß es einmal eine ganze Woche keinen Lohn gab. Soviel hatte sie, um zurecht zu kommen. Wahrhaftig, erschüttert sah sie gar nicht aus. Sie war ein frische Frau – kräftig – sie trug einen gewaschenen Leinenrock mit einem bunten Saume, wie eine Bäuerin, und hatte eine lose Jacke an und ein böhmisches Tüchel um die Haare. Ihr Haar war goldig darunter und ihr Blick gleichgültig und nichtachtend. Niemand kam, der ihr lachen machte. Sie war nicht mehr übermäßig jung, nun wohl in die Dreißig und dachte an nicht viel wie an ihre Wäsche. Buntes und Weißes breitete sie über die kleinen gelben Sonnen, die auch hier im engen Gärtchen hinter dem grauen Staket aus dem grünen Grase blühten. Sie war fast lustig anzusehen. Mancher von den Arbeitsjungen, die in den Fenstern standen, sah ihr heimlich zu. Das Lustige war ihre schnelle und freie Bewegung, und daß sie mit ihren kräftigen, nackten Füßen im kühlen Grase stand in goldenen Blüten, und ein verspäteter Kirschbaum seinen Blütenschatten über sie streute. Und auch, daß man sah, wie sie ganz in der Arbeit war und an nichts dachte, sich nicht zernagte wie Simoneit, nur sich niederbeugte, immer neu ein frischfeuchtes, weißes Tuch ausbreitete – dann auch Schürzen und Hemden, ein jedes noch einmal rückte, um für ein letztes auf dem Rasen Platz zu gewinnen, und schließlich drei, vier Maiblumen brach, die sie in der Hand mit ins Stübel nahm, als sie wieder ins Haus schritt.

An diesem Morgen kam Simoneit zu Mathilde. Nein, wie der aussah! Er war ganz verhungert. Wunderlich.

»Hast du nischt zu essen, Mathilde?« sagte er kurz und matt.

»Freilich – nee, nee, Simoneit, was is denn? Was willste denn? Ich war d'r gleich was rufholen.«

Und er blieb sitzen, wie er sich gesetzt, ohne sich zu regen, und Mathilde lief zum Fleischer um die Ecke und holte Einiges. Wie sie wiederkam, regte er sich kaum. Nur seine tiefen, müden Augen verfolgten sie.

»Sie werden mich nausjagen«, sagte er.

»Nu Jeses, du find'st doch überall Arbeit«, sagte Mathilde.

»Nee, nee – hie am Orte nimeh'.«

»Nu, da gihste wo anders hie«, sagte sie unbedenklich.

Und er sagte nichts. Er lachte vor sich hin. Er griff nach dem Brote, das Mathilde ihm schnitt und ihm mit Fett reichlich strich – und er aß – und trank auch gierig dazu – denn Mathilde hatte Bier mitgebracht. Er aß und trank hastig und völlig versunken – und sie gleichgültig mit dem Blicke verfolgend, wie ein Verhungerter.

»Wer bestimmt denn das, daß du naus sollst?« fragte Mathilde, auch dumpf in sein Essen sinnend.

»Sie sagen, ich hätte de Leute ufgehetzt«, murrte er vor sich hin.

»Nu, das huste au'«, sagte Mathilde ganz gelassen. »Wer will dich denn aber aus der Arbeit deswegen glei' verjagen?«

»Wißt de, Saleck und die andern Werkmeester, denen paß ich schun lange ni.«

»Ach so«, sagte Mathilde hart. »Nu ja ja – ich kann mir's denken.«

Und Simoneit aß und trank, als wenn er Wochen nichts mehr gegessen hätte, so verhungert – und so ermattet war er. Er hatte auch die letzten Tage fast gar nicht geschlafen. Und seine Augen waren tief und brandig und von stillem, dumpfem Sinnen erfüllt und wieder auf Mathilde gerichtet.

»Einen Ausweg hätte ich«, sagte er dumpf. »Ich müßt 'm Direktor zu Füßen fallen, hahaha –«

»Laß gutt sein,« sagte sie, »du wirst nee nausgejagt.«

»Wie denn?« sagte er. Sie sah ihn gar nicht an. Eine leichte Röte erfüllte ihr Gesicht. Sie blickte sogar eine Weile wie absichtlich nieder, sie hörte auch seine Frage gar nicht. »Wie sollte denn das kommen?« fragte er noch einmal und sah sie an. Sie tat ganz gleichgültig. »Du werst sicher ni nausgejagt, verluß dich. Das sogen se ock, dich zu schrecken. Aber se tun's ni, sie werden's ni tun.

Sie wußte nicht, was sie sagte, und sah ihn nun an – und Simoneit wurde noch stiller, noch versunkener. Ein Blick, der nicht aus der Gegenwart stammte, kam aus ihm in ihre Augen – und Mathilde sah zu Boden, wie eine jungfräuliche Seele, sann wie zufällig, daß sie in bloßen Füßen stand. Sie nahm dann in der Verlegenheit ihr Tuch vom Kopfe, weil sie Simoneit abhielt, jetzt wieder mit Wäsche, die auf der kleinen Ofenbank bereit stand, hinab ins Gras zu gehen – und eine sittsame Röte feuerte nun auf ihren Wangen. Und sittsam frisch fiel ihr hellblinkendes Haar ungekünstelt um den großen Kopf – und ein schüchternes Nichtrechtwissen, was gleich tun, zuckte um die Lippen, die rot und voll waren und um die Nasenflügel, daß es lange stumm blieb und keins von beiden wußte, was geschah.

»Du hust viel gewagt«, sagte dann Mathilde und sah Simoneit freundlich an, der längst nicht mehr aß.

»Und für was denn?« sagte er entsagend.

»Nu eben, für was denn?« gab sie zurück. »Fleisch und Blut is immer dasselbe – und gut hat's doch Kee's«, setzte sie dazu.

Und es war wieder still. Es war ein ungewisses und leises Sichverstehen, dem man entfliehen wollte, daß auch die Blicke sich mieden. Simoneit spielte mit dem Messer im Salznapf auf dem gewaschenen Tische, und Mathilde zog einige nasse Wäsche aus dem Schaffe, um sie auf dem Ofengestänge aufzubreiten.

»Du bist überhaupt a wilder«, sagte sie dann plötzlich, wie sie sich zurückwandte, nachdem sie sich zum Ofengestänge emporgereckt hatte, und ihn jetzt ganz besonders gütig ansah, klar und gütig – als wenn sie ihm unerwartet alles vergäbe. Simoneit sah sie fast mit furchtsamem Erstaunen an; dann schien sein Blick ruhiger – ganz unerwartet auch, ohne daß er groß was sagte. Er wußte schon, nun war alles ausgelöscht zwischen ihnen beiden. Denn in ihr war ein lange, dunkle Stille gewesen, sie hatte zurückgeblickt in frühe Jahre, wo sie einmal seine Hand am Busentuch gefühlt, wie er sie fast wie ein verliebtes Tier in der Dunkelheit an der Parkmauer angefallen hatte, damals als sie zu Saleck lief. »Du bist überhaupt a wilder«, hatte sie dann gesagt, ganz gütig, ganz plötzlich. Als wenn sie hinzusetzte:

»Aber ich verstehe dich jetzt.«

Es war kein großes Reden. Er blieb eine Stunde und mehr. Mathilde sah ihn an, im Grunde fern noch eine leise Scheu. Sie kam ihm nicht nahe – und er hätte es nicht gewagt, und sie war doch zum ersten Male froh, daß er bei ihr war.

Nur dann und wann kam ein Wort von Mund zu Munde, und der Blick Mathildes traf Simoneit, und Simoneits Spannung wich.

»Ich ha viel gewagt«, sagte er wieder – »und fir was? Aber, wenn se mich nausjagen – ich war schon 'n Weg finden.«

»Du wirst 'n Weg finden –« sagte Mathilde ruhig. »Und se werden dich nee nausjagen – «, sagte sie mit einem plötzlichen Haßblick nach etwas Unsichtbarem. »Sicher nee« » – und wenn se dich nausjagen – « setzte sie hinzu, aber sie vollendete nicht.

Es war wieder Stille, wonach Simoneit dumpf brütete: »Is's denn wahr, Mathilde?«, sagte er mitten ins Dumpfe hinein: »Is denn wahr, was die Leute reden – wegen dem Schreiber?«

»Frag mich nee«, sagte sie streng.


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