Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Nachschrift

Es ist ein schöner Brauch unter guten Menschen, die sich lieben und getrennt sind, daß sie gewisse Tage des Jahres festsetzen, in welchen sie sich von nahen und entfernten Orten her sammeln, sich wiedersehen und die Strahlen ihrer Liebe von neuem an der allgemeinen Flamme anzünden. So halte ich es seit langen Jahren mit meinen Freunden, die das Schicksal nach Ost und nach West verschlagen. Auch heuer war ich hingereist an den Ort, den wir zu unserem Rendezvous bestimmt hatten. Als ich an dem stattlichen Weißen Hirsch in B. vorfuhr, lagen schon manche Fenster voll, und wie wohl tut da das freundliche, jubelnde »Er ist's, er ist's«, das von schönen Lippen herab dem Freunde entgegentönt!

Ich traf sie alle, alle meine Lieben, da war meine holde, sinnige Doralice und ihr Stern, da war die lose, naive Vally und ihr Geheimer Kriegsrat, da war Graf Law und seine Klementine, da war meine süße Mimili, da war Herr von Estavayé mit seinem Elsi, da war mein russisches Lisli, selbst Sponseri, mein lieber Sponseri, ich hieß ihn nur immer den Grünmantel, hatte sich aus Venedig eingefunden, und Emeline Mellinger mitgebracht, da war auch Fanny und ihr Graf, der Generalbevollmächtigte, Kilian mit Julchen. Da war Molly und ihr Justizrat, da war die herzige Pina und ihr Gatte, Agnes und Rose, Rosamunde und der Graf Oliva, das liebe Dijon-Röschen, Klotilde und ihr Sekretär. – Meine Freude war unaussprechlich, ich flog wie ein Ball von einem Arm in den andern und das Küssen wollte gar kein Ende nehmen. Endlich faßte man sich, daß es doch zu einem vernünftigen Gespräch kam. Freilich trübte der Tod unserer Magdalis und ihres treuen Willibald, die uns im Leben so nahestanden und auch nach ihrem Tode so innig verschwistert mit uns fortleben, die ersten Augenblicke des Wiedersehens; aber nachdem wir ihnen das Totenopfer inniger Tränen geweiht, kehrte die holde Freude wieder bei uns ein.

Wir tollten, lachten und schäkerten, der Weiße Hirsch faßte kaum so viele Gäste und manches Pärchen mußte sich mit einem Bettchen behelfen.

So lebten wir schon seit zwei Tagen in Saus und Braus und brachen dem Weißen Hirschwirt beinahe das Haus ab, da – wir saßen gerade beim Kaffee, da fuhren Wagen vor; wir drängten uns alle an die Fenster und schlugen den fremden Menschenkindern ein Schnippchen, denn – gut Essen und Trinken konnten sie wohl bekommen, aber Betten, – Logis, – ohne unsere Bewilligung kein Fleckchen und landfremde Leute mochten wir gerade nicht gerne unter uns haben. In einem prächtigen Landau mit vier Postpferden bespannt, saß ein Herr und eine junge Dame; sie hoben die Köpfe in die Höhe –

»Mein Gott, das ist ja Graf Martiniz«, rief ich, und zugleich rief Vally, »Ei der Tausend, das ist ja Ida Sanden.« Ich sprang gleich hinab um sie heraufzuführen; sie folgten willig nebst noch drei andern ältlichen Herren, welche der zweite Wagen entladen hatte. Ida und Vally flogen einander in die Arme; sie hatten sich in der Residenz wo Vally lebt, kennengelernt, und liebten einander innig. Der Graf zog mich zu den beiden jungen Damen, um welche die übrigen schon einen dichten Kreis geschlossen hatten. »Sehen Sie«, sagte er zu mir, »das ist seit gestern mein liebes Frauchen.«

Da fanden sich also alte Bekannte zusammen. Ich hatte den Grafen in Hamburg kennengelernt. Damals faßte ich tiefe Zuneigung zu ihm, sie wurde zur Freundschaft, und er gestand mir seine schreckliche Leiden. So wenig ich an solche Visionen glaubte, so war ich doch der Meinung, daß ihn Liebe zu einem guten, reinen Mädchen zerstreuen, retten könnte; und wie herrlich hatte sich dieses gemacht; er war fröhlich, selig, war durch die Liebe dieses Engels der Menschheit wieder geschenkt.

Auch in den drei andern Gästen, der Leser wird unschwer den alten Martiniz, den Präsidenten und den Hofrat in ihnen erkannt haben, lernte ich wackere, liebenswürdige Männer kennen. Schon den ersten Abend war es uns allen, als haben wir das holde Pärchen schon jahrelang gekannt, so trefflich paßten sie zu unserem Sinn, zu unserem ganzen Wesen. Der junge Graf erzählte uns seine Geschichte, und wenn wir bedachten, wie zufällig er nach Freilingen, wie zufällig er auf jenen Ball, wo er Ida fand, gekommen war, wie ebenso zufällig der alte Oheim auf einer Geschäftsreise diese Gegenden berührt, dem Neffen eine Überraschung bereiten wollte, und als Deus ex machina mitwirkte, und die Ränke der bösen Aarstein vereiteln half, wahrlich wir mußten diese Fügungen bewundern, und fanden den alten Spruch bestätigt:

»Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme.«

Noch zwei Tage blieb das junge Paar unter uns, und reiste dann, als auch wir alle uns wieder nach Ost und nach West zerstreuten, weiter:

Noch in der letzten Stunde erlaubte mir Emil, seine Geschichte der Welt zu erzählen.

Es soll mich innig freuen, wenn ihre innige, treue Liebe Beifall findet, sie sind es wert; alle die sie kennen, lieben sie, und ich darf sagen, sie sind ein Herz, eine Seele mit mir, sie sind auch wieder durch den Zug des Herzens, ganz die meinigen geworden.

H. Clauren


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