Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Reue und Liebe

»Und nun noch eine Bitte«, sagte der glückliche Graf zu seinem Retter und Ratgeber; »jetzt noch eine Bitte; ich habe dem armen Kind diese Tage her so wehe getan; ich sah es ihr an, wie ich ihr Herzchen gebrochen habe, lassen Sie es mich heute noch gutmachen!«

Der alte Herr meinte zwar, es möchte heute schon zu spät sein und er solle seine Ungeduld bis morgen zügeln, aber der Graf bat immer dringender. »Kann ich es dulden, daß sie noch eine Nacht mir böse ist, daß sie auch nur noch eine Träne über mich weint? Nein, heute abend noch bitte ich ihr ab, was ich gefrevelt habe; aber in dem Salon, wo die Gräfin, die an allem Unheil ganz allein schuldig ist, auf mich lauert, macht sich eine solche Versöhnung nicht gut; Sie müssen mir schon dazu helfen. Gehen Sie hinüber, wenn ich nicht irre, hat Ida versprochen, Ihnen ihre Zeichnungen zu zeigen. Ich schleiche nach, wenn sie mit Ihnen hinaufgeht, und vor Ihnen habe ich mich ja nicht zu genieren.«

»Will dir auch den Platz ganz und gar nicht versperren. Nun in Gottes Namen, komm. – Wenn so ein Herzchen von vierundzwanzig Jahren siedet und hämmert, da hilft es nichts mehr, zu raten und zu predigen. Das Hammerwerk geht fort, ob so ein alter Meister Dieterich ›Halt‹ sagt oder nicht. Aber das sage ich dir, den fatalen Frack da ausgezogen und dein Kollett an, den Familien-Ehrensäbel umgehängt, daß du auch etwas gleichsiehst; darfst dich, weiß Gott! vor König und Kaiser darin sehen lassen, darum tritt als Soldat auf, wenn du dein Mädchen zum erstenmal ans Herz drückst.«

»Zum erstenmal ist es nun nicht«, lachte der Graf, indem er den goldenen Säbel umschnallte, »aber leider war die erste Umarmung gleichsam das unterbrochene Opferfest unserer Liebe, denn die Gräfin kam dazwischen, als ich schon den Mund zum ersten Küßchen spitzte.«

»Kamerad, das hast du schlecht gemacht«, belehrte ihn schmunzelnd der alte Theresienritter, »wenn man einmal so weit ist, so muß ausgeküßt werden und wenn eine Kartätschenkugel zwischen durch fahren wollte, so stand es wenigstens im Reglement zu meiner Zeit, denn es ist in der Natur nichts Schädlicheres und Fürchterlicheres, als ein unterbrochener Kuß.«

Der Graf versprach, folgsam zu sein und sich ein andermal streng an das Reglement des alten Herrn zu halten.

In Präsidents Haus war man beim Tee versammelt, als der alte Herr von Ladenstein hinüberkam. Die Gräfin wollte ihn sogleich ins Gebet nehmen und schmälen wo denn die Herren heute alle bleiben, er aber gab ihr kurz zur Antwort, daß die Bewohner des Mondes und einige andere Herren auf der Jagd gewesen seien. Sie fragte sehr witzig, ob man doch keinen Bock geschossen habe; und wollte sterben vor Lachen über ihr eigenes Bonmot. Der Alte aber dachte: lache du nur immer zu, wenn du wüßtest, wie nahe dich der Bock angeht, der geschossen worden ist, du würdest nicht lachen; doch wer zuletzt lacht, lacht am besten!

Er erinnerte Ida an ihr Versprechen, ihm ihre Zeichnungen und Malereien zu zeigen. Sie nickte freundlich ein Ja und flog vor ihm die Treppe hinan, daß er kaum folgen konnte. Es sah etwas kunterbunter in dem Zimmer aus, das sie, weil sie der Gräfin Platz machen mußte, einstweilen bewohnte. Sie entschuldigte sich daher bei dem alten Herrn: »Machen Sie doch nur keinen falschen Schluß auf meine Ordnungsliebe, lieber Ladenstein«, sagte sie, »aber die Gräfin hat uns aus aller Ordnung herausgejagt und besonders mir kam sie gar nicht sehr geschickt, denn sie hat mich aus meinen vier Wänden, die ich so hübsch eingerichtet hatte, herausgejagt, und nicht eher geruht, bis ich hier heraufzog.«

»So, das hat die Gräfin gewollt?« sagte der Alte, dem es immer klarer aufging, daß jene ein falsches Spiel spiele; er schrieb es sich ad notam, um den Grafen noch mehr zu überzeugen. Sie schloß jetzt ihre Mappe auf und breitete ihren Schatz vor ihm aus. Der Alte vergaß auf einige Augenblicke, daß er ja dies alles nur als Vorwand gebrauchen wollte; er war Kenner und ein wenig streng gegen die gewöhnlichen Dilettantinnen in der Kunst; er konnte es nicht ausstehen, wenn man die grellsten, fehlerhaftesten Zeichnungen, wenn sie nur von einer schönen Hand waren, »wunderschön und genial gedacht« fand; er hatte hundertmal gegen diese Allgemeinheit der Kunst geeifert, wodurch sie endlich so gemein würde, daß ein jeder Sudler ein Raffael, oder jede Dame, die den Baumschlag ein wenig nachmachen konnte, ein Claude Lorrain würde. Aber hier bekam er Respekt! Da war nichts übersudelt oder schon als Skizze weggeworfen; nein, es war alles mit einem Fleiß behandelt, mit einer Sorgfalt ausgeführt, die man leider heutzutage selten mehr findet, und die man gerade an den größten Kunstwerken alter Meister so hochschätzen muß.

Des Mädchens tränenschwere Miene, die seit einiger Zeit sie selten verließ, heiterte sich unwillkürlich auf, als sie sich von einem so tiefen Kenner, als welcher der alte Herr sich zeigte, belobt, sogar bewundert fand; er stieß auf Kartons, zu denen sie sich als Urheberin bekannte und sie waren alle meisterhaft, er wand das letzte Blatt in der Mappe um, und hielt überrascht inne; sie wollte ihm die Zeichnung entreißen, sie bat, sie flehte – es half nichts, es war ein zu bedeutendes Aktenstück, als daß er es hätte unbetrachtet aus den Händen gelassen. Es stellte eine ihm unbekannte Kirche vor, am Altar stand eine hohe erhabene Figur – bei Gott bis zum Sprechen ähnlich – Emil; der tiefe wehmütige Ernst, der sonst in seinen Zügen lag, war herrlich aufgefaßt und wiedergegeben. Man fürchtete, wenn man in diese Züge sah, ein namenloses Unglück zu erfahren, das auf den feinen Lippen schwebte; zur Seite standen zwei Männer, wovon er nur den einen kannte, es war der alte Brktzwisl; auch in diesem nichts weniger als malerischen Gesicht war die ehrliche Gutmütigkeit, die innige, ergebungsvolle Teilnahme an dem Schicksal seines Herrn trefflich ausgedrückt; weiter im Hintergrund sah man zwei Figuren, die, weil sie im Schatten standen, kaum flüchtig angedeutet waren; doch glaubte er in der einen die Zeichnerin selbst zu erkennen. An dem Bilde war außer der Ähnlichkeit der Gesichter und der gelungenen Anordnung der Gruppen auch die Verteilung des Lichtes höchst genial ausgeführt; es war nämlich Nacht in der Kirche und die Helle ging nur von einer trübe brennenden Laterne aus, so daß nun die wunderherrlichen Licht- und Schattenpartien, das Verschweben der Helle im Dunkel auf ergreifende Weise angegeben war.

Die Zeichnung an sich hätte seine innigste Bewunderung erregt, aber er kannte auch gar wohl den Moment, der hier dargestellt war; er kannte die Gestalt, die sich so bescheiden ins Dunkel gestellt hatte; es war die Retterin seines geliebten Jünglings; gerührt sah er zu ihr herab, auch sie war tief ergriffen. War es der furchtbare Moment des Wahnsinns, wie sie ihn erlebt und gesehen hatte, war es der Gedanke, daß der, den sie rettete, der nachher aufgelöst von Dankbarkeit nur ihr gehört hatte, daß dieser auf die ersten Lockungen einer Kokette sie verlassen hatte? – sie stand, das holde Amorettenköpfchen tief gesenkt, voll Wehmut da; Träne um Träne stahl sich aus ihren Augen und rieselte über die Wangen herab.

Er sah sie einige Augenblicke an und teilte stillschweigend ihren Kummer. Doch er konnte ja alles gutmachen, er konnte die Tränen in Lächeln verwandeln. »Sein Sie nur ruhig, gutes, herziges Kind; der tolle Patron da, den Sie so gut getroffen haben, der soll Ihnen abbitten, soll alles wieder gut machen. –«

Sie sah fragend an ihm hinauf und schüttelte dann wehmütig lächelnd das Köpfchen, als wollte sie sagen: »Das ist jetzt alles vorbei und hat ein Ende.« Er aber ließ sich nicht aus seinem Konzept bringen, »Wetten wir diese Zeichnung«, sagte er, »der undankbare Junker Obenhinaus muß heran und muß wieder brav und mild sein und seine Ida lieb–«

Das Mädchen ward feuerrot, »Herr von Ladenstein«, sagte sie, zwischen Wehmut und Unmut kämpfend, »ich hätte nicht geglaubt, daß Sie –«

»Nun, wenn Sie nicht glauben, so muß ich Ihnen den Glauben in die Hände geben«; damit schritt er zur Türe und riß sie auf.


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