Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Das Tête-à-tête

Solange er da war, war es dem Grafen und Ida ziemlich leicht zumut: zwar prickelte es beiden ein wenig ängstlich im Herzen, denn das Wiedersehen nach einem so wichtigen Moment, wie die gestrige Mitternacht war, führt immer eine kleine unabweisbare Verlegenheit mit sich; man ist nicht sicher, den Ton gleich wiederzufinden, in welchem man sich verlassen hat. Denn das ist keinem Zweifel unterworfen, daß man wie in jedem Gespräch, so auch in dem Flüstern der angehenden Liebe abends wärmer ist, und in einer Viertelstunde weiter kommt, als den Morgen nachher, wo schon der Verstand mehr mit der Phantasie über die Haushaltung rechnet. Daher war es Martiniz auf den ersten Augenblick des Alleinseins mit Ida bange; er war so traulich von ihr geschieden, er hätte ihr gestern abend alles, alles sagen können, wovon sein Herz so voll war – und jetzt, jetzt hatte er wieder allen Mut verloren. Er hatte mit den ersten Damen von vier großen Reichen gescherzt und gelacht, ohne sich von den imposantesten Schönen verblüffen zu lassen – wo war sein Mut, seine Gewandtheit diesem Mädchen gegenüber. Es war aber auch unmöglich, bei dem Engelskind die Fassung zu behalten; – erfreute der herrliche Tannenwuchs, das Ungezwungene, Graziöse der Haltung, das Auge, war man beinahe geblendet von dem Lilienschnee der Haut, von der jungfräulichen Pracht des Alabasterbusens, war man entzückt von dem Rosensamt der blühenden Wangen, von den zum Kuß geöffneten Korallenlippen, war man wunderbar bewegt von dem lieblichen Kontrast, den ihre brand-brand-brand-raben-raben-kohlen-dintenschwarzen Ringellöckchen und orientalisch geschweiften Brauen mit den Zyanenaugen machte, war man hingerissen von dem Zauberlächeln, das die Grübchen in den Wangen, die Perlen hinter dem schöngeformten Mund zeigte, hätte man hinfliegen mögen, die zarte Taille mit dem einen Arm zu umfangen, mit dem andern das Amorettenköpfchen recht fest Mund auf Mund zu drücken – oh! so durfte sie ja nur das Auge aufschlagen, durfte nur jenen Blick voll jungfräulicher Hoheit auf den sündigen Menschen und seine Begierden herabblitzen lassen, so schlich man sich so duchs und geschmiegt hinter die Grenzbarrieren der Bescheidenheit zurück, als haben einen zehn Paßvisitatoren und zwanzig Gensdarmes dahinter zurückgedonnerwettert. – Das ist der Zauber reiner Jungfräulichkeit. Man sage, was man will von Verdorbenheit der Sitten und daß kein reputierliches Frauenzimmer mehr allein, auch nur eine Meile weit, reisen könne; an den Männern liegt es wahrhaftig nicht, sondern an jenen selbst, die ohne den Schutz- und Geleitsbrief jungfräulicher Reinheit in Blick und Mienen hinausgehen. Der Graf war kein solcher Geck wie viele unserer heutigen jungen Herren, welche glauben, jedes Herz, das sie lorgnettieren, müsse auch unwillkürlich von ihrer interessanten Erscheinung hingerissen sein. Nein, seinem scharfen Auge war es nicht entgangen, wie Ida diese saubern Herren, als sie sich mit ihrer dreisten, handgreiflichen Unverschämtheit an sie drängten, hatte ablaufen lassen; wenn auch ihm keine solche Zurechtweisung bevorstand, wenn er sich auch schmeicheln durfte, von diesem Phönix von Mädchen vor allen ausgezeichnet worden zu sein, wenn er sich auch eines höhern Wertes bewußt war, wer stand ihm dafür, daß nicht dieses Mädchen, das gewiß auf ihre Freundschaft einen hohen Wert legte, sich tief beleidigt fühlen werde, wenn er zärtlichere Gefühle äußerte, wer stand ihm dafür – zwar der Hofrat hatte es ihm zu dutzend Malen mit den fürchterlichsten Eiden geschworen, daß es nicht so sei, aber was wußte der Hofrat von den Heimlichkeiten eines tiefen Mädchenherzens, wer stand ihm dafür, daß sie nicht schon einen anderen, würdigeren lie–

Nein! er konnte den Gedanken nicht ertragen; die ganze Nacht hatte es ihn gepeinigt; die guten Betten, über welche er jeden Morgen der Frau Mondwirtin viel Schönes gesagt hatte, waren hart und schneidend, wie die Latten, auf welche er sonst seine ungezogensten Ulanen geschickt hatte; die Kopfkissen – Jakobs Stein muß ein Eiderdunpfühl dagegen gewesen sein, denn er konnte ja darauf schlafen und sogar eine Himmelsleiter träumen, die ihn in den Himmel – es peinigte ihn den ganzen Morgen und Vormittag, bis er endlich den Riesenentschluß faßte, sich Gewißheit zu verschaffen.

Noch auf der Treppe hatte er Löwenmut, er stieg die Stufen hinan, als wären es die schiefen Seiten einer feindlichen Batterie; noch solange der Papa dabei saß, flüsterte er sich zu, daß er mehr Mut besitze, als er gedacht habe; ihr Blick schien ihm heute besonders glänzend, schien ihn selbst aufzumuntern, aber nein, es war ja nur das gewöhnliche freundschaftliche Wohlwollen; er wünschte den Papa zum Henker oder in seine Kanzlei, und doch hätte er ihn, als er ging, beim Frackzipfel nehmen und festhalten mögen; jetzt Mut! – aber es schnürte ihm die Kehle zusammen, er konnte nicht anfangen, alles schien ihm zu gemein, zu trivial für diese Stunde –

»Warum so still und trübe, Martiniz«, fragte Ida, als der Graf noch immer keine Worte finden konnte. »Sie sind doch wohl nicht krank?« Wie wohl tat ihm diese Teilnahme! – Das Gespräch war eingeleitet und dennoch konnte er nicht weiter. Da fiel ihm auf einmal ein Gedanke ein – er beschloß ihn auszuführen; er nahm noch einmal das Thema von vorhin auf und ging die Landsitze, die ihm angeboten worden waren, einzeln durch; auf allen war Idchen bekannt; und wie unendlich hübsch stand es dem Mädchen, wenn sie so von der Landökonomie so kunterbunter plapperte, wie ihr das Schnäbelchen gewachsen war. Es war ihm, als säße er schon mit ihr abends vor der Türe seines Schlößchens, die Kinderchen alle um ihn her im Gras, wie es auf seines Vaters Schloß gehalten wurde, und neben ihm, neben ihm Ida als züchtiges, hübsches, allerliebstes Frauchen; und wie sie dann – nein, es war zu hübsch, wenn er es sich so vorstellte – wenn sie dann sorglich die Kinder hineinschickte – und selbst aufstand – und ihn bei der Hand nahm – und die andere Hand ihm auf die Stirne legte – und, ja – und dann sagte: »Männchen, es macht hier unten schon etwas kalt, wollen wir nicht zu Bet–«

»Da sitze ich schon ein gutes Halbviertelstündchen«, unterbrach Ida mit fröhlichem Lachen sein Selbstgespräch »und sehe Ihnen zu, wie Sie so gar nachdenklich sind, als wollten Sie die Quadratur des Zirkels ausklügeln, wo haben Sie nur Ihre Gedanken, gewiß saßen Sie schon auf irgendeinem Landgut und sannen nach, wie lustig Sie sich dort die Tage vertreiben wollen?«

»Ach«, antwortete Emil, »so lustig wird es wohl dort nicht werden, wenn man so allein, so ganz allein auf der Erde ist.«

»Nun, das kömmt ja nur auf Sie an, Sie können sich die Einöde froh machen, können Freunde zu sich bitten –«

»Freunde?« fragte Martiniz mit sonderbarem Ausdruck der Stimme; »es ist wohl etwas Gutes um Freunde, aber sie kommen und gehen; und das Herz verlangt nach etwas Bleibendem.« – »Wer bedenkt«, antwortete Ida mit gerührtem Blick auf den jungen Mann, »wer bedenkt, wieviel Sie schon verloren haben, wird Sie um diese Ansicht nicht schelten; Sie haben recht, es ist nichts Bleibendes auf der Erde.« So hatte aber der Graf auch wieder nicht gemeint. »Nein«, sagte er, »es hieße dem Leben seinen schönsten Reiz ablügen, wollte man dies so streng behaupten, etwas ist, was dem Mann in jedem Wechsel bleibt, Ihnen darf ich es sagen, was ich meine; Ihnen, die in dem ersten Augenblick dem Unglücklichen ihre zarte Teilnahme schenkte, die durch die zarten Bande der Gastfreundschaft mein Herz wieder für die edlen Freuden der Geselligkeit öffnete, die, wenn alle Menschen mich verkannten oder über mein Unglück spotteten, mir treue Teilnahme und reichen Trost gewährten, die mir aus gläubiger, frommer Freundschaft selbst in jene Schreckensstunde, die mich von den Menschen verbannte, nachfolgte, die den Fluch von mir nahm, der mich von Land zu Land rastlos fortscheuchte, dir, du reines, holdes, ewig heiteres Engelskind darf ich sagen, was mir fehlt, du hast mir ja immer geholfen, mir fehlt – sei du es mir – ein liebes Weib –«

Mit steigendem Erstaunen war Ida der Rede Emils gefolgt – ihr Auge hing an seinen Lippen, ihre Hand zitterte in der seinigen, denn sie meinte nicht anders, als ein neues noch furchtbareres Geheimnis zu vernehmen. Mit einem Schrei der Überraschung, der Freude, der Verlegenheit, flog sie daher vom Stuhle auf, als er endete. – »Herr Graf – Marti–« stammelte sie in steigender Verlegenheit, ihr Gesicht brannte in den hohen Gluten bräutlicher Scham.

»Mein Mädchen, meine Ida«, flüsterte Martiniz und zog sie zu sich herab in seine Arme, er nannte sie mit den süßesten Schmeichelnamen, »O laß mir noch einen Glauben, noch eine Hoffnung. Laß mir noch einen Trost, den deiner Liebe« – »Mein Emil!« hauchte sie aus den süßen Lippen hervor – und der Graf preßte sie in stürmischem Entzücken an die Brust, wollte eben den ersten, heiligen Kuß reiner Lie–

Da schmetterten Posthörner die Straße herab, ein schwerer Reisewagen rasselte dröhnend über das Pflaster und hielt vor des Präsidenten Haus, aufgeschreckt wie ein Reh flog Ida aus des Grafen Armen und riß das Fenster auf – aber erbleichend trat sie zurück – »Mein Gott im Himmel!« rief sie, »es ist die Gräfin Aarstein.« – Die Saat des Bösen reift schnelle.


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