Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Die Mondwirtin

Im Goldnen Mond drüben ging es hoch her. Drei Zimmer in der Beletage vorn heraus hatte schon lange Zeit kein Fremder mehr gehabt; die Mondwirtin hatte daher alles aufgeboten, um diese Zimmer so anständig als möglich zu dekorieren. Das mittlere hatte sie durch einen eleganten Armoir zum Arbeits-, durch ein großes Sofa zum Empfangzimmer eingerichtet. Das links nannte sie Schlafkabinett, das rechts, weil sie ihren ganzen Vorrat überflüssiger Tassen und eine bronzierte Maschine auf einen runden Tisch gesetzt hatte, das Teezimmer. Auch an der Table d'hôte, wo sonst nur einige Individuen der Garnison, einige Forst- und Justizassessoren, Kreissteuereinnehmer und dergleichen, selten aber Grafen saßen, waren bedeutende Veränderungen vorgegangen. Zum Dessert kam sogar das feinere Porcellain mit gemalten Gegenden und die damaszierten Straßburger Messer, die sonst nur alle hohe Festtage aufgelegt wurden.

Daß ihr angesehener Gönner und spezieller Freund, der Hofrat Berner, jetzt im Mond statt zu Haus essen wollte und augenscheinlich dem Grafen zu Ehren zog einen neuen Nimbus um die Stirn des letzteren in den Augen der Frau Mondwirtin. Sie war ganz vernarrt in ihren neuen Gast; schon als er in dem herrlichen Landau mit den vier Postpferden den aus Leibeskräften blasenden Schwager darauf, vorfuhr, als der reichbordierte Bediente dem jungen Mann heraushalf, sagte sie gleich zu ihrem Ehezärter: »Gib acht, das ist was Vornehmes.«

Als sie aber dem Brktzwisl, so nannte sich der gute alte Diener, die Kommoden in den drei Zimmern öffnete, ihm die Kleider und Wäsche seines Herrn aus den Koffern nehmen, sortieren und ordnen half, da schlug sie vor Seligkeit und Staunen die Hände zusammen. Sie hatte doch von ihrer Mutter gewiß recht feine, sanfte Leinwand zum Brauthemdchen bekommen, aber das war grober Zwillich gegen diese Hemden, diese Tüchter – nein, so etwas Extrafeines, Schneeweißes konnte es auf der Erde nicht mehr geben, wie dieses.

Es ist kein übles Zeichen unserer Zeit, wo der Edelmann seinen Degen abgelegt hat, und Grafen und Barone im nämlichen Gewand wie der Bürgerliche erscheinen, daß die Frauen dem Fremden, der zu ihnen kommt, nach dem Herzen sehen, das heißt nach seiner Wäsche. Ist sie grob, unordentlich oder gar schmutzig, so zeigt sie, daß der Herr aus einem Hause sein müsse, wo man entweder seine Erziehung sehr vernachlässigte oder selbst malproper und unordentlich war; wo aber der bläuliche oder milchweiße Glanz des Halstuches, die feinen Fältchen der Busenkrause und des Hemdes ins Auge fällt, da findet gewiß der Gast Gnade vor den Augen der Hausfrau, weil sie selbst immer dieses Zeichen guter Sitte ordnet und aufrechterhält.

Auch die Freilinger Mondwirtin hatte diesen wahren Schönheitssinn, diese angeborne Vorliebe für schönes Linnenzeug in ihrer oft schmutzigen Wirtschaft noch nicht verloren. Daher der ungemeine Respekt vor dem Gast, als sein Diener ihr die feinen Hemden dutzendweis, bald mit geglockten, bald mit gefältelten Busenstreifen, bald mit, bald ohne Manschetten aus den geöffneten Koffern hinüberreichte. Und als er vollends an die Unzahl von Hals- und Sacktüchern kam, wovon sie jedes zum höchsten Staat in die Kirche angezogen hätte, da vergingen ihr beinahe die Sinne: »Ach wie fürstlich ist der Herr ausgestattet; das hat gewiß die gnädige Frau Mama ihm mitgegeben?«

»Der tut schon lange kein Zahn mehr weh«, gab Brktzwisl zur Antwort.

»Ist sie tot, die brave Frau, die so schöne Linnen machte?« sagte die mitleidige Mondwirtin; »aber die gnädige Fräulein Schwestern haben –«

»Hat keine mehr; vor einem Jahr starb die Gräfin Crescenz.«

»Auch keine Schwester mehr? der arme Herr! aber auf solche exquisite Prachtwäsche verfällt kein junger Herr von selbst; ich kann mir denken, der gnädige Herr Papa Exzellenz –«

»Ist schon lange verstorben«, entgegnete das alte Totenregister mit einem Ton, vor welchem der Wirtin die Haut schauderte. »Der arme junge Herr!« rief sie, »was hat er jetzt von seinem schönen Linnenzeug, wenn er nach Haus kommt und trifft keine Mutter mehr, die ihn lobt, daß er alles so ordentlich gehalten und keine Fräulein Schwester, die ihm das Schadhafte flickt und ordnet. Jetzt kann ich mir denken, warum der gnädige Herr immer so schwarz angezogen ist und so bleich aussieht, Vater tot, Mutter tot, Schwester tot, es ist recht zum Erbarmen –«

»Ja, wenn's das allein wäre«, seufzte der alte Diener und wischte sich das Wasser aus dem Auge, doch, als hätte er schon zuviel gesagt, zog er murrend den zweiten Koffer, der die Kleider enthielt, heran und schloß auf. Die Wirtin hätte für ihr Leben gerne gewußt, was sonst noch für Unglück den bleichen Herrn verfolge, daß der Verlust aller Verwandten klein dagegen aussehe, aber sie wagte nicht, den alten Brktzwisl, dessen Name ihr schon gehörig imponierte, darüber zu befragen, auch schloß der Anblick, der sich jetzt darbot, ihr den Mund.

Die schwarze Kleidung hatte ihr an dem ernsten stillen Gast nicht so recht gefallen wollen, sie hatte sich immer gedacht, ein buntes Tuch, ein hübsches helles Kleid müßten ihn von selbst freundlicher machen; aber da blinkte ihr eine Uniform entgegen – nein! sie hatte geglaubt, doch auch Geschmack und Urteil in diesen Sachen zu haben; sie hatte in früherer Zeit, als sie noch bei ihrer Mutter war, die Franzosen im Quartier gehabt, schöne Leute, hübsch und geschmackvoll gekleidet; später, als sie schon auf den Mond geheiratet hatte, waren die Russen und Preußen dagewesen, große stattliche Männer wie aus Gußeisen; freilich hatten sie nicht die lebhaften Manieren wie die frühern Gäste, aber die knappsitzenden Spenzer und Kutkas waren denn doch auch nicht zu verachten; aber vor der himmlischen Pracht dieser Uniform verblichen sie samt und sonders zu abgetragenen Landwehr- und Bürgermilizkamisölern. Sie hob den Uniformsfrack vom Sessel auf, wohin ihn Brktzwisl gelegt hatte und hielt ihn gegen das Licht; nein, es war nicht möglich, etwas Schöneres, Feineres zu sehen als dieses Tuch, das wie Samt glänzte; das brennende Rot an den Aufschlägen, die herrliche Posamentierarbeit an der Stickerei und den Achselschnüren!

»Das ist die polnische Garde bei uns zu Haus in Warschau«, belehrte sie der alte Diener, dem dieser Anblick selbst das Herz zu erfreuen schien. »Möchte man da nicht gleich selbst in die mit Seide gefütterten Ärmel fahren und das spannende Jäckchen zuknöpfen? und weiß Gott! so wie mein Herr gewachsen, war keiner unter allen! der Schneider wollte sich selbst nicht glauben, daß die Taille so fein und schmal sei, gab noch einen Finger zu und brachte unter Zittern und Zagen, es möchte zu eng sitzen, sein Kunstwerk; aber Gott weiß wie es zugeht, sie war zwar über seine breite Heldenbrust gerade recht, aber hier in den Weichen viel zu weit; und dabei ist an kein Schnüren zu denken, mein Herr verachtet diese Kunststücke. Der Schneider machte einen Sprung in die Höhe vor Verwunderung, er konnte es rein nicht begreifen; die andern Herren beim Regiment ließen sich Korsette machen mit Fischbein, schnürten sich zusammen, daß man hätte glauben sollen, der Herzbündel wolle ihnen zerspringen; und dennoch rissen die Knöpfe alle drei Tage, wenn sie nur ein wenig mehr als zuviel gegessen hatten – mein Herr war immer der Fixeste, gedrechselt wie eine Puppe und alles ohne ein Lot Fischbein, so wahr ich lebe.«

»Es ist unbegreiflich, was es für herrliche Leute unter den Militärs gibt«, unterbrach ihn die Wirtin, andächtig staunend.

»Und dann, Madame, lassen Sie ihn erst noch die Galabeinkleider da anlegen, den Federhut aufsetzen, seine goldenen Sporen mit den silbernen Rädchen an den feinen Absätzchen, denn Füßchen hat er trotz einer Dame; lassen Sie mich ihm den Skt. Wladimir in Diamanten auf die Brust hängen, den Ehrensäbel, den sein Herr Vater vom Kaiser bekommen, und den er aus hoher Gnade als Andenken tragen darf, um den Leib schnallen; Frauchen, wenn ich ein Mädchen wäre, ich flöge ihm an den Hals und küßte ihm die schwarzen Locken aus der schönen Stirne. Und dabei war er so fröhlich, die Wangen so rot, das Auge so freudig blitzend und alles hieß ihn nur den schönen, lustigen Martiniz. Das alles ist jetzt vorbei«, setzte der treue Brktzwisl seufzend hinzu, indem er die Staatsuniform der Wirtin abnahm und in die Kommode legte, »da liegt das schöne Kleid, nach dem zehntausend die Finger leckten, so liegt es seit dreiviertel Jahren und wie lange wird es noch so liegen!«

»Aber sagen Sie doch, liebster Herr Wiesel, Sein Vorderteil kann ich nicht aussprechen, sagen Sie doch, warum dies alles, warum sieht Sein Herr so bleich und traurig? warum kleidet er sich wie ein junger Kandidat, da er unsere ganze Garnison in den Boden glänzen könnte? warum denn?«

Der Alte sah sie mit einem grimmigen Blick an, als wollte er über diesen Punkt nicht gefragt sein. Aber die junge, reinliche, appetitliche Wirtin mochte doch dem rauhen Mann zu zart für eine derbe Antwort vorkommen. »Bassa manelka!« sagte er unfreundlich, »warum? weil – ja sehen Sie, Madame, weil, weil wir, richtig, weil wir als Zivil reisen«, und nach diesem war auch kein Sterbenswörtchen mehr aus ihm herauszubringen.


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