Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Der selige Graf

Herzensjunge! liebstes, bestes Gräfchen! Söhnchen! Gold-Poläckchen! alle Schmeichelnamen hätte der Hofrat ausschreien, den trefflichen Redner an sein Herz reißen und mit väterlichen Küssen bedecken mögen – aber das ging nicht; ein Diplomat vom Fach, und das war er ja bei seinen jetzigen Negoziationen durch und durch, durfte seine Freude über eine glückliche Entdeckung, über einen unverhofften, köstlichen Fund nicht laut werden lassen; er schluckte alle jene Ausbrüche des Vergnügens wieder hinunter, faßte den Grafen nur mit einem recht zärtlichen, seligen Blick und bestätigte weitläuftig sein treffendes Urteil. Er beschrieb ihm das Mädchen, wie er es, seit es den ersten Schrei in die Welt getan, kenne; wie es früher ein lustiger, fröhlicher Zeisig war, wie es jetzt zur ernsten Jungfrau herangewachsen sei; ihre Anmut, ihre Geschicklichkeit in Sprachen und allen Dingen die ein Mädchen zieren, als da sind, Stricken, Nähen, Schneidern, Sticken, Kochen, Früchteeinmachen, Backen, Blumenmachen, Zeichnen, Malen, Tanzen, Reiten, Klavier- und Gitarrespielen; wie es in der Residenz trotz der hohen Stellung, die es in der Gesellschaft eingenommen, doch immer seinem Sinn für reine Weiblichkeit gefolgt sei; wie es seinen reinen, keuschen, kindlichen Sinn auf dem Boden, wo schon so manches gute Kind ausgeklitscht sei, bewahrt habe.

»Es ist mir unbegreiflich«, setzte er, von dem Eifer, der ihn beseelte, fortgerissen, hinzu, »rein unbegreiflich, wie dieses, für alles Schöne und Gute glühende Herz sich in der Residenz so vor aller Liebe bewahrt hat. Unsere jungen Herren schreien gewöhnlich bei solchen Mädchen über Eiskälte und Phlegma, aber Gott weiß, diesem Mädchen kann man dieses nicht nachsagen. Aber unsere jungen Herren sind meistens selbst daran schuld. Kraft- und marklos schlendern sie einher, auf den Bällen stehen sie scharweise zusammen, gucken durch Gläser von Nro. 4 und 5, die für Blinde scharf genug geschliffen wären, nach den Reizen der Ballschönen, lassen ganze Reihen sitzen und tanzen nicht, und geben sie sich auch einmal zu einem Walzerchen oder Kotillonchen her, so meint man, sie wollen den letzten Atem ausschnaufen, so wogt es in den ausgedörrten Herzkammern; kann solche Lumperei einem jungen, schönen, in der Fülle der Kraft strotzenden Mädchen, das zwei solcher Flederwische an die Wand schleuderte, gefallen? kann man es einem solchen Engelskind, das sich so gut wie jede andere, abends im Bettchen mit verschlossenen Augen und verstohlenem Lächeln sein Ideal vormalt und vorträumt, kann man es ihr verargen, wenn sie solche Vogelscheuchen geringachtet und kalt abweist?

Ein solches Mädchen soll dann kalt sein wie Eis, soll kein Feuer im Leib haben; habe ich doch über mein Goldmädchen gestern abend solche Urteile hören müssen; geschossen hätte ich mich um sie, wäre ich nur dreißig Jahre jünger gewesen. Sie hätte kein Feuer? habe ich nicht gesehen, wie sie heute früh, als Sie, Herr Graf das Kind retteten, das Fenster aufriß und beinahe hinaussprang, aus purem Mitgefühl? und dieses Mädchen hätte kein Feu–«

»Das hat sie getan?« fragte der glückliche Martiniz bis an die Stirne errötend, »sie hat das Fenster ein wenig geöffnet und herausgesehen.«

»Was öffnen und heraussehen! dazu braucht man zwei Minuten, aber aufgerissen hat sie das Fenster, daß sie mir den Schokoladebecher beinahe aus der Hand schlug, sie war in zwei Sekunden fertig! sehen Sie, so ist das Mädchen; Feuer und Leben, wo es etwas Schönes, wahrhaft Freudiges, Erhabenes gilt, schwärmerisch empfindsam, wenn sie wahre Leiden der Seele sieht, aber kalt und abgemessen, wenn die leere schale Alltäglichkeit sich ihr aufdrängen will.«

Mit einem Feuerblick an die Decke, die Rechte auf das lautpochende Herz gelegt, trank Graf Martiniz wieder einen stillen Toast, der nirgends widerklang, als in seinem tiefen Herzen, aber dort traf er so viele Anklänge, daß dieses wehmütige traurige Herz, das so lange nichts kannte, als die Wehmut und den Kummer heimlicher Tränen, im stillen aber vollem Jubel aufschwoll und sich stolz wie vorzeiten unter dem Ordensband hob, das es von außen zierte.

Er sagte dem Hofrat, daß er, wenn es möglich wäre, während seines hiesigen Aufenthalts, gerne von einem Empfehlungschreiben an den würdigen Herrn Präsidenten Gebrauch machte, das er heute durch den Gesandten seines Herrn von dem Minister-Staatssekretär bekommen habe. Der Hofrat versprach freudig, ihn dort einzuführen und seine Abende im Umgange mit diesen trefflichen Menschen erheitern zu helfen. Bei sich lachte er aber über den Staatssekretär, der seine Sachen so geschickt einzufädeln wisse; der Graf soll dem Lande bleiben mit seinen drei Milliönchen, aber die Gräfin soll ihn nicht bekommen, dafür steht der Hofrat Berner. Auch er trank jetzt im stillen ein Toastchen und ließ mit einem freundlichen, wohlwollenden Seitenblick die künftige Frau Gräfin leben. Vivat hoch! scholl es in allen Winkeln seines alten treuen Herzens, hoch und abermal h–

Da brummte in dumpfen Tönen die Glocke vom Münsterturme eilf Uhr. Mit wehmütigem Blick sprang Martiniz auf, stammelte gegen den erschrockenen Hofrat eine Entschuldigung hervor, daß er noch einen Besuch machen müsse und ging.

Berner konnte sich wohl denken, wohin der unglückliche Junge ging. Mitleidig sah er ihm nach und lehnte sich dann in seinen Stuhl zurück, um über das, was diesen Abend besprochen worden war, nachzudenken; der Graf hatte einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht; es hatte ihm nicht leicht ein junger Mann so wohl gefallen wie dieser; soviel Grazie und Feinheit des Umganges, so viele Bildung und Kenntnisse, soviel anspruchlose Bescheidenheit bei drei Millionen Talern; so hohe männliche Schönheit und doch nicht jenes eitle, gefallsüchtige Sichzeigenwollen, das schönen jungen Männern oft eigen ist – nein, es ist ein seltener Mensch und gewiß beinahe soviel wert als mein Idchen, dachte er, wenn die beiden erst einmal ein Paar – Die Mondwirtin unterbrach ihn; mit zornglühendem Gesicht setzte sie sich hastig auf den Sessel, den Martiniz soeben verlassen hatte, »Nein, da traue einer den Männern«, wütete sie, »hätte ich doch mein Leben eingesetzt für diesen Herrn Grafen; hätte geglaubt, er wäre ein unschuldiges, reines Blut und kein so Bruder Lüderlich, die an jede Schürze tappen –«

»Nun, was ist denn geschehen«, unterbrach sie der aus allen Himmeln gefallene Hofrat; »was haben Sie denn, das Sie so aufbringt, Frauchen?«

»Was ich habe? möchte da einem nicht die Galle überlaufen, so ein schöner, reicher Herr, wo es sich manche Dame zur Ehre rechnen würde, in nähere Bekanntschaft – geht auf nächtlichen, lüderlichen Wegen; glaubt, es sei hier in Freilingen auch so eine großstädtische Nachtpromenade; tief in seinen Mantel gehüllt, ist er zum Torweg hinausgewischt mit dem alten Kuppler, dem Berrzwisel. Will haben, man solle das Haus offenlassen bis ein Uhr. Aber die Türe schlage ich ihm vor der Nase zu, ich brauche keinen solchen Herrn im Haus, der bei Nacht und Nebel nicht weiß, wo er steckt!«

»Habe ich doch wunder geglaubt, was es gibt«, sagte der Hofrat, wieder freier atmend; »da dürfen Sie ruhig sein, der geht nicht auf schlimmem Wege; er macht noch einen durchaus ehrbaren Besuch, ich weiß wo, darf es aber nicht sagen.«

Die Wirtin sah ihn zweifelhaft an: »Ist es aber auch so?« sprach sie freundlicher; »ist es auch so, und machen Sie mir keine Flausen vor? doch Ihnen glaube ich alles aufs Wort und ich ärgere mich nur, daß ich gleich so Schlimmes dachte; aber die Welt liegt jetzt im argen, unsern jungen Herren ist nicht mehr über die Straße zu trauen. Sagen Sie ihm aber um Gottes willen nichts, ich glaube, er könnte mich mit einem einzigen Blick verbrennen; es war ja lauter christliche Liebe zu meinem Nebenmenschen.«

Der Hofrat lächelte fein, indem er ihr die Hand zum Versprechen und zugleich zum Abschied bot; er jagte ihr alle Röte auf die hübschen Wangen, sie wußte nicht, wo sie hinsehen, ob sie lachen oder zürnen solle, denn schon im Fortgehen begriffen, wisperte er ihr ins Ohr: »Es war all nichts als lauter christliche, nebenmenschliche – Eifersucht!«


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