Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Feindliche Minen

Wie es übrigens zu gehen pflegt, die ärgsten Feinde Idas und des Grafen ließen sich öffentlich am wenigsten über dies Verhältnis aus; Frau von Schulderoff und Fräulein von Sorben fühlten sich bis zum Tod beleidigt, aber sie hielten öffentlich an sich und schwiegen.

Beide hatten sich vorher wenig gesehen, denn sie waren etwas über den Fuß gespannt; der Lieutenant Schulderoff hatte einmal einen ganzen Winter hindurch dem Fräulein die Cour gemacht; das Verhältnis hatte sich aber aufgelöst, man wußte nicht wie? Jetzt, da sie in einem Spital krank waren, jetzt näherten sie sich wieder, und obgleich das Fräulein in ihrem Herzen der Frau von Schulderoff schuld gab, sie habe den Sohn aus ihren Netzen gezogen, so vergaß sie doch einstweilen diese Kränkung, um diese neuere besser zu tragen oder zu rächen. Die Frauen sehen in solchen Sachen feiner und viel weiter als jeder Mann an ihrer Statt; so hatte die Sorben bald weggehabt, daß das Unglück des Lieutenants vor dem Hause des Präsidenten, von dem die ganze Stadt sprach, wohl nicht so zufällig sei, als man es erzählte, sie hatte durch ihre Kundschafter bald weggehabt, daß die Nachtmusik, von den zwanzig Regimentstrompetern aufgeführt, nicht den Grafen, sondern Lieutenant Schulderoff zum Urheber habe, der wie die Juden die Mauern von Jericho, so die Steinwälle und Gußeisentore von Idas Herzen mit Zinken und Posaunen habe niederblasen wollen.

Dies alles fühlte sie recht gut und kalkulierte, was sie nicht wußte, so richtig zusammen, daß sie über den ganzen Roman des Herrn von Schulderoff Rechenschaft geben konnte. Die Mama des verunglückten Liebhabers, der seit der Nachtmusik nur noch spröder behandelt worden war, mochte sie nun ahnen, daß die Sorben auch ein wenig verletzt sei, oder mochte sie nur einen gewissen Verwandtschaftsneid zwischen dem Fräulein und Ida voraussetzen – sie besuchte von freien Stücken die Sorben, teilte ihr mit, was sie wußte, und ließ sich mitteilen, was das Fräulein im stillen erlauscht und erspäht hatte. Übrigens lebte auch sie in der festen Überzeugung, Martiniz und Ida haben sich schon lange gekannt und er sei ihr nach Freilingen nachgefolgt, denn von den nächtlichen Leiden des unglücklichen Grafen ahnte niemand auch nur ein Silbchen, so verschwiegen war der Küster des Münsters in dieser Sache.

Unbegreiflich war und blieb es übrigens sowohl der Frau von Schulderoff als der Sorben, warum der Graf, der doch sein eigener Herr schien, nicht schon lange bei dem Präsidenten um Idas Hand gefreit habe; sie, die sich kein anderes Hindernis dachten, sie, die nur einen Grund sehen wollten, waren einig darüber, daß es dem Grafen entweder nicht recht ernst sei, oder daß es sonst irgendwo ein Häkchen haben müsse. So hatten beide Damen schon seit vielen Nachmittagen und Abenden, die sie bei Kaffee oder Tee miteinander zubrachten, kalkuliert, und immer schien es ihnen, sie haben noch nicht das Rechte getroffen; da traf es sich, daß ein Kammerherr, den Frau von Schulderoff kannte, durch Freilingen kam und der gnädigen Frau, bei welcher Fräulein Sorben gerade auf Kaffee war, während man umspannte, einen Besuch machte.

Wessen das Herz voll ist, des geht der Mund über. Der Kammerherr hatte kaum seine Tagesneuigkeiten vom Hof ausgepackt, als Frau von Schulderoff auch auf Ida und den Grafen kam und den Kammerherrn fragte, ob sie wohl schon in der Residenz liiert gewesen seien.

Der Kammerherr horchte hoch auf bei dem Namen des Grafen Martiniz; »Wie ist mir denn«, sagte er, »ist das nicht der polnische Graf mit den drei Milliönchen, der unsere Gräfin Aarstein – Ja, wahrhaftig! jetzt fällt es mir erst ein, in dieser Gegend, sagte man, werde er sich ankaufen, und darum ist er wohl hier. Nein, meine Gnädigen, mit Fräulein Ida von Sanden war der Pole in der Residenz nicht liiert, denn er war noch nie in der Residenz, wird aber dort jeden Tag erwartet; das Verhältnis, das er hier angeknüpft hat, da können Sie sich auf Ehre darauf verlassen, ist nur so en passant, weil er vielleicht nichts zu tun hat; nein, der ist nicht für die Sanden!«

Die beiden Damen warfen sich bedeutende Blicke zu, als sie diese Nachrichten hörten; »Sie sprachen vorhin von der Gräfin Aarstein«, sagte die Schulderoff, »darf man fragen, wie diese –«

»Die Aarstein will ihn heiraten«, warf der Kammerherr leicht hin, »sie hat es jetzt genug, die Witwe zu spielen; der Hof wünscht sie wieder vermählt zu sehen und zwar soll es, weil der Fürst überdrüssig ist, ihre enormen Schulden zu bezahlen, etwas Reiches sein. Da kommt wie ein Engel vom Himmel dieser Pole ins Land, um sich hier anzukaufen; er ist von seinem Gesandten der Regierung aufs dringendste empfohlen, denn man macht hauptsächlich wegen seinem Oheim, der Minister in . . . . . schen Diensten ist, ein großes Wesen aus ihm; kaum hört die Aarstein von den drei Millionen und dem alten Oheim, der ihm einmal ebensoviel hinterläßt, so erklärt sie mit schwärmerischer Liebe (Sie kennen ihr liebevolles, ahnendes Herz), ›Diesen und keinen andern.‹ Man ist höhern Orts schon gewöhnt, ihrem Trotzköpfchen nachzugeben; und diesmal traf es ja überdies ganz herrlich mit allen Planen zusammen; kurz, die Sache ist eingeleitet und soviel ich weiß, schon so gut als richtig.«

»Est-il possible, est-il croyable«, tönte es von dem Mund der erfreuten Damen; die Sorben traute aber doch nicht so ganz; »Ich kann Sie versichern«, sagte sie zum Kammerherrn, »Fräulein von Sanden, die Sie aus der Residenz kennen müssen, ist sehr liiert mit dem Grafen, und ich fürchte, ich fürchte, die Gräfin kommt nicht zum Ziel!«

»Nicht zum Ziel?« lachte der Kammerherr, »nicht zum Ziel? das wäre doch kurios; man spricht ja in allen Cercles von dieser Verbindung; die Gräfin nimmt zwar noch keine Gratulationen an, aber ihr Lächeln, mit dem sie es ablehnt, ist so gut als Bestätigung; und wenn er auch nicht wollte, er muß sie heiraten, denn er kann doch nicht unsern Hof vor den Kopf stoßen; was wird er aber nicht wollen; bedenken Sie, die Gräfin ist so gut als anerkannt von unserm Hof, hat unleugbar mehr Gewicht als alle übrigen zusammen; ist schön, blühend, macht das beste Haus; er wäre ja ein Narr, wenn er nur den leisesten Gedanken hätte, sie auszuschlagen. Und Fräulein Ida? nun das soll mich doch wundernehmen, wenn die sich endlich einmal hat erweichen lassen. Unsere Herren in der Residenz knieten sich die Knie wund vor diesem Marmorengel; aber alles soll umsonst gewesen sein, zwar erzählte man sich allerlei von dem Rittmeister von Sporeneck; sie sollen aber gebrochen haben, weil sie seine Liaison mit der Aarstein erfuhr. Nun, Glückauf! wenn der Graf die zahm gemacht hat, dann paßt er zu der Gräfin; und ich sehe nicht ein, was dieses Verhältnis schaden könnte; die Gräfin Aarstein wird als Gemahlin des Polen, ihre Liebhaber nebenher auch nicht aufgeben. Doch was schwatze ich; Ihr Oncle, Fräulein von Sorben, kann Ihnen über diese Sachen die beste Auskunft geben, denn ich müßte mich sehr irren, wenn er nicht die Hand dabei im Spiel hat.« Der Reisewagen fuhr vor, der Kammerherr empfahl sich und ließ die beiden Damen in frohem Staunen und Verwunderung zurück.

»Arme Ida!« sagte die Sorben spöttisch, »so viel Routine hast du denn doch noch nicht, daß du Geschmack daran finden könntest, die ›Nebenbei‹ des Grafen Martiniz zu spielen. Nein! wie das Dämchen, das also in der Residenz die Spröde so schön zu spielen wußte, aufschauen wird, wenn der gute Mann im Mond, den sie schon ganz sicher in Ketten und Banden hat, wenn der amoroso Bleichwanioso auf einmal morgens verschwunden ist, am nächsten Posttag aber ein Paket einläuft mit Karten, worauf › Graf Martiniz mit seiner Gemahlin, verwitwete Gräfin von Aarstein‹ deutlich zu lesen ist.«

»Nicht mit Gold ist sie zu bezahlen, diese Nachricht«, bemerkte die Schulderoff mit triumphierender Miene, »und um so mehr wird sie sich ärgern, daß es die Gräfin Aarstein ist, denn diese hat ihr ja, wie Sie hörten, auch den herzigen Jungen, den Sporeneck, abgespannt –«

»Sie kennen den Sporeneck, gnädige Frau?« fragte die Sorben, und ihr gelbliches Gesicht schien tief über etwas nachzusinnen.

»Wie meinen Sohn«, versicherte jene; »wie oft war er auf Besuch bei uns in Schulderoff, als er in Garnison in Tranzow lag! Mich nimmt es nicht wunder, wenn er Ida kirre gemacht hat, denn wo lebt ein Mädchen, das er, wenn er es einmal auszeichnete, nicht für sich gewann!«

»Herrlich, das muß uns dienen«, fuhr das Fräulein fort; sie setzte auseinander, daß ihr scheine, als habe der Graf doch etwas zu tief angebissen bei Präsidents, und als wolle er vorderhand nicht an die Gräfin denken; da wolle sie nun ihren Oncle den Geheimen Staatsrat von Sorben gehörig präparieren, und sie stehe davor, daß der Graf die längste Zeit im Mond logiert haben werde. Am besten wäre es, wenn man die Aarstein selbst in Freilingen haben könnte; doch sei dies bei dieser Jahreszeit nicht wohl möglich; darum solle auch Frau von Schulderoff Schritte tun. Sporeneck werde ihr schon die Gefälligkeit erweisen, auf einige Tage hieherzukommen; seine Sache sei es, den Grafen recht eifersüchtig zu machen. Habe man diesen nur erst dahin, daß er nicht so ganz auf die Scheinheiligkeit Idas baue, so sei auch im übrigen bald geholfen.

Frau von Schulderoff umarmte die Rednerin stürmisch und ergänzte den Plan vollends – »Und wenn der Graf aus dem Netz ist, wenn man dann fühlt, daß man sich doch ein wenig sehr prostituiert hat, dann ist auch mein Lieutenant wieder gut genug; aber dann soll er mir sie auch nicht nehmen, die stolze Prinzessin, als bis der Herr Papa-Präsident mit seinen Friedrichsdors herausrückt und unsern Schulderoff wieder flott macht; um die zümpferliche Schwiegertochter bekümmere ich mich denn nicht so viel, die mag sehen, wie sie mit meinem Monsieur Tunichtgut auskommt.«

Der Traktat, der noch einige geheime Artikel enthielt, war gemacht und beschworen. Schon nach zwei Stunden ging eine Depesche von Fräulein von Sorben an ihren Oncle in die Residenz ab, worin mit bewunderungswürdiger Klarheit dargetan war, wie die Tochter des Präsidenten einen jungen Polen in ihre Netze zu ziehen suche, daß man schon von einer Heirat zwischen beiden spreche und daß sie nur bedaure, daß dadurch der Residenz ein glänzendes Haus entzogen werde, denn Ida scheine darauf zu bestehen, daß der polnische Graf sich in Freilingen niederlasse.

Der Brief, das wußte sie, konnte seine Wirkung nicht verfehlen. Wenn auch der Oheim-Geheimrat nicht daran gedacht hätte, bei der eingeleiteten Heirat zwischen Martiniz und der Gräfin Aarstein seine Hand im Spiel zu haben, so hätte ihn doch der letzte Punkt des Briefes dazu vermocht, allem aufzubieten, um die Niederlassung des Grafen in Freilingen zu hintertreiben. Der Gedanke, daß ein großes Haus mehr in die Residenz kommen könnte, war begeisternd für ihn. Unter allen Sterblichen schätzte er die am höchsten, welche Häuser machten; darunter verstand er freilich nicht Zimmerleute oder Maurer, sondern die, welche ihm Schildkrötensuppen, fette Austern, feine Ragouts, gute fremde Weine vorsetzten, die, welche regelmäßig einmal in der Woche des Abends Türen und Tore öffneten, um frohe Gäste bei sich zu sehen, hohe Spiele arrangierten, köstliche Bälle zu geben wußten. Solche Häusermacher liebte der alte Sorben, denn er war ein altes Weltkind und ein feiner Schmecker aller Delicen, sie mochten tot oder lebendig, vier- oder zweifüßig sein, mochten dem Gaumen oder der Nase, dem Ohr, dem Auge oder dem Tastsinne schmeicheln – er war ein Kenner und daher mußte es in seinen Wünschen liegen, ein Dreimillionen-Gräfchen in die Residenz zu bekommen.

So hatte ihn seine gewandte Nichte, ohne daß er es merkte, bei allen fünf Sinnen zumal, nur durch ein paar kleine Worte gefaßt, und sie durfte überzeugt sein, er fange Feuer.

Aus dem Freiherrlich Schulderoffschen Palais, das für jetzt, in Ermangelung eines besseren, nur aus einigen Mansardenstübchen bestand, lief ein Brief ab, der keinen geringeren Hagelslärm, kein schwächeres Hallo in die Residenz machen sollte, als die zwanzig Trompeter letzthin, als sie die Reveille vor Idas Fenster bliesen. Er war an Se. Freiherrliche Gnaden, den Herrn Rittmeister von Sporeneck, bei Husaren Nr. 3 überschrieben, und lautete wie folgt:

»Freilingen, 11. Dez. 1825

Herr Bruder!

In meiner Garnison dahier geht es eigentlich noch immer so ledern zu wie vordem. Das halbe Dutzend Reitpeitschen habe ich erhalten und sende hier den Betrag. Sie sind recht schwank und sehen flott genug aus. Den Säbel erwarte ich noch bestimmt vor Neujahr; vergiß nicht, daß der Korb, wie bei den badischen Dragonern, doppelt sei. Dahier hat sich vor kurzem auch etwas zugetragen, was Dir, Herr Bruder, vielleicht auch interessiert; die junge Sanden ist mit einem Galan hier angekommen, der ihr jetzt täglich und stündlich die Cour schneidet. Begreife übrigens nicht, wie sie dazu kommt, da man hier allgemein sagt, sie habe Dich sehr schnöde abgewiesen. Auf Ehre, Herr Bruder! es tut mir leid, aber ein Kerl wie Du, der seine vierundzwanzig Liebschaften des Monats hat, sollte nicht so von sich sprechen lassen. Solltest Du wegen dieser Affäre, was ich fürs beste hielte, selbst einige Wörtchen entweder mit dem neuen Courtisan oder mit dem Fräulein selbst sprechen wollen, so steht Dir mein Logis zu Dienst. Der junge Herr ist ein Pole, Graf von Martiniz, soll schwer Geld haben und scheint meines Erachtens der angeführte Teil, denn sie hat ihn in der Kuppel, daß er weder links noch rechts kann. Lebe wohl; grüße alle Kameraden bei Nr. 1, 2 und 3 und verbleibe in Bruderliebe dein

Franz von Schulderoff,
Lieutenant bei Königin-Dragoner.«

Dies war das Schreiben, womit die Frau von Schulderoff den Rachegeist für Ida beschwörte. Noch war des guten, unschuldigen Kindes Himmel rein und heiter, aber indem es in das reine Blau des Äthers hineinsah und sich dessen freute, zog Wolke um Wolke am Horizont auf und drohte ihr stilles Glück zu suchen und zu zerschmettern.


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