Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Die Freilinger

Die Leute in Freilingen sind wie überall, es vergingen keine acht Tage, so wußte jedes Kind, daß Präsidents Ida und der reiche Pole ein Paar seien. Die Freilinger ärgerten sich nur darüber, daß man ihnen Sand in die Augen streuen wolle; daß die beiden Leutchen einander vorher schon gekannt hatten, war am Tage; denn wie sollte Martiniz an gleichem Tag mit ihr ankommen, was sollte er überhaupt in dem obskuren Freilingen so lange tun? als weil er Ida liebte, die, Gott weiß durch was für Kunstgriffe den Goldfisch in ihr Netzchen gelockt hatte. Papa-Präsident – nun dem schwefelte man etwas Blaues vor, daß der Herr Graf doch mit Ehren ins Haus kommen konnte; was da beim Tee vorging, das wußte freilich jedermann, weil man hie und da so ein paar Respektspersonen dazu einlud; aber was vormittags im Zimmer, nachmittags im Garten, abends nach dem Tee vorging, das wußte niemand; »beten werden sie nicht miteinander«, sagten die Leute; da spricht man wohl immer von dem Hofrat Berner, der sei ja hinten und vorn dabei, daß ja nichts Unrechtes geschehen könne; aber man wußte ja von früher her, wie er dem Mädchen alle losen Streiche durch die Finger sah, jetzt wird es nicht viel anders sein, da sie größer ist; so urteilte die Welt; sie urteilte aber noch weiter; das Mädchen, die Ida, tut jetzt so jüngferlich und so zümpferlich, als wäre sie in der Residenz eine Vestalin geworden, und vorher war sie wild, ausgelassen, trotzig; das müßte ja ein Gott sein, der aus einer solchen Hummel ein reputierliches Mädchen ziehen wollte. Aber in allen Instituten ist man seit neuerer Zeit viel pfiffiger geworden; da sagt man den Mädchen, ihr könnt alles tun, aber haltet Maß und treibet es fein; daher kommt es, daß jetzt lauter Tugendspiegel aus den Instituten kommen. Sonst kamen sie ein wenig affektiert, ein wenig frei nach französischem Schnitt und Ton; jetzt weiß man das ganze anders: sittsam, keusch, ehrbar, alles was sie sein sollten, sind sie, da fehlt sich's nicht, vollkommen wenn man es so von der Seite sieht. Kommt aber so ein Pole, so ein Graf Weißnichtwoher und Baron Nirgendan, so bewahrt man den Schein und damit holla! So urteilten die Freilinger von dem edelsten, besten Mädchen, das in ihren Mauern war; so urteilten sie und wie das Böse überall schneller um sich greift, als das Gute, so wußte und glaubte schon nach acht Tagen die ganze Stadt, was ein paar Muhmen bei einer Tasse Kaffee ausgeheckt hatten. Auch über den harmlosen Martiniz erging das nämliche Gerücht.

Leute wie die Freilinger können nichts weniger leiden, als wenn Menschen unter ihnen umherwandeln, von denen sie nicht alles vom A bis zum Z wissen, woher und wohin, was sie für Plane haben usw. Kauft einer nicht ein Pferd, oder ein Paar Ochsen, oder ein paar Hufen Landes, so ist er ein unerträglicher Geheimniskrämer, der allein das Vorrecht haben wolle, daß die Leute nicht wissen sollen, was an ihm ist. Dieser Pole vollends versündigte sich auf die impertinenteste Art an Freilingen. Er schien kein Frauenzimmer zu bemerken als Ida; und doch gab es viele, die ihm ihre Aufmerksamkeit da und dort bezeigt hatten; er war reich, gab viel Geld aus und doch konnte niemand sagen, was er denn eigentlich im Städtchen zu tun habe; schon sein ernstes, bleiches Gesicht war ihnen wie ein verschlossenes Buch, das sie gar zu gerne durchblättert hätten; »Das ist ein Bruder Lüderlich«, sagten die einen, »man sieht es ihm an der Farbe an; ein Mensch ohne ein Fünkchen Lebensart, sonst würde er wenigstens seine Tischnachbarn mit seinen näheren Verhältnissen bekannt machen, würde auch in andere anständige Zirkel kommen, als nur zu Präsidents.« So urteilten sie von Martiniz, zuckten die Achseln, wenn sie von ihm und seinem Verhältnis zu Ida sprachen, darin waren sie aber alle einverstanden, daß der Präsident von seinen Verhältnissen doch etwas wissen müsse, denn er lächelte so geheimnisvoll, wenn man ihn wegen des Fremden anbohrte.

Alt und jung kannte bald den fremden Grafen und überall kursierte er unter dem Namen der »Mann im Mond«, denn sein geisterhaft bleiches Gesicht, sein Aufenthalt im Goldenen Mond hatte dem Volkswitz Anlaß zu diesem Spottnamen gegeben, und selbst Ida, als sie es erfuhr, nannte ihn nie anders, als den »Mann im Mond«.


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