Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Der Brief

Als Hofrat Berner nach Tisch wieder in des Präsidenten Haus kam, um ihn, da er ihn heute früh verfehlt hatte, zu besuchen, traf er Ida wieder so vergnügt und fröhlich wie immer; das ewige Aprilwetter! dachte er, auch bei ihr bleibt es nicht aus; wenn wir morgens weinen, so darf man gewiß sein, daß uns auch der Abend noch traurig oder doch ernst findet; aber das weint und lacht, klagt und tollt durcheinander, wie Heu und Stroh. Er setzte sich zum Präsidenten, der gewöhnlich vor dem Kaffee noch ein halbes Stündchen tischelte, gegenüber hatte er das liebe Aprillen-Kind und nötigte sie durch sein beredtes Mienenspiel, wodurch er sie an heute früh erinnerte, alle Augenblicke zum Lachen oder Rotwerden.

»Apropos! Sie kommen gerade recht, Berner«, sagte der Präsident, »hätte ich doch beinahe das Beste vergessen. Sie können mir durch Ihre Umgänglichkeit und Gewandtheit, durch die viele freie Zeit, die Sie haben, einen sehr großen Gefallen tun. Ich bekam da heute vom Minister-Staatssekretär ein Brieflein, worin mir unter den größten Elogen der ganz sonderbare Auftrag wird, neben meinem Amt als Präsident auch noch den gehorsamen Diener anderer Leute zu spielen. Da haben Sie«, fuhr er fort, indem er einen Brief mit dem großen Dienstsiegel hervorzog, »lesen Sie einmal vor, aber da die Elogenstelle bleibt weg, ich kann das Ding für meinen Tod nicht leiden, wenn man einen so ins Gesicht hinein lobt.«

Berner nahm den Brief, der, weil in solchen Fällen der Staatssekretär von Pranken selbst schrieb, ein wenig schwer zu lesen war, und begann:

»Nächstdem wurde mir höheren Orts der Wink gegeben, daß da ein sicherer Graf von Martiniz den Kreis Ew. Exzellenz bereisen werde, ihm aller mögliche Vorschub und Hülfe zuteil werden soll. Besagter Herr von Martiniz wurde unserm Hofe durch den –schen Minister plénipotentiair aufs angelegentlichste empfohlen; er hat im Sinn, bei uns, aller Wahrscheinlichkeit nach in Ihrem Kreise sich bedeutende Güter zu kaufen, ist ein Mensch, der seine drei Millionen Taler hat und vielleicht noch mehr bekommt, und muß daher womöglich im Lande gehalten werden. Ew. Exzellenz können, wenn solches gelingen sollte, auf großen Dank höhern Orts rechnen, da, wie ich Ihnen als altem Freunde wohl anvertrauen darf, im Fall er sich im Lande ansiedelte und sein Vermögen hereinzöge, die Hand der Gräfin Aarstein Exzellenz demselben nicht vorenthalten werden wird.«

Am Anfang dieses Briefes war Ida bei dem Namen Martiniz hoch errötet, denn sie begegnete dem Auge des Hofrats, der über den Brief weg zu ihr hinübersah; als die Stelle von den drei Millionen kam, wurde die Freude schwächer; ein dreifacher Millionär war nicht für Idas bescheidenere Wünsche, als aber die Hand der Gräfin Aarstein nach ihrem sanften, liebewarmen Herzen griff, da wich alles Blut von den Wangen des zitternden Mädchens, sie senkte das Lockenköpfchen tief und eine Träne, die niemand sah als Gott und ihr alter Freund, stahl sich aus den tiefsten Tiefen des gebrochenen Herzens in das verdunkelte Auge und fiel auf den Teller herab.

Sie kannte diese Gräfin Aarstein aus der Residenz her. Sie war die natürliche Tochter des Fürsten . . . . ., von ihm mit ungeteilter Vorliebe erzogen, mit einem ungeheuern Vermögen ausgestattet, lebte sie in der Residenz wie eine Fürstin. Sie war einmal einige Jahre verheiratet gewesen, aber ihre allzu vielseitige Menschenliebe hatte den Grafen Aarstein genötigt, seine Person von ihr scheiden und ihr nur seinen Namen zurückzulassen. Seitdem lebte sie in der Residenz; sie galt dort in der großen Welt als Dame, die ihr Leben zu genießen wisse, wenn man aber nur eine Stufe niederer hinhorchte, so hörte man von der Gräfin, daß sie dieses angenehme Leben auf Kosten ihres Rufes führe, zehn Liebeshändel, zwanzig Prozesse auf einmal, Schulden so viele als Steine in ihrem Schmuck, Kokette, die sich nicht entblödet, mit dem Geringsten zu liebäugeln, wenn seine Formen ihr gefielen.

So war Gräfin Aarstein, ein unabweislicher Widerwille hatte schon in der Residenz die reine jungfräuliche Ida von dieser üppigen Buhlerin zurückgeschreckt; sooft sie zu ihren glänzenden Soirées geladen war, wurde sie krank, um nur diese frivolen Augen, diese bis zur Nacktheit zur Schau gestellten Reize nicht zu sehen, und diese Frau, deren Geschäft ein ewiges Gurren und Lachen, Spotten und Persiflieren war, sie sollte der ernste, unglückliche junge Mann mit dem rührenden Zug von Wehmut, dem gefühlvollen, sprechenden Auge –

Berner hatte schweigend den Brief noch einmal überlesen, und legte ihn dann mit einem mitleidigen Blick auf Ida zurück; »Nun, was sagen Sie zu dem sonderbaren Auftrag«, fragte der Präsident; »wahr ist es, der Martiniz ist nach dieser Beschreibung ein Goldfisch, den man nicht hinauslassen darf, ja, ja – man muß negocieren, daß er in unserem Kreise bleibt. Da könnte er zum Beispiel Wolldringen kaufen; um zweimal hunderttausend Tälerchen ist Schloß, Gut, Wiesen, Feld, Fluß, See, Berg und Tal, alles was man nur will, sein. Und dieser Preis ist ein Pappenstiel; so, so? die Aarstein also? nicht übel gekartet von den Herren; sie soll enorme Schulden haben, die am Ende doch der Fürst übernehmen müßte, die bekommt der Herr Graf in den Kauf. Du kennst die Aarstein, Ida? sahst du sie oft?«

»Nie!« antwortete Ida unter den Löckchen hervor, und sah noch immer nicht vom Teller auf.

»Nie?« fragte der Präsident gereizt, »ich will nicht hoffen, daß die gnädige Gräfin meine Tochter nicht in ihren Zirkeln sehen wollte; hat sie dich nie eingeladen, wurdest du ihr nicht vorgestellt?«

»O ja!« sagte Ida, »sie schickte wohl zwanzigmal, ich kam aber nie dazu, hinzugehen.«

»Was der T–! ich hätte geglaubt, du wärest ein vernünftiges gesittetes Mädchen geworden; wie kannst du solche Sottisen begehen, und die Einladungen einer Dame, die mit dem fürstlichen Hause so nahe liiert ist, refüsieren?«

»Man hat mich deswegen bei Hof nicht weniger freundlich aufgenommen«, antwortete Ida und hob das von Unmut gerötete Gesichtchen empor, »man hat sich vielleicht gedacht, daß es der Ehre eines unbescholtenen Mädchens wohl anstehe, so fern als möglich von der Frau Gräfin zu bleiben.«

»So sieht es dort aus?« fragte der Präsident kopfschüttelnd, »nun, nun! heutzutage setzt man sich, wenn man ein wenig Welt hat, darüber weg. Ich mag dir hierüber nichts sagen, ihr jungen Mädchen habt eure eigenen Grundsätze, nur wäre es wegen den jetzigen Verhältnissen besser gewesen, du hättest sie öfter gesehen, denn wenn sie sich hier in der Gegend ankaufen, nach Freilingen kommen sie doch auch alle Jahre ein paarmal, wir machen das erste Haus hier, du sollst in Zukunft die Dame des Hauses vorstellen, wie kannst du nun die Gräfin Martiniz empfangen, wenn du in der Residenz sie so ganz negligiertest.«

»Nun Gräfin Martiniz ist sie ja noch nicht«, meinte der Hofrat und lächelte dabei so geheimnisvoll, daß es sogar dem Präsidenten auffiel.

»Nun, Er spricht ja so sicher über diesen Punkt«, sagte dieser, »als kenne Er den Grafen Martiniz und seine Herzensangelegenheiten aus dem Fundament.«

»Seine Herzensangelegenheiten nun freilich nicht«, lächelte Berner, »aber den Grafen hatte ich die Ehre, gestern kennenzulernen. –«

»Wie«, unterbrach ihn der Präsident, »er ist schon hier, und wir schwatzen schon eine Stunde von ihm und Sie sagen nichts –«

»Fräulein Tochter ist nicht minder in der Schuld als ich«, entgegnete jener, »sie kennt ihn sogar genauer als ich.«

»Ich glaube, Ihr seid von Sinnen, Berner, oder mein Laubenheimer hat Euch erleuchtet; du, Idchen, du kennst ihn?«

»Nein – ja –« antwortete Ida, noch höher errötend, »ich habe mit ihm getanzt, das ist alles.« –

»Er war also gestern auf dem Ball? schon bei Jahren, natürlich, ein ältlicher Mann? schon in unserm Alter, Berner?«

»Nicht so ganz«, sagte dieser mit Hohn, »er mag so seine drei- bis vierundzwanzig Jährchen haben. Übrigens können Exzellenz seine Bekanntschaft recht wohl machen, er logiert drüben im Mond.«

Der Präsident war zufrieden mit diesen Nachrichten; er sann nach, wie der junge Mann am besten zu halten sein möchte, denn er trieb alles gerne nach dem Kanzleistil. Freund und Tochter, die er zu Rat zog, rieten, ihn einzuladen und ihm soviel Ehre und Vergnügen als möglich zu geben; der Hofrat nahm es über sich, die Sache einzuleiten und der Präsident ging um ein Geschäft leichter in sein Kollegium.


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