Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Licht in der Finsternis

»Nun was sagst du zu dieser Geschichte?« sprach der alte Herr zu Martiniz, als sie wieder in ihrem Zimmer waren; »was sagst du zu der schönen Strumpfbandgeschichte?« »Nun was werde ich dazu sagen«, antwortete Emil nachdenklich, »daß er mit der Gräfin in einem sehr unanständigen Verhältnis steht. Aber erklären Sie mir nur, was plauderte er nur von einem alten Sorben und von einem Grafen, der die Gräfin Aarstein heiraten solle?«

»Das will ich dir schwarz auf weiß zeigen«, sagte jener, und zog einen Pack Briefe hervor, den er Emil zur Durchsicht gab. Es waren jene Briefe, welche der alte Sorben an den älteren Grafen Martiniz geschrieben hatte, um womöglich eine Heirat zwischen Emil und der Aarstein zu bewirken. Immer eifriger las Emil, immer zorniger und düsterer wurden seine Züge, der alte Herr ging indessen auf und ab und betrachtete den Lesenden. Endlich sprang dieser auf und rief: »Nein das ist zu arg! das ist nicht auszuhalten, mit mir ein solches Spiel spielen zu wollen! was sagen Sie zu diesen Briefen, wie reimen Sie dies alles zusammen.«

Der alte Herr setzte sich zu Emil nieder, legte seine Hand zutraulich auf seine Schulter und sprach: »Ich habe dir letzthin gesagt, daß ich sechzig Jahre habe und du zwanzig, daß ich also auch manches kälter betrachte und darum schärfer als du. Schon damals ahnete ich manches, jetzt durch die Irrereden des Rittmeisters ist mir auf einmal alles klar. Daß dich in diesen Briefen die Gräfin durch den schlechten Kerl, den alten Sorben zu angeln sucht, siehst du wohl ein; sie hört nun durch Kundschafter oder wie es sonst gegangen sein mag, du seiest hier und wie du nicht leugnen kannst, in einem zärtlichen Verhältnis mit Ida. Daß der Gräfin daran lag, dich oder vielmehr dein Vermögen nicht hinauszulassen, kannst du dir denken. Daher kam sie eilends hieher, um dich zu erobern; dazu gehörte aber auch, daß sie Ida von deinem Herzen losriß und wie konnte dies besser sein, als durch den Rittmeister. Wie dieser mit der Gräfin stand, wissen wir aus dem Strumpfband-Billett, das also von ihr ist; wie er aber mit Idchen, dem keuschen reinen Engel stand – und hat er sein ganzes Leben hindurch gelogen, so war er wenigstens in seinem Wundfieber wahr – erinnerst du dich, daß er mir auftrug, der Gräfin zu sagen, daß mit dem spröden Mädchen nichts anzufangen sei? Da hast du jetzt den ganzen Plan, Freundchen, so und nicht anders verhalten sich die Sachen. Was sagst du nun dazu?«

Ganz versunken in Schmerz und Wehmut saß der Graf neben ihm. Er hatte sein Gesicht in das Taschentuch gedrückt und weinte heftig. »O Ida, wie tief habe ich dich beleidigt«, flüsterte er; »was war ich für ein Tor, wie war ich so stockblind, um nicht gleich alles einzusehen. Wie war ich so grausam und konnte das gute sanfte Engelskind, das mir so gut war, das mich so liebhatte, so tief kränken und beleidigen!«

Dem alten Herrn wurde angst und bange, Emil möchte, wenn die Reue sein Gemüt zu sehr angreife, wieder in seinen Wahnsinn verfallen, aus welchen ihn das Mädchen so wundervoll errettet hatte. »Solange man lebt, kann man alles wieder gut machen«, sagte er zu dem Weinenden, »und namentlich ist nichts leichter zu schlichten als kleine Katzbalgereien unter Liebenden. Sei darum getrost und glaube, es wird sich alles noch gutmachen.« Und nun setzte er dem Grafen auseinander, daß er sich so bald als möglich mit seinem Mädchen versöhnen müsse; aber dabei dürfe er nicht stehenbleiben; er zeigte ihm, wieviel er diesem Mädchen schuldig sei, wie sie ihn zuerst mit der Welt wieder ausgesöhnt habe, wie sie nachher erhaben über alle mögliche falsche Deutung jenes unglückbringende Gespenst (seiner Phantasie) entfernt, wie sie mit unendlicher Freundschaft allem aufgeboten habe, ihn zu zerstreuen und zu erheitern. »Wahrlich«, schloß er, »diesem Mädchen bist du mehr schuldig als daß du ihr den argen Verdacht mit dem Rittmeister abbittest – du bist, ich sage es offen, du bist ihr deine Hand schuldig, sosehr sich auch«, setzte er schalkhaft lächelnd hinzu, »sosehr sich auch dein Herz dagegen sträuben mag!«

Es hat selten ein geistlicher Witwentröster, wenn er auch noch mit zehnmal größerer Salbung sprach, mit so großem Effekt sein »Amen, gehe hin und tue also« gesagt, als der alte Herr auf dem Sofa neben dem Grafen. Die Tränen waren schnell getrocknet von den glühenden Strahlen, die aus dem dunkeln Auge sprühten, ein holdes Lächeln spielte um seinen Mund, das ganze Gesicht war anmutig verklärt, er sprang auf, er ergriff die Hände des guten Alten und preßte sie an sein laut pochendes Herz, an die glühenden Lippen: »O wie Herrliches verheißen Sie mir, Sie, Sie muntern mich dazu auf, wozu mich mein Herz schon lange zog; o wie kann ich Ihnen danken, mein väterlicher Freund, mein guter, teurer O–« doch halt, beinahe hätten wir das Inkognito des Herrn von Ladenstein gebrochen und Namen genannt und Dinge geplaudert, die jetzt noch verschwiegen werden müssen. Der alte Herr schloß Emil in die Arme und ging dann an die Türe; »Brktzwisl, alter Kerl komm herein, und teile die Freude deines Herrn; er will Hochzeit machen und das so bald als möglich!«

Der alte Diener machte ein sauersüßes Gesicht, als ob er ein Rhabarbertränklein im Mund hätte und sollte es als den trefflichsten Xeres loben. »So–o?« sagte er, »nun da muß ich ja gratulieren!« »Nun wie alter Kauz«, sagte Ladenstein, »du scheinst dich nicht recht zu freuen, gefällt dir denn die Braut nicht, die sich dein Herr erlesen?«

»Nun«, antwortete Brktzwisl, »sie ist schön die Frau Gräfin –«

»Wer spricht denn von der Gräfin«, sagte sein Herr, »Fräulein Ida meinen wir!«

»Was«, rief der alte Diener und gebärdete sich wie wahnsinnig, denn jetzt hatte er wirklichen süßen Xeres im Mund, »das Wunderengelskind? also hat Gott Ihr Herz gelenkt zum Guten? Fräulein Ida soll meine Frau Exzellenz werden? Hurra, das ist einmal schön –«

Man mußte seinem Jubel Einhalt tun, er wäre sonst spornstreichs durch die Straßen gerannt und hätte die Nachricht an allen Ecken verkündigt. Das helle Wasser der Freude stand der alten treuen Seele in den Augen, er küßte dem alten Herrn und dem Grafen die Röcke, und beiden war es ein neuer schöner Beweis, wie das Mädchen Wunderhold alle Herzen bezauberte, hatte sie ja doch, die holde Frühlingssonne, den alten eingeschnurrten winterlichen Eisbären aufgeweicht und zum tollenden Kind gemacht.


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