Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Der Herr Inkognito

Ein stiller aber scharfer Beobachter erschien jetzt auf dem Schauplatz, es war der fremde Herr, den der Graf unter dem Namen eines Herrn von Ladenstein bei dem Präsidenten einführte. Die Empfehlung eines Hausfreundes, wie der Graf war, hätte schon hingereicht, ihn in diesem Hause willkommen zu machen; aber die vom Alter noch nicht gebeugte Gestalt des alten Herrn voll Würde und Anstand, sein sprechendes Gesicht, erwarben ihm Achtung, und als vollends der Präsident, ein Kenner in solchen Dingen, das Theresienkreuz auf seiner Brust wahrnahm, stieg seine Achtung zur Verehrung. Er wußte, daß, wer dieses Zeichen trug, ein Ritter im vollen Sinn des Wortes war, und daß ein solcher sich gewiß einer Tat rühmen durfte, die nicht die Laune des Glücks oder hohe Protektion zu einer glänzenden erhoben, sondern die aufgesucht unter der Gefahr, hohen Mut und tiefe Einsicht bewährte.

Vorzüglich Ida fühlte sich von diesem Mann wunderbar angezogen. Seit der Spannung zwischen ihr und Martiniz hatte sie immer mit geheimen Widerwillen der Teestunde, sonst ihre liebste im ganzen Tag, entgegengesehen. Der Graf kam entweder gar nicht, oder sehr spät, oder unterhielt er sich mit der Aarstein. Die Sorben und andere dergleichen Fräulein und Damen kamen ihr schal und langweilig vor, daß sie glaubte, nicht eine Stunde bei ihnen sitzen zu können; der Rittmeister, dessen Geschäfte beim hiesigen Regiment noch immer nicht zu Ende gehen wollten, war ihr am fatalsten von allen.

Sein erstes war immer, daß er sich mit seinem Stuhl neben sie drängte und dann so bekannt und vertraut tat, als wären sie Zeltkameraden, er half ihr Tee einschenken, Arrak und Milch umherreichen und verrichtete alle jene kleine Dienste, die einem begünstigten Liebhaber von seiner Dame erlaubt werden. Dabei nahm er sich oft die Freiheit, ihr in die Ohren zu flüstern, aber die gleichgültigsten Dinge, etwa ob sie noch mehr Milch, oder noch mehr Zucker bedürfe, sah aber dabei aus, wie wenn er die zärtlichste Liebeserklärung gewagt hätte.

Daher kam ihr der alte Ladenstein sehr zustatten. Sie sorgte dafür, daß er neben sie zu sitzen kam und nun durfte sie doch für diesen Abend sicher sein, daß der Rittmeister nicht ihr Nachbar würde.

Und wie angenehm war seine Unterhaltung. Alles was er sagte, war so tief und klar gedacht, so angenehm und interessant, und trotz seines grauen Haares, trotz seiner sechzig Jährchen, die er haben mochte, war eine Kraft, ein Feuer in seinen Reden, das einem Jüngling keine Schande gemacht hätte. Aber auch dem alten Herrn schien das Mädchen zu behagen; sein ernstes Gesicht heiterte sich zusehends auf, seine lebhaften Augen wurden glänzender – solch ein Mädchen hatte er selten getroffen und er war doch auch ein bißchen in der Welt gewesen. Diesen klaren Verstand, dieses richtige Urteil, diese Gutmütigkeit neben soviel Humor und Witz, er war ganz entzückt. Und überall war sie zu Haus; er bewunderte die wunderherrlichen Blumen, die sie machte, man kam von diesen auf die natürlichen Blumen, auf seltene Pflanzen. Er beschrieb ihr eine Blume, die so wunderschön aussehe und die sich zu Girlanden gar hübsch ausnehmen würde, aber der Name fiel ihm nicht ein. Kaum hatte er die Form der Blätter erwähnt, so sagte sie ihm auch schon, daß die Blume calla aethiopica heißen müsse, weiß blühe, und auch »Äthiopische Drachenwurz« genannt werde. Er bekam ordentlich Respekt vor dem holden Kind, das so gelehrt sein konnte; aber da war nicht jenes Prahlen mit Kenntnissen, das man bei gelehrten Damen so oft findet. Nein als die Blume abgemacht war sprach sie auch kein Wörtchen mehr von Botanik, und es war, als habe sie nie davon gesprochen.

Er kam auf die neueste Literatur und pochte da an; wahrhaftig, sie hatte alles gelesen und zwar nicht nur, was man so aus Leihbibliotheken bekommt oder in einem Almanach findet; nein! sie hatte interessante Geschichtswerke gelesen und eigentlich studiert. Aber auch daraus machte sie nichts Großes. Je wichtiger das Werk war, desto bescheidener war ihr Urteil und dabei tat sie so unbefangen, als ob jedes Mädchen dergleichen gelesen hätte. Und als sie auf ausländische Literatur kamen, als sie von Lord Byron, seinen herrlichen Gedichten und seinem unglücklichen Ende sprachen, als der alte Herr mit dem Theresienkreuz ihn dennoch glücklich pries, weil sein Geist sich höher als alle andere geschwungen, weil er den Menschen und die ganze Natur so tief erkannt habe: da antwortete ihm, nein es ging über seine Begriffe, antwortete ihm die kleine Wetterhexe mit Byrons eigenen Worten, als hätte sie seinen »Manfred« eben erst gelesen:

»The tree of knowledge is not that of life

Er war ganz selig, der alte Herr, ein solches Mädchen hatte er in vielleicht zwanzig Jahren nicht gefunden. Und das schnepperte und bepperte mit seinem lieben hübschen Schnäbelchen so unschuldig in die Welt hinein, das blickte ihn mit seinen frommen Taubenaugen, in welchen doch wieder ein wenig der lose Schalk saß, so wundervoll an, er war ganz weg und dankte dem Grafen tausendmal, als sie wieder in den Mond zurückgekommen waren, daß er ihn mit einem so interessanten Geschöpf bekannt gemacht habe.


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