Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Trau – schau – wem?

Als Ida in das Teezimmer trat, stellte ihr der Präsident, nein sie hätte mögen gerade in den Boden sinken – »Siehe da, Ida«, sagte er, »ein Bekannter von dir aus der Residenz, Herr von Sporeneck hat uns diesen Abend mit seinem Besuch beehrt. Nun, das wird mein Kind freuen; wenn so einer von euch Herren in unser kleines Freilingen hereinkommt, ist es gleich ein Jubel und ein Fest für alle Mädchen, die nur einmal in der Residenz waren; da werden dann allemal in Gedanken alle Bälle und die kleinsten Touren noch einmal durchgetanzt und in der Erinnerung viel getollt; ich kenne das«, setzte der freundliche Alte hinzu, indem er sein Töchterchen in die Wange knipp, »war auch einmal jung, und kenne das.« Er ging weiter und ließ den Rittmeister vor Ida stehen.

Diese wurde bald blaß, bald rot und zitterte, als sollte sie gerade umfallen. Dieser Mensch, den sie so schnöde abgewiesen hatte, dieser konnte es wagen, in ihres Vaters Haus zu kommen?! Sollte sie ihn nicht öffentlich prostituieren, ihn einen impertinenten Menschen heißen und fortschicken? Doch nein sie wußte, wie heilig das Gastrecht ihrem Vater war, sie wollte ihn schonen. – So hing sie ihren Gedanken nach und bemerkte nicht, wie der Rittmeister schon seit einigen Minuten neben ihr stand und an sie hinsprach; jetzt kam sie wieder zu sich – was mußte nur der Graf denken, wenn sie so lange bei dem Menschen stand, mit welchem sie die Aarstein bei ihm so verdächtig gemacht hatte; ihre Augen suchten den Geliebten – er saß neben der Gräfin, traulich hatte sie ihre Hand auf die seine gelegt, unverwandt sahen beide nach ihr und dem Rittmeister herüber – die Gräfin mit höhnischer Schadenfreude, mit triumphierendem Blick, der Graf, starr und finster, als sehe er etwas, das er gar nicht für möglich gehalten hätte.

Und so war es ihm auch; noch waren immer Zweifel in ihm aufgestiegen, ob denn auch wirklich alles so sei, wie die Aarstein gesagt hatte, wie sein Mißtrauen ihm zuflüsterte; zwar das Hiersein des Rittmeisters – doch er konnte ja auch in Geschäften an das hiesige Regiment geschickt worden sein; dann die Zumutung, ihm ein Zimmer Ida gegenüber abzutreten; nun ja, das war allerdings stark und der böse Geist wollte ihm zuflüstern, daß dies schon sehr viel beweise. Aber sein besserer Sinn siegte doch wieder; das alles bewies ja nur höchstens, daß der Rittmeister in Ida verliebt sei, von ihrer Seite hatte er ja keinen Beweis gesehen. Aber recht Achtung wollte er geben auf Ida, das war sein Entschluß gewesen, als er durch die hellerleuchtete Enfilade von Präsidents Zimmern ging.

Er war heute einer der ersten und in den hohen weiten Zimmern beinahe niemand, den er näher kannte, oder mit welchem er in ein Gespräch sich hätte einlassen mögen; daher ging er allein und in tiefen Gedanken durch die Zimmer. Da tippte es ihm leise auf die Schultern; wenn das Ida – dachte er; er sah sich freundlich um – es war die Gräfin; sie verwickelte ihn bald in ein Gespräch, aus welchem er sich nicht sobald heraus wirren konnte; das Fatalste war, daß er dem Redegang der Gräfin Plapperinsky immer folgen mußte, um nicht zerstreut zu erscheinen, und doch ging ihm immer der Rittmeister und sein Logis im Kopf herum.

»Nein, aber sagen Sie selbst, Graf«, fuhr sie fort, nachdem sie in einer Pause wieder Atem geschöpft hatte, »sagen Sie selbst, kann man artiger und aufmerksamer für seine Gäste sein, als Ida? denken Sie sich, meine Coffres und Vachen waren schon in den obern Stock gebracht worden, es wohnt sich dort ganz hübsch, zwar sind die Zimmer nicht so elegant eingerichtet wie hier unten, doch Sie wissen selbst, auf Reisen macht man keine so großen Ansprüche, besonders wenn man so schnell und unangemeldet kommt wie ich; ich war also schon ganz zufrieden in meinem Sinn und ließ auspacken; da kommt das gute, liebe Engelskind, denken Sie sich, und ruht nicht eher, bis ich von ihrem schönen Boudoir, Schlafzimmerchen und allem hier unten Besitz nehme und sie selbst zieht in ihrem Edelmut hinauf in den obern Stock. Nein, sagen Sie selbst, kann man die Gastfreundschaft weiter treiben, als die gute Ida?«

»Sehr viel, sehr viel!« preßte Emil heraus, es war ihm, als schnürte ihm etwas die Kehle zusammen, als ob eine eiskalte Hand ihm in die Brust führe und das warme, liebeglühende, treue Herz umdrehte und schmerzlich hin- und herreiße. Jetzt war es ja sonnenklar, entschieden war jetzt die fürchterliche Verstellungskunst dieser – – Dirne, die so schändlich mit ihm gespielt hatte; daß zwischen dem Logis des Rittmeisters und ihrer ungemeinen Gefälligkeit gegen die Gräfin ein geheimer Zusammenhang stattfand, konnte ein Blinder sehen.

Er lachte, es war das Lachen der Verzweiflung und die ganze Hölle lachte aus ihm heraus. »Wahrhaftig, ein großes Opfer«, sagte er mit schrecklicher Lustigkeit zu der Gräfin, »eine ungeheure Großmut, die ganz allein aus der allerausgedehntesten Nächstenliebe und Gastfreundschaft hervorgeht!« Die Gräfin Aarstein-Satanas wußte wohl, daß sie sein Herz mit glühenden Zangen zwickte, wußte auch nur gar zu gut, woher die Logisveränderung kam, aber so vollständig, so schnell hatte sie sich ihren Sieg, ihren höllischen Triumph nicht vorgestellt.

Sie hatte ja nie so recht geliebt, sie wußte daher auch nicht, daß die stärkste, glühendste Liebe zugleich die schwächste und empfindlichste ist!

Jetzt kam auch der Rittmeister, der mit Empfehlungen an den Präsidenten reichlich versehen war; der Graf bebte zurück vor ihm. Dieses gierige Auge, dieses höhnische Lächeln, diese falsche, schlaue, lauernde Miene, so ganz ohne höhere Bedeutung, ohne edlere Züge, diesen Menschen konnte Ida lieben. Er hätte jedem unter die Nase gelacht, der ihm vor zwei Tagen, als er noch an die Engelsunschuld des lieben Mädchens glaubte, hätte weismachen wollen; er hätte jeden einen Schurken geheißen, der dieses heilige, keusche Geschöpf mit diesem Mann, in dessen Gesicht schon alle Leidenschaften gewühlt hatten, nur im leisesten Verdacht gehabt hätte; – jetzt mußte er ja selbst daran glauben. Wie ein Kind ließ er sich von der Aarstein leiten, sie zog ihn zu sich nieder, sie spielte die Verwunderte, den Rittmeister hier zu sehen, sie ließ manche giftige Bemerkung schlüpfen – er hörte nichts, er sah nichts, nur ein Gedanke beschäftigte ihn, er wollte recht haarscharf achtgeben, wenn sie käme, wie sie sich gegen Sporeneck benehmen würde. Die Türe ging auf, sie kam; an der Hand des Vaters ging ihr der Geliebte entgegen, er sah wie sie ihr Entzücken unterdrückte, wie Blässe und Röte auf ihrem Gesicht wechselten, wie sie ganz versunken in Liebe dem Rittmeister zuhörte, und wie glühende Dolche fuhr die bitterste Eifersucht durch sein Herz: – »Sehen Sie nur hin, Graf«, flüsterte ihm die Aarstein ins Ohr, »sehen Sie nur, wie glücklich die Leutchen dort sind! Das ist ein Erzählen, das ist eine Wonne, daß man einander nach ein paar Wochen wiederhat; daß sie sich nicht auf der Stelle abherzen und küssen, ist alles!«

Dem Grafen wurde grün und gelb vor den Augen. – Jetzt nahte Ida, der Gesellschaft am Teetisch ihr Kompliment zu machen; die Röte des Unmuts und der Verlegenheit lag noch auf dem Gesichtchen und gab ihm einen so eigenen Reiz, daß der Graf nur um so tiefer fühlte, wie schrecklich sich hier die Natur vergriffen und um ein so falsches, zweideutiges Herz eine so herrliche Gestalt gezogen, warum sie gerade ihr, die es so gar nicht verdiente, diese sanften Taubenaugen, dieses holde Grübchen in den Wangen, dieses bezaubernde, huldvolle Lächeln gegeben. Sie verneigte sich gegen die Gesellschaft, die Gräfin drohte ihr lächelnd mit dem Finger, sie errötete von neuem; sie mußte noch die Zuckerdose herbeiholen, sie hätte einen viel näheren Weg gehabt, aber sie machte einen Umweg an Martiniz vorüber, er wagte nur einen leichten Viertelseitenblick – auf ihn war ihr strahlendes Auge gerichtet, ihm lächelte sie, ihm flüsterte sie im Vorbeigehen kaum hörbar zu: »Guten Abend, Freund! warum so ernst und düster.«

Er fühlte den süßen Hauch an seiner Wange, ein solcher Gruß hätte ihn sonst bis in den dritten Himmel erhoben, ein solches Zauberwort hätte sonst alle Wolken von seiner Stirne gebannt, und die traurigsten Falten geebnet. Heute – er blieb starr und stumm; nein, eine solche Erzgeneralarmeekokette mußte es ja auf dem weiten Erdenrund nicht geben! Ist fünf Minuten außer sich, weil sie den alten Liebhaber wiedersieht, und um es doch mit dem neuen nicht zu verderben, flüsterte sie ihm – Nein! jetzt sprudelte das Maß ihrer Schuld über. Der reine, wahrheitsliebende Jüngling konnte ihr verzeihen, daß sie einem so zweideutigen Menschen, wie dieser Sporeneck offenbar sein mußte, ihr Herz schenkte, er konnte ihr verzeihen, obgleich es ihm das Herz brechen wollte, daß sie mit ihm ein so grundfalsches Spiel gespielt hatte, er konnte es der schwachen weiblichen Natur beimessen, daß sie sich, als der alte Liebhaber nahte, so ungeheure Blößen gab, er konnte dies alles verzeihen, daß sie aber auch jetzt noch ihr Spiel fortspielen wollte, daß sie zweien auf einmal gehören wollte, nein, das ging über seine Begriffe, er mußte, seine Natur wollte sich dagegen sträuben, wie sie wollte, es war ihm, als müsse er sie verachten. Aber sie hatte recht, obgleich in einem andern Sinn; seine Ehre forderte es, daß er nicht dasaß, wie ein armer Sünder, über welchen der Stab gebrochen wurde; wenn auch besiegt, durfte er nicht traurig aussehen; er wollte, er mußte lustig sein, und sollte sein Herz dabei aus allen Wunden bluten.

Der Hohn gegen die ganze Welt, der in der Brust des Tiefgekränkten aufstieg, gab ihm Kraft dazu; eine Lustigkeit bemächtigte sich seiner, die er seit Jahren nicht gekannt hatte; er riß das Gespräch an sich, er strahlte von Witz und Leben, daß alle weibliche Herzen dem herrlichen Mann, dem schönen witzigen Grafen zuflogen. Allen galt sein Gespräch; sein feuriges Auge schien jeder Dame etwas Schönes sagen zu wollen, ausschließend aber galt es der Gräfin. Er wußte selbst nicht, was ihn antrieb, ihr so sehr als möglich den Hof zu machen, aber es war ein dunkles Gefühl in ihm, als müsse es Ida recht tief verletzen, wenn er die Gräfin so sehr auszeichne, wenn er alle Damen für sich gewinnen wollte, und ihr, ihr allein keinen Blick, kein Lächeln gönnte, nicht einmal zu hören schien, wenn sie hie und da ein Wörtchen mit einschlüpfen lassen wollte.

Und in der Tat, er erreichte seinen Zweck vollkommen; er hatte es getroffen, tief bis ins innerste Leben getroffen, dieses treue Herz, das nur für ihn, mit dem Feuer der ersten jungfräulichen Liebe nur für ihn schlug! ihr Blick hing an seinen Lippen, sie freute sich anfangs, daß er so fröhlich sei, sie glaubte nicht anders, als die paar Wörtchen, die sie ihm zuflüsterte, haben ihn aus seiner finstern Laune hervorgezaubert; ihr kleines Herzchen triumphierte; als sie aber sah, wie er sich an alle wandte, nur an sie nicht, wie auch nicht ein Blick der Freundin galt, wie er nur für die Aarstein zu leben schien; als sie seinen schneidenden Hohn, die grelle Lustigkeit, den schillernden Witz, der ihm sonst gar nicht eigen war, bemerkte, da ahnete ihr wohl, daß ihm jetzt ein anderes Gestirn aufgegangen sein müsse, das seinen Einfluß auf ihn übe; und wer konnte dies sein, als die, die ihr von jeher feindlich entgegengetreten war. – Die Aarstein! der Glanz der üppigen Rose hatte ihn geblendet, was konnte es ihm auch ausmachen, daß er nebenbei das Veilchen zertrat? sie klagte nicht, sie weinte nicht, aber eine furchtbare Blässe lag auf dem holden Engelsgesichtchen, ein wehmütiges Lächeln spielte um ihren Mund, sie sah ja alle die leise geahnten Hoffnungen ihres Herzens, die sie, ach nur in einem einzigen seligen Augenblicke, recht klar sich gestanden hatte, sie sah sie alle mit einem Mal versinken, und – mit dem Freunde untergehen. Von Anfang war es ihr noch, als flattere eine Art ängstlicher Eifersucht in Gestalt einer Fledermaus durch den kaum dämmernden Morgenhimmel ihrer Liebe; dann aber war alles stille Nacht in ihr; es blieb ihr nichts mehr als ein großer Schmerz; sie fühlte, daß sie diesen ewig, ewig in ihrem treuen Busen tragen werde.


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