Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Feine Nasen

So verdeckt hier jedes sein Spiel spielte, so geheim alle diese Fäden gesponnen, angeknüpft und nach und nach zu einem dichten Gewebe verschlungen wurden, so merkte man doch hin und wieder, was vorging. Fräulein Sorben und die alte Schulderoff wurden von Tag zu Tag durch die getreuen Rapporte des Rittmeisters von Sporeneck über den Stand der Dinge belehrt. Ihre scheelblickenden Augen glänzten vor Freude, wenn sie wieder Neues erfuhren. Der Graf war ihnen ein verlorner Posten, den Fräulein Ida weder mit Tränen noch Gebet wieder heraushauen könnte.

Nichts war ihnen aber größeres Labsal, als das Fräulein von der traurigen Gestalt selbst, wie sie Ida nannten. Daß sie ernster, blässer, trüber war als sonst, war weder ihrem noch des Rittmeisters Scharfblick entgangen, und eine wahrhaft teuflische Schadenfreude, die sich in einem vierstimmigen Gelächter Luft machte, befiel sie, als Sporeneck erzählte, daß er sie durch seinen Tubus, mit welchem er hinter seinen Gardinen nach Idas Fenster visierte, bitterlich habe weinen sehen.

Aber Fräulein von Sorben sorgte auch dafür, daß Ida in ihrer Verzweiflung sich nicht dem Rittmeister in die Arme werfen konnte; sie hatte alle ihre Geistes- und Körperreize teils vor ihm entfaltet, teils durchschimmern lassen, und ihrem scharfsinnigen Auge konnte es nicht verborgen bleiben, daß er ganz bezaubert davon war. Es ist nur schade, daß er auf die Liebe so trefflich eingeschult war, daß er sechs oder acht der zärtlichsten Liebschaften zumal haben konnte und jede die Betrogene war. So hatte also die beleidigte Dame dem naseweisen Backfisch, der sich erdreistet hatte, in ihrer Gegenwart Grafen in sich verliebt zu machen, zwei Liebhaber auf einmal weggeputzt. »Da kann man sehen«, sagte sie zu sich, »was die Routine macht. Das armselige Ding ist kaum sechzehn Jahre gewesen, ich habe sie noch in den Windeln gesehen und sie will sich mir gleichstellen. Aber das Affengesicht hat jetzt seinen Lohn, man hat dem unreifen Ding den Mund sauber abgewischt, hat ihr die verliebten Äugelein ausgeputzt, daß sie sieht, daß in der ganzen Welt vierundzwanzig vor sechzehn kommt.«

Aber auch der alte Brktzwisl, die gute ehrliche Seele, hatte das Ding so wenig gemerkt. Als sie damals miteinander aus der Kirche gekommen waren – seitdem hatte der schreckliche Wahnsinn seinen Herrn kein einziges Mal mehr befallen –, damals hatte er sich ein Herz gefaßt und zu dem Grafen gesagt: »Wie doch das Fräulein so hübsch, so tausenddonnernett aussah am Altar, bassa manelka, wie müßte sie erst aussehen bei Tag und als Bräutchen –!« Dem Grafen schien der Gedanke nicht übel einzuleuchten, denn er hatte zufrieden gelächelt und gesagt, »Nun, was nicht ist, kann noch werden.« Er aber hatte sich folgenden Tages gleich hingesetzt und an den alten Herrn Grafen geschrieben: »So und so, und dem gnädigen Fräulein und sonst auf Gottes weitem Erdboden niemand ist man die Rettung meines Herrn schuldig. Es kann aber auch in sechs Herrenländern kein solches Wunderkind mehr geben. Die selige Comtesse war doch auch nicht, mit Respekt zu vermelden, aus Bohnenstroh, aber Gott weiß, sie reichte dem schönen Fräulein das Wasser nicht. Und vornehm sieht sie aus, als wäre sie allerwenigstens ein Stück von einer Prinzeß. Der junge Herr ist aber auch rein in sie verschossen, und ich meine, daß es nicht menschenmöglich gewesen wäre, ihn zu kurieren, außer durch so große Inbrunst und Liebhaberei. Das hat ja auch schon der deutsche Doktor prophezeit, wie ich Euer Exzellenz meinem gnädigsten Herrn Grafen vermeldet habe.«

So lautete die Freudenepistel an den alten Oncle, worin die Errettung vom Wahnsinn gemeldet wurde. Die Freude wollte dem alten Diener beinahe die Herzkammertüre zersprengen, bis er die Buchstaben alle aufs Papier gemalt hatte. Bisher hatte er allwöchentlich Bericht erstatten müssen. Da hatte es denn aus Italien, Frankreich, Holland, vom Genfer See, am Rhein, an der Seine und an der Nordsee immer geheißen: »Der Herr Graf befindet sich noch im alten Zustand.« – »Die Krankheit scheint zuzunehmen.« – »Die Ärzte wußten wieder nichts.« – »Die Ärzte geben ihn auf.«

Hier in dem unscheinbaren Städtchen, hier endlich sollte das Heil, der Stern des Segens aufgehen. Er konnte sich die Freude des alten Herrn denken, der so ganz an Emil wie an einem Sohn hing; er sah schon im Geiste, wie der Herr Graf lächeln, die Hände reiben und rufen werde: »Nun in Gotts Namen, macht Hochzeit!«

Aber jetzt mußte der Teufel ein Ei in die Wirtschaft gelegt haben, denn sein Herr – der sah gar nicht mehr so glücklich und selig aus wie damals, als jene Freudenbotschaft abging –er war niedergeschlagen, traurig; fragte der alte Brktzwisl, dem aus alten Zeiten eine solche Frage zustand, was ihm denn fehle, so erhielt er entweder gar keine Antwort, oder der Graf stöhnte so schmerzlich, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen und sagte dabei: »Du kannst mir doch nicht helfen, alte Seele!«

Es wollte ihm nun gar nicht recht gefallen; er klügelte hin und her, was es denn wohl sein könne, das seinen Herrn auf einmal so stutzig und trutzig mache – da ist ein Gast drüben bei Präsidents, eine große Dicke, so halb Jungfer, halb Frau, hat die vielleicht Unkraut gestr–

Ja, das konnte sein, das schien dem alten Brktzwisl sogar wahrscheinlich; wenn er aber dieser nachlief und das schöne Fräulein im Stich ließ – nein, er wollte seinem Herrn nichts Böses wünschen, aber da soll ihm doch das siedende Donnerwetter auf den Leib – er schlug zu diesem Gedanken so grimmig auf seines Herrn Rock zu, den er im Hausgang ausklopfte, daß der Staub in dichten Wolken umherflog: »Ja, da wollte ich«, rief er in seinem Selbstgespräch weiter und klopfte immer schrecklicher, »wenn du die dicke Trutschel nimmst und das schöne Fräulein, die dich aus den Klauen des schwarzen Teufels herausklaupte, wenn du die fahren läßt, alles siedende Schwefelpech des Fegefeuers soll dich dann kreuzmillionenmal –«

»Wen denn?« fragte eine tiefe Stimme hinter ihm. Er sah sich um und glaubte nun gleich in den Boden sinken zu müssen. Ein großer ältlicher Mann, mit feinen klugen Gesichtszügen, in einem schlichten Reiseüberrock, dem nur ein vielfarbiges Band im Knopfloch einige Bedeutung gab, stand vor ihm. »Alle gute Geister!« stammelte endlich Brktzwisl, indem er den Fremden noch immer mit weit aufgerissenen Augen anstarrte – »wie kommen Ew. Ex–«

»Halt jetzt dein Maul von dergleichen«, sagte der Herr mit dem Ordensband freundlich, »ich reise inkognito und brauche diesen Firlefanz nicht; wo ist dein Herr?«

Starr und stumm bückte sich der alte Diener mehreremal, führte dann den fremden Herrn den Korridor entlang zur Türe seines Herrn, erwischte dort noch einen Rockzipfel, küßte diesen mit Inbrunst und sah zu seiner großen Herzensfreude, wie sein junger Herr mit einem Ausruf der Freude dem Fremden in die Arme sank.

Der Fremde war aber niemand anders als – Doch gerade fällt uns ein, daß der Herr, wie er sich gegen Brktzwisl äußerte, »inkognito« reiset, und es wäre daher auch von uns höchst indiskret, wenn wir dieses Inkognito früher verrieten, als der fremde Herr selbst für gut findet, es abzulegen.


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