Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Operationsplan

Als er weg war, sahen sich Ida und Berner eine Zeitlang an, ohne ein Wort zu wechseln. Der Hofrat, dem das lange Schweigen peinlich wurde, zwang sich, obgleich ihm die wehmütige Freundlichkeit in Idas Gesicht, ihr tränenschwerer Blick bis tief ins Herz hinein weh tat, zum Lächeln. »Nun wer hätte es«, sagte er, »wer hätte es dem leidenden Herrn von gestern nacht angesehen, daß er drei Milliönchen habe; wie dumm ich war, daß ich glaubte, er weine in seinem Landau, weil er keine Wechselchen mehr habe; wer hätte es dem trübseligen Schmerzenreich angesehen, daß er bald eine so glänzende lustige Partie machen würde?«

Ida schwieg noch immer; es war als scheute sie sich vor dem ersten Wort, das sie vor dem Freund, der ihr Herz so tief durchschaut hatte, auszusprechen habe.

»Oder wie?« fuhr er fort, »wollen wir eine Allianz schließen, mein liebes Aprillenwetterchen, daß die Gräfin Aarstein ihre Schulden nicht zahlen kann, daß –«

»O Berner, verkennen Sie mich nicht«, sagte Ida unter Tränen; »es ist gewiß nur das reine Mitleiden, was mich nötigt, auszusprechen, was sonst nie gesprochen worden wäre. Sehen Sie, dieses Weib ist die Schande unseres Geschlechts; sie ist so schlecht, daß ein ehrliches Mädchen erröten muß, wenn es nur an ihre Gemeinheit denkt. Prüfen Sie den jungen Mann da drüben, und wenn er ist, wie er aussieht, wenn er edel ist und trotz seines Reichtums unglücklich, so machen Sie, daß er nicht noch unglücklicher wird; suchen Sie ihn aus den Schlingen, die man um ihn legen wird, zu reißen –«

»Das kann niemand besser, als mein Idchen«, entgegnete jener und sah ihr recht scharf in das Auge; »wenn mich nicht alles trügt, hängt das Goldfischchen an einem ganz andern Haken als dem, womit ihn der Minister ködern will, nur nicht gleich so rot werden, Kind; ich will alles tun, will ihm sein Leben angenehm machen, wenn ich kann, will ihm die Augen auftun, daß er sieht, wohin er mit der Aarstein kommt; will machen, daß er sich in unserer Gegend ankauft und seine drei Millionen ins Land zieht, will machen, daß er mein Mädchen da lie–«

»Still, um Gottes willen«, unterbrach ihn die Kleine und preßte ihm das kleine weiche Patschhändchen auf den Mund, daß er nicht weiterreden konnte. »Wer spricht denn davon; einen Millionär mag ich gar nicht; es wäre ganz gegen meine Grundsätze, nur die Schlange im Residenz-Paradies soll ihn nicht haben; vom übrigen kein Wort mehr, unartiger Mann! –«

Verschämt, wie wenn der Hofrat durch die glänzenden Augen hinabschauen könnte auf den spiegelklaren Grund ihrer Seele, wo die Gedanken sich in geheim drängten und trieben, sprang sie auf und an den Flügel hin, übertönte die Schmeichelworte des Hofrats mit dem rauschendsten Fortissimo, drückte sich die weichen Knie rot an dem Saitendämpfer, den sie hinauftrieb, um die Töne so laut und schreiend als möglich zu machen, um durch den Sturm, den sie auf den Elfenbeintasten erregte, den Sturm, der in dem kleinen Herzchen keinen Raum hatte, zu übertäuben.

Verzweiflungsvoll über den hallenden Schmetter dieses Furioso enteilte der Hofrat dem Salon; aber kaum hatte er die Türe geschlossen, so stieg sie herab aus ihrem Tonwetter, die gellenden Akkorde lösten sich auf in ein süßes, flüsterndes Dolce, sie ging über in die schöne Melodie: »Freudvoll und leidvoll«, mit Meisterhand führte sie dieses Thema in Variationen aus, die aus ihrem innersten Leben heraufstiegen, durch alle Töne des weichsten Moll klagte sie ihren einsamen Schmerz, bis sie fühlte, daß diese Töne sie viel zu weich machen und ihr Spiel ohne seine Dissonanzen aufzulösen, schnell wie ihre Hoffnung endete.


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