Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Das Dejeuner

»Das ist herrlich«, sagte Ida und streichelte ihm die Wangen, wie ehemals wenn er ihr etwas geschenkt oder versprochen hatte. »Das machen Sie vortrefflich, zum Dank bekommen Sie aber auch etwas Extragutes, und jetzt gleich!« Sie stand auf und ging hinaus; dem Hofrat pupperte das Herz vor Freude, als er das wunderherrliche Mädchen dahingehen sah; die zarten Füßchen schienen kaum den türkischen Fußteppich zu berühren, der einfache blendendweiße Batistüberrock verriet in seinem leichten Faltenwurf das Ebenmaß dieses herrlichen Gliederbaues, diese frische jugendliche Kräftigkeit! Er versank in Gedanken über das holde Geschöpf, das allen Lockungen der Residenz Trotz geboten, sich das jungfräuliche Herz frei bewahrt von Liebe, und jetzt, als sie in ihre kleine Vaterstadt zurückkommt, am ersten Abend einen Mann findet, den sie – nein! sie konnte es nicht leugnen, es war ja offenbar, daß sie ihm mit der hohen Glut der ersten, jungfräulichen Liebe zugetan sei. Aber wie? durfte er, der gereifte Mann, diese Neigung, die doch wahrscheinlicherweise kein vernünftiges Ende nehmen konnte, durfte er sie unterstützen? konnte nicht der landfremde, wie es schien sogar gemütskranke Mensch alle Augenblicke wieder in seinem Landau sitzen und weiterfahren? doch der Karren war jetzt schon verfahren. –

Ida trat ein, das Gesichtchen war hochgerötet, sie trug einen silbernen Teller mit zwei Bechern, ein Kammermädchen folgte mit allerlei Backwerk. »Schokolade mit Kapwein abgerührt«, sagte Ida lächelnd, indem sie ihm einen Becher präsentierte, »ich kenne den Geschmack meines Hofrätchens gar wohl, darum habe ich dieses Frühstück gewählt, und denken Sie, wie geschickt ich bei Madame La Truiaire geworden bin, ich habe ihn ganz allein selbst gemacht, Gesicht und Arme glühen mir noch davon; versuchen Sie doch, er ist ganz delikat ausgefallen.«

Sie lüftete, ohne sich vor dem alten Freund zu genieren, das leichte Überröckchen; eine himmlische Aussicht öffnete sich, der weiße Alabasterbusen schwamm auf und nieder, daß der Hofrat die alten Augen in seine Schokolade heftete, als solle er sie mit den Augen trinken. Hieher sollte einer unserer jungen Herren kommen, dachte er, Kapweinschokolade in den Adern, ein solches Himmelskind mit dem offenen leichten Überröckchen vor sich – ob er nicht rein von Sinnen käme. Beinahe ebenso großen Respekt als vor ihren entfesselten Reizen bekam er aber vor der Kochkunst des Mädchens. Die Schokolade war so fein, so würzig; das rechte Maß des Weines so gut beobachtet, daß er bei jedem Schlückchen zögerte, zu schlucken.

Idchen aber schien ihre Schokolade ganz vergessen zu haben, denn ein neues Schauspiel bot sich ihren Augen dar. Der wohlbekannte Diener des Fremden führte ein Paar prachtvolle Pferde vor das Portal des Goldenen Mondes. Sie selbst war soviel Reiterin, daß sie wohl beurteilen konnte, daß besonders das eine Pferd, ein majestätischer Stumpfschwanz-Tigerschimmel von unschätzbarem Wert sei. Auch Berner, der in allen Sätteln gerecht war, stimmte bei und pries die einzelnen Schönheiten des Schimmels, besonders auch das elegante, geschmackvolle Reitzeug.

Ida wagte voll Erwartung kaum Atem zu holen; der Mondwirt, ein stattlicher Vierziger, trat gravitätisch aus dem Torweg und bekomplimentierte sich mit dem alten Diener um die Ehre, die Zügel des Tigerschimmels zu halten. Als aber dieser sich dieses Geschäft nicht nehmen ließ, hielt er den Steigbügel. Emil von Martiniz, in einem eleganten Morgenüberrock, trat jetzt aus der Halle, gefolgt von dem Oberkellner, er streichelte den schlanken Hals seines Schimmels, und warf über ihn weg oft seine Blicke zu dem Fenster gegenüber, wo Ida neben dem Hofrat saß.

Indem tönte der Hufschlag eines in kurzem Galopp ansprengenden Pferdes die Straße herauf, es kam näher, es war der junge Dragoner-Freier, Lieutenant von Schulderoff. Er hatte die gute Uniform an und von einem seiner Kameraden eine prachtvolle Tigerdecke entlehnt und gelangte jetzt in vollem Wichs vor des Präsidenten Haus an.

Nach Vorschrift der gnädigen Mama ließ er jetzt mit einem Blick auf die Holdselige seine Reitpeitsche fallen; im Nu war der geübte Voltigeur herab von seinem Rappen; aber gerade als er wieder aufspringen wollte, scheute sein Roß an denen, die vor dem Goldenen Mond standen, machte einen Seitensprung und dann im Carriere davon gerade auf einen Kirchplatz zu, wo viele Kinder, die gerade aus der Schule kamen, ihre unschuldigen Spiele trieben. Der Mondwirt, der bis jetzt noch immer den Zügel gehalten, flog rechts, der alte Diener links und ventre à terre flog Martiniz mit Windeseile dem Rappen nach, überholte ihn noch drei Schritte vor einem Haufen Kinder, die keinen Ausweg mehr hatten und kläglich schrien, riß sein eigenes Roß herum, packte mit Riesenkraft den Ausreißer und brachte ihn zum Stehen. Alles dies war das Werk eines Augenblicks. Der liebende Dragoner hinkte auf seinen Freiersfüßen dem Rappen nach, murmelte einige Flüche, die wie ein Dank lauten sollten, saß auf und jagte davon. Martiniz aber ritt, ohne auf den tausendstimmigen Beifall, der ihm von der Menge, die sich versammelt hatte, zugejubelt wurde, zu achten, zurück, grüßte ehrerbietig an des Präsidenten Haus hinauf und zog, gefolgt von dem alten Diener, auf seinem Morgenritt weiter.

Ida hatte in dem schrecklichen Moment das Fenster aufgerissen; sie hatte die Gefahr der armen Kleinen, hatte mit steigender Angst den gefährlichen Moment gesehen, wo Martiniz im gestreckten Carriere sein Pferd herumriß auf die Gefahr hin zu überstürzen; sie hätte mögen mit jener Menge laut aufjauchzen und konnte sich nicht enthalten, als er vor ihrem Fenster vorbeikam, seinen Gruß so freundlich als möglich zu erwidern. Dieser Moment war entscheidend; in der Angst, die sie fühlte, ward sie sich bewußt, wie teuer ihr der Mann war, der dort hinflog. Das gepreßte Herz, die stürmisch wogende Brust rang nach einem Ausweg. Der Hofrat wollte seinen alten Sarkasmus wieder spielen lassen, aber er drängte ihn zurück, als ihn das Mädchen so bittend ansah, als sie seine Hand drückte und die hellen, vollen Tränen aus den sanften Augen herabfielen. »Ich bin ein rechtes Kind, nicht wahr, Hofrat? aber über solche Szenen kann ich nicht anders, muß ich unwillkürlich weinen. Lachen Sie nur nicht über mich, es würde mir gerade jetzt recht wehe tun.«

»Gott bewahre mich, daß ich lache«, entgegnete der Hofrat, »wenn eines im höchsten Fieberparoxismus ist wie Sie, Goldkind, so lacht man gewöhnlich nicht«; er dankte ihr für ihre Schokolade, nahm Stock und Hut und ließ das Mädchen mit ihrem siebzehnjährigen, von dem Keim der ersten Liebe stürmisch bewegten Herzchen allein.


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