Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Versöhnte Liebe

Das Mädchen war sprachlos vor Staunen; es wußte nicht wie ihm geschah und traute seinen Augen nicht. In glänzender Uniform, schön und freundlich wie der Tag, ganz hingegossen in reuevoller Zärtlichkeit lag Emil vor ihr auf den Knien, hatte ihr Händchen gefaßt und preßte heiße, glühende Küsse der Liebe darauf. Sie wollte die Hand zurückziehen, sie zog ihn mit herauf und ehe sie sich es recht versah – doch das konnte man doch nicht sagen, sie sah sich mit einem blitzschnellen Viertelseitenblickchen nach Ladenstein um, doch der schien gar nicht auf sie beide zu achten, denn er schaute unverwandt durch die Scheiben in die Nacht hinaus – also ehe sie sich kaum recht versah, lag sie in des Grafen Armen, fühlte sie seine Lippen auf ihren Lippen und – »solch ein Kuß das ist ein Kuß!«

Und nun bat der arme Sünder um Verzeihung; er sagte ihr, wie ihn die Gräfin so eifersüchtig gemacht hatte, wie er geglaubt habe, der Rittmeister mache ältere Rechte geltend, wie er in der Verzweiflung der Gräfin die Cour gemacht, wie er – nun er hatte sich stark versündigt, aber sie ließ ihn nicht weiterreden, mit dem ersten Wort seiner Reue war ja auch ihr Kummer verschwunden, sie legte ihm das weiche, zarte Pflaumenhändchen auf den Mund und wisperte ihm errötend zu, daß sie alles vergeben und vergessen wolle; und jetzt ging es von neuem los: da wollte er erstens ein kleines Küßchen zum Zeichen der Vergebung, dann den größeren Versöhnungskuß, dann einen langen dito, daß sie ihm nimmer bös sei, dann einen noch längeren, daß sie ganz gewiß nimmer zürne, dann den ganz ellenlangen zur Erlaubnis, daß er morgen zum Papa gehe und um sie anhalte. –

»Aber Kinder, es wird spät«, sprach endlich schon zum drittenmal der alte Herr und tippte Ida auf das Ärmchen, das den reuevollen Geliebten umschlungen hielt, daß sie erschrocken und über und über bepurpurt aufsprang und nicht wußte, wohin sie sehen sollte, denn an diesen Zeugen hatte sie in ihrer Seligkeit gar nicht mehr gedacht. – »Kinder, es wird spät und die Bilder könnten alle schon zehnmal gezeigt sein; wir müssen hinunter zur Gesellschaft.«

»Nur ich nicht«, bat Martiniz, »mir graut, vom Himmel, in dem ich war, herabzusteigen in einen nüchternen, irdischen Tee.«

Es wurde ihm zugestanden, aber unter der Bedingung, daß er morgen recht bald kommen solle. Ladenstein versprach, ihn selbst hinüberzuspedieren, und trieb immer wieder zum Aufbruch. Nun, so unbarmherzig konnte er doch nicht sein, den allereinzigen Gutenachtkuß mußte er gestatten. Er wurde in zwölf kleine Portionen verteilt und nach alter Vorschrift eingegeben und jetzt endlich trennte man sich.

Idchen war es ganz schwindlig zumut; tausend Gedanken stiegen in ihr auf und nieder; sie hatten gar nicht alle recht Platz in dem Köpfchen und drängten und trieben sich daher wirbelnd um und um. Nur eines war ihr recht klar und deutlich, daß sie recht glücklich, unendlich glücklichselig sei, daß er sie gek– sie errötete vor dem Gedanken, und dennoch spitzte sie das Mäulchen und probierte es noch einmal im Geiste, wie sie es gemacht hatten, daß es so wundersüß schmeckte.

Nein so ging es nicht, sie mußte sich zusammennehmen, ehe sie zur Gesellschaft ging; es war ihr, als sollte sie allen Menschen um den Hals fallen und ihnen ihr stilles Glück verkünden. So ging es nicht – da mußte man es gleich merken; sie stellte sich vor den deckenhohen Spiegel und probierte recht ernsthafte oder gleichgültige Gesichter, aber sie mochte es machen wie sie wollte, immer guckte wieder ein lustiges Köpfchen mit einem spitzigen Mäulchen aus dem reinen, hellen Glas. Endlich schalt sie sich selbst recht aus, nannte sich einen Kindskopf, einen Wildfang und alles mögliche, und siehe, da ging es endlich; mit dem gleichgültigsten Gesicht von der Welt trat sie wieder ins Zimmer und behielt zu ihrer eigenen Verwunderung die gleichgültige Miene, bis man sich verabschiedete.

Doch nein, einmal wäre sie beinahe herausgeplatzt und sie hatte zu beißen und zu schlucken, daß kein Kichern hervorkam.

Die Gräfin beklagte sich noch einmal gegen die Sorben, die jetzt ihre Gesellschaftsdame spielte, daß der Graf heute sich gar nicht habe sehen lassen: »Das verzeihe ich ihm in den nächsten zwei Tagen nicht«, setzte sie preziös hinzu, indem sie die arme Ida dabei fixierte und dachte: die verberstet vor Neid, während es nur unterdrücktes Lachen war, was dem lustigen Amorettenköpfchen um die Lippen zuckte – »wenn er morgen früh mich zu besuchen kömmt, wird er nicht angenommen, nachmittags – nicht angenommen, und abends, nun da will ich ihm ein so saures Gesicht machen, daß er nicht mehr daran denkt, uns einen ganzen Tag zu negligieren.«

»Der arme Graf, wie ihn das mitnehmen wird!« lächelte Fräulein von Sorben mit einem schadenfrohen Blick auf Ida.

Der arme Graf! dachte sie und lachte still in sich hinein, sie konnte sich denken, wie arg dieser schreckliche Vorsatz ihn angreifen werde.


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