Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Trübe Augen

Ida fühlte einen tiefen Stich im Herzen, als sie die Gräfin aus dem Wagen steigen sah; »Nun adieu, Liebes- und Lebensglück«, seufzte sie, indem sie einen trüben Blick über Martiniz hinfliegen ließ und zur Treppe eilte, um den erlauchten Gast zu empfangen, »nun adieu Liebesglück, wenn dieses Weib in mein Leben greift!«

Sie zerdrückte eine Träne des Unmuts über ihr Geschick und ging weiter. So ungefähr muß es jenen unschuldigen Tierchen zumut sein, wenn sie die Riesenschlange erblicken und von ihrem greulichen Anblick übertäubt, nicht auf ihre Flucht denken, sondern in geduldiger Resignation dem Verderben entgegengehen.

Mit jener Leichtigkeit und Grazie, die man in höheren Verhältnissen von Kindheit an studiert, wußte die Gräfin schnell über das Unangenehme der ersten Augenblicke hinüberzukommen. Sie war die Freundlichkeit, die Herzlichkeit selbst. So weit hatte es freilich Ida in der Bildung nicht gebracht, daß sie denen, die sie nicht lieben konnte, wie ihren wärmsten Freunden begegnete. Auch war sie die Überraschte und die Gräfin die Überraschende, daher war Ida etwas befangen und zeremoniös beim Empfang der hohen Dame, aber ihr natürlicher Takt sagte ihr, daß sie jede andere Rücksicht beiseite setzen müsse, um nur die im Auge zu haben, die Gräfin, die nun einmal ihr Gast war, anständig und würdig zu behandeln.

Um wieviel edler waren die Motive, welche Ida bei ihrem Betragen leiteten, als die der Gräfin! so verschieden als Natur und Kunst. Die Aarstein wußte gegen jeden, auch wenn sie ihn bitter haßte und ihm hätte den Dolch in den Leib rennen mögen, freundlich und leutselig zu sein. Sie konnte ihm etwas Verbindliches sagen, wenn sie das bitterste Wort auf der Zunge hatte. Aber so sind jene Gesellschaftsmenschen, die nichts Höheres kennen, als sich zu produzieren. Wenn man in ihre Cercles tritt, glaubt man in die alten Zeiten zu kommen, wo noch alles so brüderlich und freundlich war; da ist alles übertüncht, alles hat den schönen Anstrich der Geselligkeit, aber man soll nur einmal hinhorchen, wie es da über die ehrlichen Leute hergeht, wie medisant da alles bekrittelt wird, wie da der Bruder, der Freund gewiß sein darf von dem, der ihm gerade noch so schön getan, ohne Schonung bitter bespöttelt zu werden.

Aber ist es nicht überhaupt in der Welt so? Sucht nicht immer einer dem andern soviel als möglich Abbruch zu tun? Wohl dem, der es dahin gebracht hat, daß er ruhig in dieses böse Treiben hineinsieht und dazu lächelt. Mit Ruhe und dem Bewußtsein, Gutes gewollt zu haben, in der zufriedenen Brust, lachte ich über den Spott meiner Neider, über die hämischen Bemühungen jener Falschmünzer, die mit schnöder Schadenfreude aus allem was man je gesagt und gedacht, nicht gesagt und nicht gedacht hat, Gift saugen und in ihrer frechen Leumundsiederei ein Gebräu zusammenkochen, das sie gerne mit unterschieben möchten!

Sie sind zu bedauern, solche schlechte Menschen, die von Neid und Scheelsucht gestachelt, so ganz den wahren Lebenszweck aus dem Auge verlieren, glücklich und brüderlich untereinander zu wohnen! So denke ich und viele Tausend mit mir über jene bösen Menschen in den gesellschaftlichen Zirkeln und in der Welt überhaupt, so denken wir und lachen, denn: »Das Spiel des Lebens sieht sich heiter an, wenn man ein sicheres Glück im Herzen trägt und froher kehr ich, wenn ich es gemustert, zu meinem schönem Eigentum zurück.«

So dachte auch Ida, als sie an der Hand der Gräfin die Treppe hinanstieg; ein tröstender Gedanke lag recht hell in ihrer Seele, sie verglich ihren innern Wert mit dem ihres Gastes und dachte, wenn Martiniz mich liebt wie ich ihn liebe, so wird er diese Frau verachten, und wenn – ach, sie durfte den Gedanken nicht recht ausdenken, ohne daß ihr das Wasser in die Augen trat – nun wenn er an sie verlorengeht, so habe ich wenig verloren.

Es gab einen sonderbaren, aber schönen Anblick, wenn man die beiden Damen so nebeneinander hingehen sah. Gräfin Aarstein, eine kolossale Figur – sie hätte ohne Anstand in jedem Garderegiment dienen können –, voll, üppig gebaut, in ihren Bewegungen lag etwas Imposantes, Majestätisches, Gebietendes, in ihren Mienen eine Hoheit, die an Übermut grenzte. Ihre dunklen Augen hatten das holde, mädchenhafte Niederschlagen schon lange verlernt und rollten mit einem unsteten Feuer umher, als suchten sie lüstern einen Gegenstand der Begierde, oder als musterten sie alles umher, ob auch die gehörige Ehrfurcht gegen einen Sprößling eines so hohen Hauses bewiesen werde. Ihr Gang war etwas schwerfällig, weil die korpulente Figur für die, in die feinsten Pariser Atlasschuhe eingepreßten Füße etwas zu schwer war.

Neben ihr die leichte, schlanke, sylphidenähnliche Gestalt Idas; nein dieser Kontrast! Sie hielt sich zwar kerzengerade wie eine Tanne, aber doch war das holde Lockenköpfchen ein wenig vorwärts gesenkt; das sanfte Auge oft niedergeschlagen in Demut, zeigte dennoch, wenn sie es aufschlug, so glänzenden Mut, so feurige Lust und Liebe, so gebietenden Ernst, daß es durch die sanfte Beredsamkeit überzeugender gebot, als das Rollauge der gebietenden Gräfin. Und um wieviel anziehender war das Schelmengrübchenlächeln des süßen Mädchens, als das schrankenlose Lachen und Gurren der Gräfin, die durch ihre rauhe, tiefe Stimme jedes Ohr verletzte. So schwebte Ida neben der Gräfin hin, so wie Juno und Hebe traten sie in das Zimmer.

Martiniz sah finster durch die Scheiben auf den Wagen hinab, der ihn so unbarmherzig aus dem süßesten Moment seines Lebens herausgerasselt hatte. Er verwünschte den Gast, der gerade jetzt kommen mußte, wo er endlich seinem Herzen Luft gemacht, wo er dem Mädchen, das er liebte, das er anbetete, seine Gefühle gestanden hatte, wo er Gegenliebe, süße verschämte Gegenliebe in ihren sanften Augen las, wo, wie von Engeln des Himmels gesungen »mein Emil« von ihren Lippen tönte, wo er das Engelskind im Arm, die Seligkeit erwiderter Liebe in der Brust, Himmel und Erde vergaß und auf diese würzigen Purpurlippen auf die bräutlich errötenden Wangen den ersten, seligen Ku–


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