Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Ida

Aller Augen waffneten sich mit Lorgnetten und Brillen; wer konnte das wunderschöne Mädchen sein, so hoch und schlank, mit dem königlichen Anstand, mit dem siegenden Blick, mit der kräftigen Frische des jugendlichen Körpers? Sie nickte so bekannt nach allen Seiten, als käme sie alle Tage auf Freilinger Bälle und Assembleen; und doch kannte sie niemand. Doch ja! da kommt ja auch der alte Präsident, wahrhaftig! es kann niemand anders sein, als Präsidents Ida.

Aber wie herrlich war dieses Knöspchen aufgegangen, »Welcher Anstand!« bemerkten die Herren, »Welche Figur, welcher Nacken, wahrhaftig! man möchte ein Mückchen oder noch etwas Wenigeres sein, nur um darauf spazierenzugehen.« »Welcher Schmuck, welche Spitzen, welche Stickerei an dem Kleid«, bemerkten die Damen und wünschten sich weit weg, denn wie sollten sie ihre Fähnchen, die sie doch ihr gutes Geld gekostet, ihre Blumen, die sie selbst gemacht und für wundervoll gehalten hatten, neben diesen italienischen Rosen und Astern, die eben erst aus den Gärten der Hesperiden gepflückt zu sein schienen, neben diesen Kanten sehen lassen, von welchen die Elle vielleicht mehr wert war, als eines ihrer Ballkleider nebst Schneiderskonto und Façon! Nein, Berner, der arge Berner hätte ihnen keinen schlimmern Streich spielen können, als diese Ida gerade heute einzuführen. Aber man mußte sich Gewalt antun; der Präsident machte das erste Haus in der Stadt, war der gewaltige Herrscher der Provinz, eine glänzende Aussicht auf Thés dansants, Soupers, Hausbälle und dergleichen eröffnete sich vor den schnell berechnenden Blicken der Damen; wehe der, die dann nicht mit Ida bekannt war, oder sie sogar kalt empfangen hatte. Man wußte, daß dies die Frau Mama Präsidentin nie verzeihen würde; man nahm sich zusammen, und in kurzem war die Gefeierte von allen jungen und alten Damen umringt, welche Glück wünschten, alte Bekanntschaft erneuerten und nebenbei dies und jenes von dem hoffähigen Anzug spickten. Alle redeten zumal, keine wurde verstanden, und die Herren fluchten und schimpften ein Donnerwetter über das andere, daß sich eine so dichte Wolke vor dieser kaum aufgegangenen Sonne gedrängt und sie ihrem Anblick entzogen habe.

Jetzt zog Hofrat Berner das weiße Sacktuch, schwenkte es in der Luft und gab dem Kapellmeister und Stabstrompeter der Dragoner das Zeichen, und eine herrliche Polonaise begann. Im Nu stoben die Glückwünschenden auseinander und machten Raum für die Assessoren, Lieutenants, Sekretärs, jungen Kaufherrn, Jagdjunkern, die glücklicherweise noch nicht versagt waren und sich jetzt um einen Walzer, Ekossaise oder gar Kotillon mit Ida die Hälse brechen wollten. Sie aber lachte, daß die Schneeperlen der Zähne durch die Purpurlippen heraussahen, behauptete, sich immer nur auf eine Tour zu versagen, hüpfte dem Hofrat entgegen und reichte ihm die kleine Hand.

Selig, gerührt, begeistert stellte er sich mit seinem holden Engelskind an die Spitze der Kolonne und marschierte unter den mutigen, lockenden Tönen der Polonaise, stolzen Schrittes gegen das wohlunterhaltene feindliche Tirailleurfeuer, das von vorn, von den Flanken, überallher aus den Mündungen der Lorgnetten auf seine Tänzerin sprühte. Aber diese, war sie kurzsichtig, hatte sie statt des Korsettchens einen Kürassierpanzer vom feinsten Stahl mit der Musketenprobe um das Herzchen, oder war sie das Feuer so gewohnt, wie die alte Garde, die, Gewehr im Arm, im Paradeschritt durch das Kartätschenfeuer marschierte? ich weiß nicht, aber sie schien gar nicht auf die schrecklichen Ausbrüche der gebrochenen Herzen, auf die Knallseufzer der Verwundeten zu hören, das Plappermäulchen ging so ruhig fort, als ginge sie, drei Jahre jünger mit dem guten Hofrätchen im Wald spazieren.

Da kamen alle die Streiche, die der leichte Springinsfeld losgelassen, alle jene tausend Schwieten des kleinen Übermuts aufs Tapet; Lust und Lachen blitzte wie ehemals aus ihrem Auge, wenn sie sich erinnerte, wie sie einer Spanferkel Kindszeug angezogen und sie dem Hofrat als Fündling vor die Türe gelegt, wie sie dem Oberpfarrer die Waden voll Stecknadeln gesetzt, daß sie aussahen wie der Rücken eines Stachelschweins, alles ohne daß er es merkte, denn er trug falsche. Der Hofrat wollte seinen Ohren nicht trauen; es war ja dasselbe lustige, naive Ding wie früher und doch so wunderherrlich, so groß, mit so unendlich viel Anstand und Würde! Er hätte sie auf der Stelle am Kopf nehmen und recht abküssen mögen, wie früher, wenn sie einen rechten Ausbund von Schelmenstreich gemacht hatte.

Es ging über seine Begriffe! »Wie können Sie nur so hartherzig sein, Idchen!« sagte er, »und nicht einen Blick auf unsere jungen Herren werfen, die zerschmelzen wie Wachs am Feuer? Nicht einmal einen Blick für alle diese Exklamationen und Beteurungen, welche Sie doch gehört haben müssen?«

»Was gehen mich Ihre jungen Herren an«, plapperte sie mit der größten Ruhe fort, »die sind hier, wie überall unverschämt wie die Fleischmücken im Sommer; das könnte kein Pferd aushalten, wollte man darauf achten; sie pfeifen in der Residenz ebenso, das wird man gewohnt; so von Anfang macht es ein wenig eitel; wenn man aber sieht, wie sie dieser und jener dasselbe zuflüstern, vor der Ursel ebenso, wie vor der Bärbel sterben möchten, so weiß man schon, was solche schnackische Redensarten zu bedeuten haben.«

Die muß eine gute Schule durchgemacht haben, dachte der Hofrat; siebzehn Jahre alt und spricht so mir nichts, dir nichts von der Farbe, als wäre sie seit zwanzig Jahren in den Salons von Paris und London umhergefahren. Er ärgerte sich halb und halb über Mamsell Neunmalklug und Übergescheit, denn es waren just keine unebene junge Männer, die ihre Seufzer so hageldicke losgelassen hatten, und ihn, der in seiner Jugend wohl so zwanzig Amouren und Amürchen gehabt hatte, konnte nichts mehr ärgern, als ein fühlloses Herz.

Aber dieser Ärger konnte bei seinem Idchen nicht in ihm aufsteigen. Wenn er in ihr volles, glühendes Auge sah, wenn er den süßgewölbten Mund betrachtete, da dachte er: Nein, dir traue dieser und jener, aber ich nicht, weiß ich doch von früher her, wie du gerne Flausen machst, und dem guten ehrlichen Berner gerne ein X für ein U unterschiebst. Jetzt willst du dein Schach verdeckt spielen und mir irgendeinen blauen Dunst vorschwefeln und das Herzchen ist am Ende doch in der Residenz geblieben und Fräulein Stahlherz ist nur darum so spröde gegen die Freilinger Stadtkinder. Aber basta! der Hofrat Berner hat auch gelebt und geliebt und wettet seinen Kopf, dieses Auge weiß, was Liebe ist, diese frischen Purpurlippen haben schon geküßt, aber anders als nur solche Hofratsküsse!

Der gute Alte äußerte etwas von diesen Gedanken gegen Ida, sie aber sah ihm ganz ruhig ins Gesicht und versicherte lächelnd, gefallen habe ihr schon mancher, geliebt habe sie aber bis diese Stunde noch keinen Mann, als ihren Vater und ihn.


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