Wilhelm Hauff
Der Mann im Mond
Wilhelm Hauff

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Der Tee

Martiniz und der Hofrat traten ein. War es Emils hoher, kräftiger Tannenwuchs, war es die ungezwungene Grazie seiner würdigen Haltung, war es das Geistvolle seines sprechenden Auges, war es der wehmütige Ernst, der auf diesem schönen Gesichte lag, und ihm einen so unendlichen Liebreiz gab, waren die Träume der Ballnacht wieder aufgestiegen, um süße Erinnerungen zu flüstern – Ida stand versteinert, als sie den Grafen erblickte. Ach sie hätte viel darum gegeben, in diesem Augenblicke nicht die Hausfrau machen zu dürfen, sie hätte ganz von ferne ihn betrachten und selig sein wollen. Hofrat Berner stellte ihn mit einem vielsagenden Blicke seiner Ida vor; aber diese hätte sich in diesem wichtigen Moment selbst Schläge geben mögen, so links, meinte sie, so albern hatte sie sich noch nie benommen. Was mußte er nur von ihr denken; war sie doch gerade aus der Residenz gekommen, wo ihre Erziehung nach allen Regeln vollendet worden war, hatte sich in allen Zirkeln, in den feinsten Salons ohne Ängstlichkeit bewegt, und hier stand sie errötend, mit niedergeschlagenen Augen, und stammelte recht kleinstädtisch »von der Ehre, die Seine Exzellenz ihrem Hause erzeige«.

Aber bei dem feinfühlenden Manne, der schon früher ihren Anstand, ihre Würde, ihre Erhabenheit über jedes Verlegenwerden bewundert hatte, erhöhte gerade diese süße Verlegenheit den Wert des Mädchens. Mit unendlicher Gewandtheit wußte er sie aus der peinlichen Verlegenheit dieser ersten Minuten herauszuführen, in wenigen Augenblicken war sie wieder das frohe unbefangen scheinende Mädchen wie früher und konnte die Albernheit ihrer Cousine beobachten. Diese war, als die Flügeltüre aufging, dagestanden wie Frau von Lot bei Sodom, als sie in Steinsalz verwandelt wurde, starr, steif, atemlos, nur die beiden ungeheuern Fleischmassen ihres aufgepreßten Busens arbeiteten, von dem rasenden Schnellwalzer in Aufruhr gebracht, noch immerfort. Als ihr Martiniz vorgestellt wurde, war sie noch nicht zu Atem gekommen, sie ließ also nur einen Liebesblick auf ihn hinüberspazieren, und verneigte sich hin und wieder. Als sie aber wieder Atem geschöpft hatte, fing sie in ihrer naivsten Manier an zu kichern und erzählte, daß sie für ihr Leben gern tanze und daß es ihr und dem kleinen Herzenscousinchen unwiderstehlich in die Füße gekommen sei. Sie plapperte fort und fort, aber leider schien ihr nur der Hofrat zuzuhören, denn Martiniz, der neben Ida Platz genommen hatte, war mit dieser schon in so tiefem Gespräch, daß er auf das Geschnatter der Dicken nicht hören konnte. Sich so vernachlässigt zu sehen, konnte das fünfundzwanzigjährige Kind nicht dulden, sie erhob also ihre Stimme noch lauter und wurde sogar witzig; aber der Graf, dachte sie, nein, einen so verschämten Anbeter hatte sie noch nicht gehabt, nicht einmal die Augen wagte er zu ihr aufzuschlagen, aber der Graf, denken wir, wie konnte sie auch nur verlangen, daß er zu ihr aufsehe? hatte er denn jetzt nicht gerade alle Augen nötig, um die unnachahmliche Grazie zu sehen, mit welcher das Engelskind Ida ihren Tee machte. Wie appetitlich sah es aus, wenn sie in die Tassen warmes Wasser strömen ließ, um sie in dem Gümpchen zu reinigen; wie allerliebst drehte sie den Hahnen in der Maschine auf und zu, wie verbindlich wußte sie die Tasse zu reichen; ach, er hätte sich auch die Butterbrötchen, den Zucker, den Arrak und alle anderen Bedürfnisse viel lieber von ihr reichen lassen, als von den fünf reich galonierten Dienern, die solches umherboten. Mit welchen Augen hing er an ihr, an allen ihren Bewegungen; und Ida hätte nicht das pfiffige Mädchen sein müssen, wenn sie nicht in diesem sprechenden Auge das Gefühl bemerkt hätte, das für sie in seiner Brust lebte.

Die Gesellschaft war nach und nach größer geworden; der Präsident hatte einige seiner jungen Assessoren und Räte mitgebracht, einige junge Damen von Idas Bekanntschaft hatten sich eingefunden, und die Freilinger mußten sich alle, mit Ausnahme der Sorben, die sich schrecklich ennuyierte, gestehen, daß sie selten einen so geselligen, interessanten Abend verlebt hatten. Es kam dies wohl daher, daß der Präsident, der Hofrat und Idchen alles aufboten, um ihren neuen Gast zu erheitern, dadurch wurde das Gespräch allgemein und anziehend. Es ist eine alte Erfahrung, daß der allgemein anerkannte Wert des Geliebten ihn in den Augen seines Mädchens noch unendlich reizender macht, ihm noch eine erhabenere Stellung in ihrem Herzen gibt; so ging es auch Ida. Der Umfang des Wissens, den Martiniz im Gespräch mit den Männern an den Tag legte, seine interessanten Mitteilungen von seinem Vaterlande, von den vielen Reisen, die er gemacht hatte, seine feine Gewandtheit, womit er auch die Damen in das Gespräch zog, die verbindliche Artigkeit, womit er jeder zuhörte und ihr Urteil weiter auszuführen und unbemerkt so zu drehen wußte, daß es wie etwas Bedeutendes klang, sein glänzender, lebhafter Witz, den ihm das immer rascher fortrollende Gespräch entriß; dies alles gewann ihm die Achtung der Männer, riß die Herzen der Damen zu dem glänzenden Fremden hin.

Und Ida – sie war ganz weg! seine Reden hatten allen, seine Feuerblicke nur ihr gegolten; ihr Herzchen pochte stolz und froh; wo die Sorben, und die andern Freilingerinnen seinen kühnen Ideen nicht mehr folgen konnten, da fing für sie erst die rechte Straße an; sie plauderte, wie ihr das Rosenschnäbelchen gewachsen war, lachte, scherzte in Witz und Schwank, daß dem Präsidenten vor Freuden das Herz aufging, wie gebildet, wie gesellschaftlich sein Kind geworden war. Er nahm sich in seinem Entzücken vor, gleich morgen ein Belobungsschreiben an Madame La Truiaire zu schreiben, die ihm eine so glänzende Weltdame mit ungetrübter Unschuld und Natürlichkeit erzogen habe. Die gute Madame La Truiaire aber hatte dieses Wunder nicht bewirkt; zwar galt Ida von Sanden in den ersten Häusern der Residenz für eine sehr feine und anständig erzogene junge Dame; doch war sie dort ernst, zurückhaltend, so daß, wer sie nicht näher kannte, über ihren Geist wenig oder gar nicht urteilen konnte; nein, eine andere Lehrmeisterin, die reine Seligkeit der ersten, erwiderten Liebe hatte sie so freudig, so selig gemacht, hatte alle Pforten ihres tiefen Herzens aufgeschlossen und den Reichtum ihres Geistes ans Licht gelockt.

Der Hofrat war ein feiner Menschenkenner; von Anfang, als das Gespräch noch nicht recht fortwollte, hatte er alles getan, um es ins rechte Gleis zu bringen. Nachher aber hatte er sich zurückgezogen und nur beobachtet. Da entging ihm denn nicht, daß der Graf, je länger er mit dem süßen Zauberkind sprach, je tiefer er ihm in das geistvolle Veilchenauge sah, je mehr sich vor ihm diese zarte Mädchenhaftigkeit, dieser reiche Geist, diese hohe Herzensgüte entfaltete, immer mächtiger zu ihr hingezogen wurde, wie gestern, als er ihm von des Mädchens gebildetem Geist, seinen stillen Tugenden erzählte, so verschwand auch jetzt nach und nach die Wehmut aus seinen Zügen; eine rosige Laune, die diesem Gesicht unendlichen Reiz gab, ging an ihm auf, er konnte, was der Hofrat bei diesem Unglücklichen nicht für möglich gehalten hätte, sogar recht herzlich lachen, er konnte – nein der alte Mann war selbst verliebt in ihn, er sah ja vor Seligkeit und Liebe aus wie ein verklärter Cherub.

Kam übrigens der Graf dem Hofrat wie ein Cherub vor, so sah in ihm die Sorben den leibhaftigen Satan. Hatte sie sich doch alle erdenkliche Mühe gegeben, ihm ihre Neigung zu ihm zu zeigen; hatte sie nicht die kleinen Kalmückenaugen aufgerissen, daß ihr das Wasser darin aufstieg, nur um ihm das Feuer zu zeigen, das für ihn strahle, hatte sie nicht alle naiven Künste aufgeboten, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen? aber jetzt sah sie klar, die kleine, unzeitige Kokette, ihre Cousine, hatte ihr den herrlichen Mann weggeschnappt. Sie warf allen Haß auf diese; hatte sie sich doch vorhin so kindisch gestellt, als könnte sie nicht fünfe zählen; sie selbst, o sie hätte sich können auf den Mund schlagen für die Dummheit, ja sie selbst hatte offenbar das Mädchen, das eigentlich noch ein Backfisch war, dazu aufgereizt, den Grafen zu fangen. Wäre sie mit ihrer Anleitung zur Routine zurückgeblieben, das Kind hätte nie daran gedacht, ihr Auge zu dem schönen Fremden zu erheben. So dachte die Sorben.

Ihr pomeranzenfarbiger Teint rötete sich vor Zorn, sich so hintangesetzt zu sehen; hatte ja doch, wenn sie recht darüber nachdachte, der Graf sogar ihrer gespottet, als sie glaubte, etwas recht Witziges gesagt zu haben. Es war davon die Rede gewesen, daß jetzt alles Fräulein heiße, was man sonst wohl auch schlechthin Mamsell genannt habe; man sprach her und hin darüber, und um Ida einen Stich zu geben, die zwar von väterlicher Seite von altem Adel war, aber eine Bürgerliche zur Mutter gehabt hatte, warf sie die witzige Bemerkung ein: »Die Fräulein kommen ihr gerade vor, wie die Spitzen; es heiße alles Spitzen und doch seie ein so großer Unterschied zwischen den echten und unechten, daß jedes Kind die Feinheit der echten von den gröberen unterscheiden könne.« Sie hatte triumphierend über ihr Bonmot im Kreise umhergesehen, die Antwort des Grafen machte sie aber stutzen. »Sie haben recht, gnädiges Fräulein«, hatte er gesagt, »und die echten unterscheiden sich, wenn ich nicht irre, hie und da auch durch ihre Farbe von den unechten, wenigstens habe ich mir sagen lassen, daß die ganz echten gelblichbraun aussehen.« Hatte er auf ihre bräunliche Haut anspielen wollen? die Herren und namentlich der Hofrat hatten so höhnisch dabei ausgesehen? Das Betragen des Grafen, der sie über Ida gänzlich zu ignorieren schien, bestätigte die Meinung. Sie kochte Rache in ihrer Brust und schwur sich mit den fürchterlichsten Eiden, daß der Backfisch seine Eroberungen nicht weiter fortsetzen solle. Sie war auch die erste, welche aufstand, und weil es schon ziemlich spät war, folgten die übrigen. Nein, es war ihr unerträglich; an der Türe noch mußte sie mit ansehen, wie der Graf, welcher sich auch verabschiedete, mit seinen Blicken Ida beinahe verzehren wollte; sie mußte hören, wie er versprach, recht oft herüberzukommen. Verachtungsvoll wandte sie ihrer Cousine, die ihre Freundinnen zum Abschied küßte, den Rücken, stürmte die Treppe hinab und setzte sich, mit der ganzen Welt zerfallen, in ihren Wagen.

»Herrlicher Mensch, der Martiniz«, sagte der Präsident, als die Gesellschaft auseinandergegangen war, zu Ida und dem Hofrat, die noch bei ihm saßen; »charmanter Mensch! wie gewandt, wie fein; schade nur, daß er sich nicht aufs diplomatische Fach gelegt hat! wie er alles so artig zu geben weiß; wie er allem, auch dem Trivialsten, was unsere Damen sagten, mit einer Engelsgeduld zuhörte und gutmütig ein glänzendes Mäntelchen umhing, wenn sie etwas Dummes plapperten. Er wäre eine wahre Zierde des Landes, wenn er sich bei uns ankaufte. Die Gräfin Aarstein mag ich ihm auch ganz wohl gönnen, möchte übrigens wissen, wie weit er mit ihr steht –«

Ida, die dem Lob des Geliebten mit niedergeschlagenen Augen und fliegender Brust zugehört hatte, fühlte bei den letzten Worten nicht nur einen Stich ins Herz, sondern auch einen leisen Druck auf ihr Füßchen. Sie merkte gleich, woher dies kam und begegnete dem listigen Auge des Hofrats, der ihr Trost zuwinkte, und den alten Papa über seine Fehlschüsse auszulachen schien. Ja es stieg reiner süßer Trost in ihr auf. Zwar sie hatte schon von der hohen Verstellungsgabe der Männer gehört und gelesen; sie wußte das Sprüchwort solcher Reisenden, »Ein ander Städtchen, ein ander Mädchen«; sie erinnerte sich an die üppigen Reize der Aarstein, an ihre Verführungskunst, die schon so manches junge unerfahrene Männerherz betörte, an ihre wichtigen Verbindungen mit dem Hof, an ihre eigene nicht ganz streng stiftsfähige Geburt; aber was wollte sie denn? sie wollte ja gar nicht an das Glück denken, Hand in Hand mit diesem Mann durchs Leben zu gehen, sie wollte ja nur geliebt sein, und daß sie es war, sagte ihr ihr scharfes Auge, ihr Herz, das jeden Ton der Liebe verstanden hatte. Aber konnte dieses alles nicht dennoch Verstellung sein? wer sagte ihr, daß dieser fremde Mann sie nicht betr–

Nein! betrügen konnte dieses edle, reine Gesicht nicht, die Glut dieser Augen konnte nicht täuschen. Froh dieser Überzeugung, die sie während dem Auskleiden gewann, hüpfte sie in ihr Schlafzimmer und machte dort vor dem Spiegel einen komischen Knicks: »Habe die Ehre mich zu empfehlen Frau Exzellenz, Gräfin von Aarstein«, sprach die Mutwillige, »hier steht eine junge Dame, die sich mit Ihnen in den Kampf um den schönen Polacken einlassen will, welchen Eure Exzellenz als Sattelpferd an Ihren Triumphwagen spannen möchten. Ich bin zwar weder so dick noch so geschminkt als Sie, aber dennoch wagt es meine Wenigkeit, gegen Höchstdieselben zu streiten.« Noch einen Knicks und dann Unterröckchen und Strümpfchen herunter und mit einem Satz in das weiche Bettchen. Dort streckte sie das Engelsköpfchen noch einmal aus der Decke hervor, warf ein Kußhändchen nach dem Goldenen Mond hinüber und flüsterte: »Gute Nacht mein armer Emil; schlafe sanft und träume süß, träume auch ein ganz klein wenig von Ida.« Sie schloß selig die Augen und legte sich zurecht, wollte eben hinüberwandern in das unbekannte Land der Träume, da schüttelte sie ein jäher Schrecken wieder auf, und jagte sie aus dem Bette. –


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