Friedrich Wilhelm Hackländer
Handel und Wandel
Friedrich Wilhelm Hackländer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtundzwanzigstes Kapitel.

Prinzipalin und Prinzipal.

Trotzdem, was neulich im Warenlager vorgefallen war und mir einen ernstlichen Verweis eingetragen hatte, konnte ich doch nicht umhin, dem Leben und Treiben des Herrn Stieglitz, soviel es mir vergönnt war, die größte Aufmerksamkeit zu schenken. Da ich nicht hoffen durfte, von Herrn Specht etwas Näheres zu erfahren, so wandte ich mich an die häßliche Ladenjungfer, die aber ebensowenig geneigt schien, mich über die Familienverhältnisse des Hauses aufzuklären. Was sie mir sagte, waren allgemeine Redensarten oder Sachen, die ich schon längst wußte, so, daß der Prinzipal um die Geschäfte des Hauses sich nicht viel bekümmere, daß er das Regiment gänzlich an seine Frau abgetreten habe, daß er früher große Reisen gemacht und ein entfernter Verwandter seiner Frau sei. Ich beschloß daher, meine Neugierde zu bezähmen bis zu dem Tage, dem ich sehnsüchtig entgegensah, an welchem es mir vergönnt sein sollte, das freundliche Haus meines Vetters besuchen zu dürfen.

Bald war ich denn über vier Wochen im Geschäft, und kann, ohne ruhmredig zu sein, von mir selbst sagen, daß ich mir in den Elementen des Modewarengeschäfts schon einige Kenntnisse erworben, überhaupt recht fleißig gewesen war, um etwas zu erlernen. Dieses Bestreben verdankte ich neben meinem festen Vorsatz, mich zu einem tüchtigen Kaufmann heranzubilden, der Furcht vor dem strengen Gesicht der Madame Stieglitz, das sie augenblicklich anzunehmen pflegte, sowie sie irgendwo die geringste Unordnung sah. Und ihrem scharfen Auge blieb nichts verborgen: war ein Brief nicht sorgfältig gesiegelt, stand die Aufschrift etwas schief oder hatte sich gar ein Schreibfehler eingeschlichen, so war man sicher, ein ernstes Gesicht zu sehen, das sie mit einem einfachen »Ei, ei!« begleitete. Im Laden selbst, wo ich jetzt auch zum Aufräumen zugelassen wurde, entging ihrem Blick ein schiefliegendes Stück Zeug ebensowenig wie eine falsch umgelegte Schnur; die Farben der einzelnen Stücke mußten dem Auge wohltuend geordnet sein und sämtliche Etiketten regelmäßig in dem Glaskasten in einer Linie hängen. Der Lampen, die von der Ladenjungfer etwas vernachlässigt waren, hatte ich mich eifrig angenommen, Gläser und Glocken waren spiegelblank geputzt, und die helle, glänzende Beleuchtung, die dadurch entstand, trug mir hier und da einen freundlichen Blick der Prinzipalin ein.

Das Geschäft selbst war eines der besten in der ganzen Stadt; das Haus Stieglitz u. Comp. verkaufte teurer als alle andern, setzte aber seinen Stolz darein, dafür auch die beste, solideste Ware zu liefern. Auch hatte Madame Stieglitz einen feinen Geschmack, und die Damen gaben beim Aussuchen der Modeartikel viel auf ihren Rat, obgleich dieser immer mit kurzen Worten, ja etwas barsch gegeben wurde, wobei sie das Aeußere ihrer Kunden nicht zu schonen pflegte. »Verzeihen Sie, Madame X.,« konnte sie zu einer schon älteren Frau sagen, »in unseren Jahren trägt man so helle Farben nicht,« oder zu einer andern, die außerordentlich häßlich war: »Mein liebes Fräulein, wenn man so blendende Garderobe aussucht, so muß man sich auch des Rechts bewußt sein, die Augen der ganzen Welt auf sich zu ziehen.« Doch gab sie ihre Meinungen nur dann, wenn man sie verlangte, betrat überhaupt nur den Laden in solchen Fällen, wo sie von den Kunden gerufen wurde. Sie hatte sich bei der ganzen Damenwelt hierdurch ein gutes Renommee erworben, und wer von der Madame Stieglitz ausstaffiert war, konnte gewiß sein, geschmackvoll in der Welt zu erscheinen. Aus diesem Grunde hatte sie auch viele auswärtige Kunden, teils in den kleinen Städten, teils auf den umliegenden Landgütern, die sie nach bestem Ermessen mit Toilettegegenständen versah. Natürlich mußte sie die Damen persönlich kennen, weshalb dieselben genötigt waren, bei Anfang des Geschäftsverkehrs unsere Prinzipalin zu besuchen. Ein solcher Besuch war äußerst merkwürdig, denn von einem neuen Kunden wurde ein solch genaues Signalement aufgenommen, daß sich keine Polizeibehörde daran zu schämen gehabt hätte. Das Buch, worin die Signalements verzeichnet wurden, war das einzige, welches der Prinzipal zu führen hatte. Wenn niemand als ich zugegen war, nannte er es seinen Harem und trug allzeit die Notizen mit großer Wichtigkeit ein; alsdann legte er seinen Schlafrock ab, zog statt der gewöhnlichen ausgetretenen Pantoffeln ein Paar hübsche von grünem Saffian an und war in solchen Fällen recht aufgeräumt und galant. Madame Stieglitz brachte in feingeschliffenem Glase einen guten Wein und Backwerk, und der Prinzipal schrieb in sein Buch:

»Madame N., Gemahlin des Gutsbesitzers Herrn N. Größe: 4' 4". Gesicht: oval. Haare: blond. Augen: blau.« Und so fort bis zu den besonderen Kennzeichen, wo es alsdann etwa hieß: »liebt Seide oder wollene Stoffe und Hellblau oder Rosa.«

Jetzt war für die Kundin in alle Ewigkeit gesorgt, das Alter wurde natürlich auch, aber in den meisten Fällen nur annähernd, angegeben, und sodann bei allen Bestellungen nur die bezeichnete Pagina aufschlagen, worauf Madame Stieglitz dasjenige aussuchte, was sie für Sommer- und Wintertoilette passend erachtete. Der Prinzipal hatte sein Buch in der Schublade des Tisches eingeschlossen und wachte mit der größten Eifersucht darüber, daß sich niemand außer ihm – lag es einmal zufällig auf dem Tische – unterstand, auch nur den Deckel zu öffnen. Selbst der Herr Specht, der sich im Hause viel herausnehmen konnte, hatte es nur ein einziges Mal gewagt, eine Pagina desselben aufzuschlagen, denn der Prinzipal fiel ihn wie ein gereizter Löwe an, und Specht, der auf das sanfteste opponieren wollte, konnte nur durch die Dazwischenkunft der Prinzipalin vor einer mächtigen Ohrfeige gerettet werden.

Ueberhaupt hatte der Herr Prinzipal hier und da dergleichen Ausbrüche wegen meistens unbedeutender Kleinigkeiten; alsdann entfernte Madame Stieglitz die Leute aus dem Kontor, ließ ihn austoben und brachte ihn darauf in seine Zimmer, die zu ebener Erde in den Hof gingen; sie aber bewohnte im ersten Stock ein einziges, sehr geräumiges Gemach.

In die Zimmer des Herrn Stieglitz kam niemand von den Hausbewohnern, auch waren die Fenster nach dem Hof zu beständig mit grünen Vorhängen dicht behängt. An solchen Tagen des Sturmes kam er nicht mehr zum Vorschein, und einmal, als ich nach einem ähnlichen Auftritte zufällig über den Hof ging, hatte er eines seiner Fenster halb geöffnet und saß an demselben in einem großen Lehnstuhle, das bleiche, ganz zusammengefallene Gesicht mit einer roten Mütze bedeckt, wie sie die Türken zu tragen pflegen. Auf den Knien lag ein großes, beschriebenes Buch, in welchem er eifrig las. Er bemerkte mich wohl und nickte mir zu, ohne ein Wort zu sprechen.

Der Sonntag war für uns alle ein höchst angenehmer und ruhiger Tag; an demselben wurde der Laden nicht geöffnet, denn der Tag des Herrn, wie die Prinzipalin zu sagen pflegte, müsse würdig und ohne das Geräusch der Woche gefeiert werden. Morgens ging ich in Begleitung des Herrn Specht in die Kirche, Prinzipal und Prinzipalin ebenso, und hier galt es, aufmerksam zu sein. Während des Gottesdienstes überwachte der Buchhalter meine Andacht und sagte mir mit seiner sanften Stimme, das Herumschauen in der Kirche während der Predigt sei sehr mißfällig und gebe der Gemeinde ein Aergernis. Zu Hause aber examinierte Madame Stieglitz über den Text der Predigt und über die Lieder, welche die Gemeinde gesungen hatte. Was das erstere anbetraf, so konnte ich ihr den Inhalt des Vortrages immer genau und zu ihrer Zufriedenheit erzählen, mit den Liedern nahm ich es nicht so genau, was ihr auch nicht von großer Wichtigkeit erschien. – –

Im Stieglitzschen Hause wurde recht gut gegessen, namentlich aber kamen Sonntags einige Gerichte mehr, sowie auch an diesem Tage Wein getrunken wurde; der Prinzipal leerte seine Flasche mit außerordentlichem Appetit und ward dabei zusehends munterer und freundlicher. Regelmäßig an diesem Tage erschien zum Nachmittagskaffee der Prediger unserer Kirche, ein dicker, behäbiger Mann von munterem Aeußern, und was die Frömmigkeit anbelangt, vom reinsten Wasser.

Bei diesen Kaffees nun wurden vom Pfarrer Sproßer und dem Herrn Specht die lieblichsten Reden geführt, und wie es mir schien, in besonderer Beziehung auf mich und die Ladenjungfer, in deren Innern, sowie in dem meinen, der vorhandene Funke der Gnade unter sündhafter Asche zu ersticken drohte. Der Prinzipal zog sich gewöhnlich nach der Ankunft des Pfarrers in sein Zimmer zurück, und oft schaute ihm der letztere mitleidig nach und sagte seufzend: »Ein armer Mann!« Die Prinzipalin horchte wohl auf die Reden des Pfarrers und ihres Buchhalters, suchte aber das Gespräch meistens ins Praktische hinüberzuspielen und sprach von den Verhältnissen der Gemeinde und von gewissen frommen Armen, die reichlich von ihr unterstützt wurden.

Nachdem sich der Pfarrer Sproßer entfernt hatte und die Kaffeestunde beendigt war, gab mir die Prinzipalin zu meinem größten Vergnügen einen Urlaub bis abends acht Uhr, um meinen Vetter zu besuchen; zugleich erhielt ich von ihr ein Schreiben an denselben. Man kann sich denken, mit welcher Freude ich die Straßen dahinflog, um das freundliche Haus baldigst zu erreichen. Die Nichte und Emma waren dann gewöhnlich im Garten und lasen; der Vetter befand sich um diese Zeit gewöhnlich in seinem Zimmer und saß spazieren.

Ich überreichte ihm meinen Brief, und der Papagei rief: »Bon jour!« – »Siehst du,« sagte der Professor, nachdem er den Brief gelesen, »wie der kluge Vogel dir heute und mit gutem Recht einen andern Willkomm zuteil werden läßt, als bei deinem ersten Erscheinen! Ich sage mit gutem Recht, denn Madame Stieglitz, deine Prinzipalin, schreibt mir soeben einige freundliche Worte über dich, und daß sie mit deiner Aufführung bis jetzt vollkommen zufrieden sei. Fahre zu deinem eigenen Besten so fort, und ich werde nicht unterlassen, dem Vormund das Erfreuliche über dich zu melden; jetzt gehe in den Garten und zeige auch meiner Frau diesen Brief.« Ich tat gern, wie mir geheißen, und die beiden Damen erfreuten sich sehr an dem Lob, das mir Madame Stieglitz gespendet. Emma machte mir ein freundliches Gesicht, reichte mir die Hand und nannte mich zum erstenmal ihren lieben Vetter. Dann mußte ich erzählen von dem Stieglitzschen Hause und führte die Personen desselben so natürlich vor, daß alle lachten, selbst der ernsthafte Vetter, der sich auch zu uns gesetzt hatte. »Wenn ich nur,« sagte ich am Schluß meiner Erzählung, »über meinen oft sonderbaren Prinzipal etwas Näheres erfahren könnte; ich weiß wahrhaftig nicht, was ich von ihm zu halten habe.«

»Darüber will ich versuchen, dich aufzuklären,« antwortete der Vetter. »Es ist gut und sogar unumgänglich notwendig, daß man die Grundzüge der Verhältnisse, in denen man lebt, genau kennen lernt. Dein Prinzipal ist allerdings ein sonderbarer Kauz, sehr Genaues weiß eigentlich niemand von ihm. Als ein entfernter Verwandter seiner Frau, der Madame Stieglitz, beschlossen die Eltern dieser beiden, sie zu verheiraten, um das damals schon bedeutende Vermögen zusammenzuhalten. Der junge Stieglitz wurde zu einem tüchtigen Kaufmann herangebildet und lernte die große Handelswelt kennen, was ihm von Nutzen hätte sein können. Darauf machte er bedeutende Reisen, was ihm dagegen nicht von Nutzen war. Er ging nach Italien, Frankreich und Spanien, ja mit einem Schiffe seines Hauses nach Konstantinopel und Smyrna und brachte in Alexandrien mehrere Jahre zu. Auf diesen Reisen muß er aber etwas locker gelebt haben, denn er kam außerordentlich gealtert und schwermütig zurück, ja sogar sein sonst so klarer Verstand schien umdüstert zu sein, wenigstens seine Spannkraft verloren zu haben. Bei einem Karawanenzuge, den er mitgemacht, hatte er ein Gefecht mit den Arabern bestanden und eine tiefe Kopfwunde erhalten, die wohl an seinem Leiden schuld sein mochte. Bald darauf kam er hierher – damals lebte der Vater der Madame Stieglitz noch – und das stille Geschäft, in welches er eintrat, war für ihn so wohltuend, daß er vollkommen genas und sich sein früherer Zustand nur noch hier und da durch eine Gereiztheit des Gemüts kundgab, sowie durch auflodernde Heftigkeit. Er heiratete dann seine jetzige Frau, die ihn sehr gut zu leiten verstand. Anfänglich besuchte er die Kaufmannsgesellschaft, kam in verschiedene Wirtshäuser, doch konnte ihn ein zu viel genossenes Glas Wein in einen bedenklichen Zustand versetzen. Alsdann tauchte die Erinnerung an sein vergangenes bewegtes Leben vor ihm auf, und er wurde lebhaft, gesprächig, konnte zuweilen die Gesellschaft, die ihn umgab, nächtelang aufs beste unterhalten, leider aber auch zuweilen in grenzenlose Heftigkeit ausbrechen, die für seine Umgebung unangenehm und gefährlich wurde. So z. B. hatte er in Spanien eine ungemeine Fertigkeit erlangt, sein Messer nach einem bezeichneten Punkt zu werfen. Dies produzierte er eines Abends eine Zeitlang zum Ergötzen der Gesellschaft, bis ihm einfiel, es solle ihm jemand das Aß einer Karte an die Wand halten, er wolle es richtig treffen. Lachend weigerten sich die Anwesenden, an dem gefährlichen Kunststück teilzunehmen, aber er wurde immer ernster und dringender, und mit Erschrecken sahen die Gäste ein unheimliches Feuer in seinen Augen auflodern und hörten ihn endlich mit einem fürchterlichen Schwur bekräftigen, wenn der und der, den er bezeichnete, ihm nicht alsbald die Karte halte, so würde er ihm das große Tischmesser, das er in der Hand hielt, augenblicklich ins Herz werfen. Was war zu tun! Nach einigem Besinnen wurde ihm die Karte gehalten, und auf zehn bis zwölf Schritte schleuderte er das Messer so geschickt, daß die Spitze der Klinge das Aß durchbohrte.

Daß ihn auf diese Geschichte hin jeder Mensch sorgfältig vermied, kann man sich leicht denken; die Gesellschaft stand auf, wo er sich sehen ließ, und so blieb er nach und nach öfter zu Hause. Seine Frau übt mit ihrem ruhigen, derben Wesen eine merkwürdige Gewalt über ihn aus, und er folgt ihr wie ein Kind. Es soll sie anfangs sehr viel Mühe gekostet haben, ihn zu Haus zu halten, denn wenn es Abend wurde, wollte er fort, um ein paar Stunden umherzuschwärmen, und man erzählt sich,« sagte der Vetter lachend, »was ich aber nicht beschwören kann, daß man ihm keine Stiefel zum Anziehen gegeben habe, und auch jetzt noch soll er dieselben nur am Freitag Abend erhalten, wo er alsdann ein paar Stunden ausgeht.«

»So viel ist gewiß,« ergänzte ich, »daß der Prinzipal immer in Pantoffeln geht, ich habe ihn nie anders gesehen.«

Ich verbrachte einen recht angenehmen Abend bei meinen Verwandten und verließ das freundliche Haus so zeitig, daß ich gegen acht Uhr an der Tür des Stieglitzschen Hauses anlangen konnte. Emma begleitete mich bis an den Fuß des Hügels, reichte mir die Hand und ermahnte mich, mein möglichstes zu tun, damit ich bald wiederkommen dürfe.


 << zurück weiter >>