Friedrich Wilhelm Hackländer
Handel und Wandel
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Neunzehntes Kapitel.

Kleine Reiseabenteuer.

So zogen wir zum Tore hinaus, Frühling um uns her, Frühling im Herzen. Die Lerchen auf dem Felde flogen auf, die Sonne sah uns freundlich ins Gesicht und jagte die Nebel in Schluchten und Täler zurück, wo dieselben zu tausend glänzenden Tropfen aufgelöst, noch eine Zeitlang an den Grasspitzen zitterten, um alsdann von dem durstigen Erdreich gierig aufgesogen zu werden.

Den Doktor Burbus hatte ich noch nie so froh und heiter gesehen, und seine Fröhlichkeit stach sehr von derjenigen ab, mit welcher er auf seinem Zimmer, Kneipe genannt, das Traurige seiner Lage zu übertäuben versuchte. Allen Bauernweibern, denen er auf der Straße begegnete, bot er einen guten Tag und gab ihnen weise Lehren für den bevorstehenden Markt. Wo er mehrere beisammen fand, die mit Butter oder Obst am Chausseegraben saßen, um zur ferneren Tour auszuruhen, da stellte er sich zu ihnen, und während er die Güte der Waren untersuchte, begann er laut zu gähnen, worauf es ihm eine außerordentliche Genugtuung gewährte, wenn zuerst die angeredete Person ihm unwillkürlich nachahmte und alsdann in kurzer Zeit die ganze Reihe mit aufgesperrten Mäulern dasaß. Den vorbeirollenden Wagen rannte er nicht selten eine Strecke weit mit abgenommener Mütze nach, um lachend zurückzubleiben, wenn man ihm ein kleines Geldstück herauswerfen wollte. Kurz, er konnte es nicht lassen, eine Menge unschuldiger Allotria zu treiben. Bisweilen auch machte er Pläne für die Zukunft und versicherte mir, wie er in der Waldmühle meines Vetters Botanik zu treiben beabsichtige und wie er sich dort im Hydraulischen zu vervollkommnen suchen werde.

So zogen wir dahin und erreichten am Abend ein kleines Landstädtchen, wo wir übernachteten und am nächsten Morgen mit aufgehender Sonne unsere Tour fortsetzten.

Den ganzen gestrigen Tag waren wir in einer großen Ebene fortgewandelt, meist an den Ufern eines kleinen Flusses hin, und näherten uns nun dem Waldgebirge, aus dem er hervorbrauste, und in einem dessen Täler unser Reiseziel lag. Ach, wie freuten wir uns, den frischen Tannenduft wieder einzuatmen und die staubige Stadt, ihre kalten Straßen und Häuser mit dem duftigen Waldpalast vertauscht zu haben, unter dessen Säulen wir nun langsam aufwärts stiegen. Der Doktor war merklich ernster als gestern, und als wir auf der ersten Höhe des Waldgebirges ankamen, von der wir, rückwärts schauend, in weiter, weiter Ferne die Türme der gestern verlassenen Stadt erblickten, fuhr er mit der Hand über die Augen, grüßte, bitter lachend, hinüber und schüttelte sich dann, wie ein Hund nach starkem Regen. Doch dauerte die Traurigkeit bei diesem sonderbaren Menschen nicht lange, und obgleich er mir mehrmals heilig und gewiß versicherte, er werde beim Eintritt in die Waldmühle den alten Adam gänzlich ausziehen, so traute ich ihm vorderhand doch nicht recht, indem er mir im Laufe des heutigen Tages noch einen merkwürdigen Streich spielte.

Nach einer kleinen Stunde nämlich erreichten wir das Städtchen T., welches zwischen der Stadt, wo wir herkamen, und der Stadt E., gerade in der Mitte liegt und beide Regierungsbezirke scheidet. Hier treffen sich die Gendarmen von beiden Städten, übergeben einander die mitgebrachten Vagabunden und Verbrecher, wechseln sie gegeneinander aus, und jeder nimmt die für sein Kreisgefängnis bestimmten wieder mit sich zurück.

Als wir vor das Wirtshaus kamen, in welchem die Auswechselungen geschehen, es war, wenn ich nicht irre, der goldene Schweinskopf, so fanden wir dort eine ansehnliche derartige geschlossene Gesellschaft, teils zu Wagen, teils zu Fuß, welche behufs dieser Auswechselung ihren Einzug in das Wirtshaus hielt, wo die Gendarmen bei einem Glase Bier oder Wein einander die Papiere der Verbrecher übergaben.

Am obern Ende eines langen Tisches saßen die Handhaber der Gewalt, langgediente Unteroffiziere der Armee, die das Uebertreten in die Gendarmerie als Avancement ansahen, kräftige Gestalten im besten Mannesalter mit großen Schnurrbärten. Ich muß nun hier beifügen, daß der Doktor Burbus nichts so sehr haßte, wie alle polizeiliche Gewalt, und von dieser galt ihm die Gendarmerie als Quintessenz.

Daß wir in die Wirtsstube zum wilden Schweinskopf eintraten, wunderte mich gar nicht, daß der Doktor mit mir an den Wänden bei den Vagabunden und Verbrechern stehen blieb, glaubte ich seiner Neugier, die Auswechselung besser ansehen zu können, zuschreiben zu dürfen. Es mochten ungefähr zehn bis zwölf Gefangene da sein, worunter einige mit Ketten geschlossen, zerlumpt und zerrissen, mit höchst verdächtigen, wilden Physiognomien, andere, denen bloß die Daumen zusammengeschnürt waren, und sogar einige, die ganz ohne Banden waren. Von den letzteren näherte sich hier und da einer den Gendarmen, leise mit bittender Miene fragend, ob er ein Glas Wasser genießen dürfe, der ein Glas Bier, jener ein Glas Branntwein. Meistens wurden die Bitten mit Kopfnicken bewilligt, oder es wurden einige Bemerkungen hinzugefügt.

Jetzt trat auch der Doktor aus dem Haufen heraus zu den Gendarmen hin und fragte mit leiser Stimme, ob ihm der Herr Wachtmeister nicht den Genuß eines Schoppen Weines gnädigst gestatten würde?

»So, Wein?« fragte dieser, ohne von seinen Papieren auszusehen, »Er muß viel übriges Geld haben. Na, meinetwegen!«

Darauf rückte sich der Doktor mit größter Gemütsruhe einen Stuhl zum Tische neben den Gendarmen, warf sich darauf hin und schrie mit seiner kräftigen Stimme: »Eine Flasche Moselwein!« wobei er mit der Hand auf den Tisch schlug, daß die Tintenfässer der Gendarmen in die Höhe fuhren. Erstaunt sahen diese empor, und der, welcher dem Doktor seine Bitte gewährt hatte, rief ihm zu: »Höre, Bursche, noch einmal solchen Exzeß, und ich werde dich schließen lassen. Scher Er sich vom Tisch weg und trink Er seinen Schoppen dort in der Ecke!« – »Ei was,« entgegnete Burbus noch lauter, »ich darf hier ebensogut sitzen wie ein Gendarm.« – »Was!« schrie der andere, »Er will sich hier unnütz machen? Wenn Er nicht augenblicklich sein Maul hält, wird man Ihn schließen lassen. – Was ist denn das für ein Kerl?« fragte er leise seinen Kollegen. Der Doktor aber trommelte mit seinen beiden Fäusten auf den Tisch und brüllte zum lauten Ergötzen sämtlicher Herren Vagabunden:

»Wein her, Wein her,
Oder ich fall' um!«

Man kann sich denken, daß ich bei dieser sonderbaren Szene mich bestürzt an die Wand zurückzog und des Doktors verrückte Einfälle tausendmal verwünschte, die mir hier obendrein ein sehr schlimmes Ende zu nehmen schienen; denn der eine Gendarm riß das Fenster auf und befahl, man solle vom Wagen draußen ein Paar Handschellen hereinbringen. Und dieser Befehl, statt den Doktor einzuschüchtern, stachelte ihn vielmehr auf, mit lauter Stimme sich über den Mißbrauch der polizeilichen und gendarmerielichen Gewalt auszulassen.

»Hör Er,« schrie ihm der eine Gendarm zu, »ich werde nicht eher ruhen, bis Er zum Anfang seiner Gefängnisstrafe auf vierzehn Tage das Hundeloch bekommt.« – »Und,« setzte der andere hinzu, »ich werde Ihn dergestalt empfehlen, daß Er während der zehn Jahre oder wieviel Er hat, keine ruhige Minute verlebt.« – »Hören Sie, meine Herren,« entgegnete Burbus, »ich verbitte mir das Er, und erlaube mir, Ihnen zu erkennen zu geben, daß mir sogar das vertrauliche Du viel lieber wäre.«

Jetzt riß den beiden Gendarmen der Geduldsfaden gänzlich, und wer weiß, was dem Doktor geschehen wäre, hätte man nicht in diesem Augenblick die Handschellen gebracht, und sie vor den beiden Machthabern auf den Tisch hingelegt.

»Laß den Kerl schließen!« sprach einer der Gendarmen zum andern. – »Ja, das mein' ich auch,« entgegnete dieser, »laß ihn schließen.« – »Ich?« versetzte der erste, »das kann ich nicht tun, nachdem ich ihn von dir abgenommen.« – »Wie ist mir denn,« sagte der andere leise, indem er seine Papiere durchsah, »er gehört ja zu deinem Bezirk. Uebergib mir seine Papiere, und ich will den Kerl schon zahm machen.«

So leise dieses Gespräch von den Gendarmen geführt wurde, während sie ihre Akten durchsahen, so drang es doch zu den Ohren des Doktors, der selbstzufrieden in sich hineinlachte.

»Wie heißt Er?« – »Doktor Burbus, einstens Kandidat der Jurisprudenz, jetzt werdender hydraulischer Wasserkünstler.« – »Burbus,« entgegneten beide Gendarmen und warfen sich sonderbare Blicke zu. »Was hat Er getan? weshalb wird Er eingeliefert?«

Und leiser sagte einer zum andern: »Auf Ehre, du mußt den Kerl mitgebracht haben. Ich habe ihn nicht in meinen Papieren.«

»Wenn ich Ihnen, meine beiden hochverehrten Herren, alles erzählen sollte, was ich in meinem Leben schon getan habe, so könnte das etwas lang werden. Wenn ich eingeliefert worden bin, so weiß ich nicht, warum.«

Der eine Gendarm schüttelte den Kopf und sagte: »Mir scheint, man hat seinen Spaß mit uns treiben wollen,« und der andere setzte hinzu: »Das wird nicht so hingehen!«

Der Doktor zog ganz ruhig seine Börse und während er dem Wirt den getrunkenen Wein bezahlte, versicherte er den Gendarmen, so etwas absonderlich Kurioses sei ihm in seinem Leben nicht passiert. Wie er als ruhiger, friedsamer Staatsbürger, dessen erster Grundsatz es sei, sich der öffentlichen Gewalt, wo er sie fände, unterzuordnen, so auch hier nicht verfehlt habe, die hohe polizeiliche Erlaubnis zur Genießung eines Schoppen Weins einzuholen, und daß er deshalb als Verbrecher angesehen und behandelt werden sollte, käme ihm sonderbar vor, und er würde deshalb bei dem Bezirksamt Anklage erheben.

Die beiden Gendarmen sahen sich etwas verblüfft an, und nachdem einer derselben sich noch den Paß des Doktors zeigen ließ, der aber in bester Ordnung war, vertieften sie sich, ohne ein Wort ferner zu sprechen, in ihre Papiere, und ich war äußerst froh, als wir uns wieder auf offener Landstraße befanden, daß der Handel so gut abgelaufen sei. Der Doktor aber lachte noch während einer Viertelstunde unbändig und versicherte mir, jetzt erst könne er ein anderer Mensch werden.

»Sehen Sie, lieber Jüngling, das war noch ein Rest von Uebermut, der in mir steckt und der hinaus mußte, damit er nicht bei mir fortwucherte und mich von einer gänzlichen Besserung abhielte.«

Bald umfing uns wieder das Waldgebirge mit seinem traulichen Schatten, und da wir die Hauptstraße verlassen hatten, so war der Weg, wenn auch nicht mehr so bequem und breit wie früher, doch dafür viel traulicher und heimlicher. Die niedern Waldkulturen, welche die Landstraßen begrenzten, verwandelten sich zuerst in hohes Strauchwerk und wechselten dann mit stattlichen, kräftigen Bäumen ab. Die Buchen mit ihrem breiten Laubdach wurden zahlreicher, dann kamen ernste, hohe Eichen, die kräftige, schlanke Tanne, welche erst einzeln, dann in immer größeren Gruppen erschien, und ließen uns erkennen, daß wir uns der Höhe des Gebirges näherten. Auch die Bäche und Waldwasser, die uns entgegenkamen, änderten von Schritt zu Schritt ihren Charakter. Das Blut dieser Wasseradern pulsierte heftiger und heftiger, je höher wir stiegen, und wie uns hier oben im Waldesgrün das Herz fröhlicher schlug, so sprangen auch die unten so trägen Bäche hier oben heftiger einher, bald einen Weg durch dicke Wurzeln und bemooste Steine suchend, bald einen Abhang hinunterstürzend, die Blätter und Gräser umher mit frischem Wasserstaub netzend. An solch einem Punkt setzten wir uns nieder, der Doktor stützte den Kopf auf die Hand und wurde nachdenklich.

»Heute abend also,« sprach er, »kommen wir bei Ihrem Vetter auf der Waldmühle an. Das ist an sich schon sehr schön und gut. Sie bleiben ein paar Monate da, dann sucht man Ihnen eine neue Stelle. Sie werden wieder hinter den Ladentisch gesteckt und können, wenn auch keine glänzende Karriere, sich doch eine gute Zukunft bereiten. Ich aber, schon ein alter Kerl, müßte, um auf meinem angefangenen Wege vorwärts zu kommen, noch einige Semester irgendwo studieren und dort sehr fleißig sein, um ein Examen zuwege zu bringen. Dazu brauche ich erstens Geld und zweitens Geld und drittens Geld, und das fehlt mir erstens, zweitens und drittens. Ich versichere Ihnen, es ist eine verfluchte Geschichte. Ich habe schon daran gedacht, Soldat zu werden, und mich dort auf medizinischem Wege der leidenden Tierwelt zu widmen. Aber das geht auch nicht, ich sehe wahrhaftig nirgends einen Ausweg.« – »Ich kann Ihnen freilich,« entgegnete ich darauf, »nicht viel Tröstliches sagen; doch verlieren Sie den Mut nicht. Wer weiß, ob sich in der Zeit, die Sie in der Waldmühle zubringen, nicht irgend eine Aussicht eröffnet oder ein Glück zufällt, mag es nun kommen, woher es will.« – »Ja, ja, so dachte ich auch einstens; in dem ersten Rosenglanz der Jugend glaubt man noch an Wunder. Doch am Ende haben Sie recht, was hilft das Grübeln? Lassen Sie uns Hoffnung fassen. Und nun erzählen Sie mir vor allen Dingen, wer Ihr Vetter eigentlich da drunten ist, und aus welchen Bestandteilen überhaupt der ganze Kreis besteht, in welchen wir so mir nichts, dir nichts hineinplumpsen.« – »Es ist schon lange her,« entgegnete ich, »daß ich einmal dort war; ich war noch ein ganz kleiner Bube und der Liebling von allen, sogar von meinem Vetter, dem Müller.« – »Warum sagen Sie sogar von Ihrem Vetter, dem Müller?« – »Nun, er ist ein etwas mürrischer, ernster Mann, früher war er Förster, doch weiß ich nicht, weshalb er dies Amt niederlegte. Genug, ich erinnere mich wohl noch, in damaliger Zeit in meiner Familie von einem großen Unglück gehört zu haben, das den Vetter Christoph betroffen. Darauf kaufte er die Mühle, und als ich zu ihm kam, konnte er vielleicht in den Vierzigen sein. Das sind jetzt zehn Jahre her. Alles im Hause mußte tätig sein, und selbst ich, nachdem ich ein paar Tage dort war, bekam meine kleine Beschäftigung.« – »Ei, ei,« meinte der Doktor, »was werden wir beide dort anfangen? denn sowohl Sie und noch viel mehr ich sind über die Jahre hinaus, wo man Unkraut vertilgt und Pflanzen anbindet.« – »Ja, daran habe ich auch schon gedacht. Nun, ein paar Wochen wird's schon so gehen.« – »Ich werde dem alten Herrn gelehrte Vorlesungen halten oder werfe mich, wie schon gesagt, aufs Hydraulische.« – »Die Frau meines Vetters dagegen,« fuhr ich fort, »ach, die ist ganz, ganz anders, eine sehr kluge und gescheite Frau. Sie hat in ihrer Jugend in der Stadt gelebt; ihr Vater war Pfarrer, und sie ist in allem das Gegenteil von ihrem Manne. Der Vetter Christoph treibt sich Tag und Nacht in seinem Mühlenwerke herum und ißt mittags und abends mit seinen Knechten. Ist er müde, so legt er sich vor dem Herd auf eine Bank und hört den Erzählungen und Gesprächen der Leute zu, ohne ein Wort zu sprechen, oder wenn er etwas sagt, trifft er gewiß den Nagel auf den Kopf. Obgleich er so im Aeußern rauh, ja heftig ist, so lieben und verehren ihn seine Kinder doch ungemein, und er ist in der Umgegend angesehen wie ein Friedensrichter, schlichtet auch mehr Prozesse und Streitigkeiten als wie die umliegenden Bezirksgerichte alle zusammen. Die Frau, die ihrem Hauswesen aufs beste vorsteht, muß auch an diesen Mittags- und Abendmahlzeiten der Dienstleute teilnehmen, steht aber dabei auf einer ganz andern Bildungsstufe. Sie hat in dem weitläuftigen Gebäude ihre eigenen Zimmer, die der Vetter nur selten betritt. Ach, und in denen ist es sehr schön, da sind Bücher und schöne Blumen und Kupferstiche und hübsche Stühle und Tische, ja sogar ein Klavier, das sie selbst spielt. Ferner sind im Hause zwei Söhne und zwei Töchter. Ueber deren Erziehung soll es anfänglich viel Streit gegeben haben. Vetter Christoph meinte, bei seiner Frau sei es zufällig einmal gut ausgeschlagen, aber sonst sei im allgemeinen ein Mädchen, das städtische Manieren angenommen und das die Nase in die Bücher gesteckt habe, auf dem Lande nicht mehr zu brauchen. Das hat viel Streit und der armen Frau viel Kummer gemacht. Der älteste Sohn heißt Kaspar, und nebenbei, daß er ein tüchtiger Müller ist, hat er vom Vater die Leidenschaft für die Jagd geerbt, der aber selbst kein Gewehr mehr anrührt. Der zweite, Franz, würde der Mutter nachgeartet sein, wenn der Vater nicht diese verkehrte Richtung, wie er es nannte, mit Gewalt unterdrückt hätte. Die älteste Tochter, Elisabeth, ist der Liebling des Vaters, eine sehr gute Person; mich mochte sie besonders leiden, sie ließ mich auf den Ackerpferden immer nach Hause reiten und lud mir heimlich das Gewehr des Bruders, um Sperlinge zu schießen. Die jüngste endlich, die Sibylle, war damals wenige Jahre älter als ich, und sie ist die einzige, die ich später noch wiedergesehen habe. Sie war in ihrer frühen Jugend kränklich, weshalb es ihre Mutter durchsetzte, daß sie einige Jahre in der Stadt zubringen mußte, wo sie nach den Begriffen des Vetters eine ganz verkehrte Erziehung erhielt und deshalb nicht sein besonderer Liebling ist. Sie ist still und sanft, und wie ich gehört habe, sollen ihre Neigungen und ihr Körperbau nicht zur Feldarbeit gepaßt haben.«

Diese Mitteilungen schienen meinen Reisegefährten sehr zu beschäftigen, denn er ließ einige »Hm! Hm!« und »So! So!« hören und schlenderte wortlos an meiner Seite dahin.

Unser Weg führte jetzt über eine breite Waldebene hin. Nach Verlauf einer Viertelstunde kamen wir auf einen freien Platz, von dem mehrere Wege nach verschiedenen Richtungen ausliefen. Mir tauchten alte Erinnerungen auf, namentlich beim Anblick eines alten Kreuzes, das hier oben fast in Gras und Moos versunken stand, und ich erinnerte mich wohl, mit meinem Vetter Kaspar hier oftmals ausgeruht zu haben, besonders, wenn wir an Sonn- und Festtagen durch den Wald streiften, er mit dem Gewehr voran, ich ihm die Jagdtasche nachschleppend. Zur Nachtzeit wurde die Gegend um das Kreuz von den Leuten vermieden. Hier war vor langen, langen Jahren ein Mord geschehen, über den weder die Bewohner der Gegend noch die Gerichte je einen Aufschluß erhalten hatten. Man fand damals hier breite Blutlachen, zerstampfte Gräser und Gesträuche, und das war alles.

Zwei der Wege, die hier zusammentrafen, führten ins Tal hinab; auf dem Wegzeiger des einen stand zu lesen: Königsbronner Mühle; das war unser Ziel. Dort also hinab. Doch vorher setzte sich der Doktor auf das bemooste Kreuz und versicherte mir, er müsse sich sammeln und vorher einige Augenblicke ausruhen.


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