Friedrich Wilhelm Hackländer
Handel und Wandel
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Das Warenmagazin. Etiketten.

Nachdem das Ausklopfen mehrere Tage auf die beschriebene Art gedauert, und nachdem man genau ermittelt, wie viel Ellen Seide, Band und andere Stoffe sich vorfanden, wodurch die Aktiven des Handlungshauses festgestellt werden konnten, ging man daran, das Warenmagazin wieder einzuräumen, wobei ich dem Prinzipal hilfreiche Hand leisten sollte, und ich fand da ein Geschäft, das mir weit mehr zusagte, als die Beschäftigung der letzten Tage. Da waren tausenderlei Artikel, die ich gern betrachtete und die mir Stoff zum Nachdenken und zu den freundlichsten Phantasien gaben. Der Prinzipal war, sowie er sich mit mir allein befand, redseliger und freundlicher als sonst, und belehrte mich gern über das Vaterland und die Entstehung vieler fremdartiger Artikel. Ueber seine Stellung hier im Hause konnte ich nicht recht klug werden, seine Ansichten schienen nicht viel Gewicht zu haben, und seine Frau, wie der Herr Specht, schienen dieselben wenig zu beachten, überhaupt ließ man ihn kaum zu Worte kommen. Dafür mochte er aber auch den Buchhalter nicht leiden. Wie ich wohl schon bemerkt hatte, sprach er selten mit ihm, und wenn derselbe irgend etwas erzählte, so hörte er nicht zu, und wenn er gar Bibelstellen oder geistliche Lieder rezitierte, ging er gewöhnlich mürrisch hinweg.

Hier auf dem Warenlager war er recht gesprächig, wir legten türkische Teppiche zusammen, und ich lobte die schönen Zeichnungen und die hellen Farben. »Wissen Sie auch, wo das gemacht wird?« fragte er mich, »das will ich Ihnen erzählen: weit drinnen in der Türkei, bei der schönen Stadt Smyrna, fertigen die Leute in den Dörfern dieses bunte Gewebe, und da dasselbe aus einem Stück besteht, so sind oft zwanzig bis dreißig Menschen damit beschäftigt; in der Mitte fangen sie an und arbeiten immer weiter auseinander mit Nadel und Faden, bis der Teppich so groß ist, wie sie ihn haben wollen.«

Bei den schweren Samt- und Seidenstoffen sprach er von Genua und Venedig, und namentlich bei dem Andenken an die letzte Stadt seufzte er tief auf, als er von der Herrlichkeit dieser Königin der Gewässer sprach; auf meine schüchterne Frage, ob er vielleicht da gewesen sei, antwortete er lebhaft: » Per Dio, das will ich meinen, das ist eine Stadt! Statt der Straßen lauter Wasser, und statt in Wagen fährt man in kleinen schwarzen Schiffchen, Gondeln genannt, und liegt darin in Kissen von schwarzem, schönem Atlas; gerade solcher Stoff wie dieser hier. – Hätte auch besser getan,« setzte er mürrisch hinzu, »lieber dort zu bleiben und sich zum Sitzkissen für eine schöne Venetianerin gebrauchen zu lassen, als hier zu einem langweiligen deutschen Kleide verschnitten zu werden, der Stoff nämlich,« fügte er bei, sah sich aber scheu um, ob seine Rede niemand gehört. Bei den schönen, breiten Atlasbändern erzählte er mir allerlei Schnurren von Paris, und bei der holländischen Leinwand zog er ein Papier aus der Tasche, wickelte eine Zigarre heraus, die er anzündete, nachdem er mir aber vorher befohlen, das Fenster zu öffnen.

Neben den Stoffen selbst machten mir auch die Etiketten, die an denselben hingen, angenehmen Zeitvertreib. Hier war ein Schiff zu sehen mit vollen Segeln, welches gerade in der kleinen Bucht eines fernen Weltteils anlegte. Die Matrosen schwenkten ihre Hüte, und schlanke Palmen und Brotbäume nickten über den Uferrand. Gott, wer das einmal in Wirklichkeit ansehen könnte! Wie beneidete ich den Schiffsjungen, der auf dem Verdeck stand und das Maul vor Erstaunen weit aufriß! Hatte ich dort das wirkliche Meer gesehen, so erblickte ich auf Zeugen, die von Kamelhaaren gemacht waren, lange Karawanenzüge, die durch ein unendliches Sandmeer zogen. Hier war ich schon besser bekannt; wie oft war ich dem Kamel durch alle Straßen gefolgt, auf welchem der kleine, rote Affe saß, und hatte sehnlich gewünscht, es möge mir nur einmal vergönnt sein, das Land zu sehen, in dem diese Tiere wild umherspringen! Niederländische Leinwand zeigte in schönem Golddruck einen Holländer, der aus seiner tönernen Pfeife große Rauchwolken blies; Samte aller Farben hatten Etiketten von Silberfäden, die einen bunten Streifen desselben Stoffes einrahmten, und Tücher waren da mit den uns so wohlbekannten langhaarigen Kanten, und neben denselben mit großen goldenen Buchstaben gedruckt, die Firma des Hauses, das sie angefertigt.

Bei all diesem Sehen und Nachdenke waren wir recht fleißig und räumten das Magazin mit der größten Geschwindigkeit aus. Der Prinzipal rauchte, erzählte und brachte jetzt eine große Schachtel herbei, von welcher er den Deckel abhob, um mir eine Menge bunter Blumen zu zeigen, die aus farbiger Leinwand, Federn und Klappergold gemacht waren und freundlich und geheimnisvoll rauschten, wenn man sie in die Hand nahm, gleich wie die Zweige des Tannenbaumes mit seinen goldenen Fahnen zur Zeit des Weihnachtsfestes. »Diese Blumen,« sagte der Prinzipal, »werden von den Bauern gekauft und gebraucht bei Bittgängen und Prozessionen – weiß Er, was Bittgänge und Prozessionen sind?«

Da ich aus einer katholischen Stadt kam, obgleich ich ebenso wie das Stieglitzsche Haus, evangelischer Religion war, entgegnete ich ihm, daß ich beides ganz genau kenne und mich namentlich der schönen Prozessionen, die ich in meiner Jugend gesehen, mit großem Vergnügen erinnere. Eifrig erzählte ich von dem Läuten der Glocken, von den Tausenden geputzter Menschen, welche die Straßen füllten, und von diesen Straßen selbst, wie sie so reich geschmückt waren mit schönen Girlanden von Tannenreisern, die quer über die Gasse von einem Hause zum andern hingen, wobei namentlich die schönen Kronen, die an diesen Girlanden frei in der Luft schwebten, in der Erinnerung lebhaft vor meine Augen traten. Diese Kronen, von großen Blumen und weißen Eiern gemacht, waren behängt mit Glasstücken und bunten Bändern, und wenn ein leiser Wind ging, so rauschten die Zweige und klingelten die Glasstücke aneinander, so hell und anmutig, und dazwischen hörte man die ernsten und feierlichen Töne der Musik, mit der die Prozession durch die mit Tausenden von Zuschauern angefüllten Straßen nahte. Zuerst kam die niedere Geistlichkeit in weißen und violetten Gewändern, dann erschienen diese Kleider immer reicher, bald mit Gold- und Silberstickerei bedeckt, und hinter weißgekleideten Mädchen, die Blumen streuten, wurde der rotsamtene Baldachin getragen; auf seinem Dache prangte das silberne Lamm mit der weißen Fahne, und unter derselben wankte der alte Bischof einher, auf dem schneeweißen Haare die schwere Mütze, und vor ihm wurde das Allerheiligste in einer goldenen Monstranz getragen.

Eifrig erzählten wir uns diese Geschichten, der Prinzipal und der Lehrling, und hatten uns dabei auf den Warenballen niedergelassen, und die Blumen, die wir in der Hand hielten, mit ihrem eigentümlichen Geruch, versetzten mich wie durch Zauber in jene Zeit zurück.

Auch der Prinzipal schien in der Erinnerung an vergangene Tage zu schwelgen, sah aber dabei finster vor sich nieder. »Und die schönen katholischen Kirchen,« fragte er mich, »wie sind sie so herrlich und anmutig! Die tiefe Dämmerung in denselben, das zauberische Licht, welches durch die gemalten Scheiben hereindringt, haben Sie das schon alles gesehen und bemerkt?«

»Ja,« entgegnete ich eifrig, und mir fielen die Stunden ein, die ich spielend und kindlich betend in jenen schönen, großen Hallen verbracht; ach, ich erinnerte mich noch des Tages, wo ich aus dem Reißmehlschen Hause entlaufen war, wo mich vor dem Muttergottesbild das Fieber erfaßt und darniedergeworfen hatte, und wo ich meine Nichte Emma, die ich damals noch nicht gekannt, zum erstenmal sah! »Mir gefallen unsere Kirchen eigentlich gar wenig,« sagte ich nach einer Pause vorwitzig und altklug, »man sieht nichts in denselben als weiße Wände, braune Stühle und den Pfarrer in seinem schwarzen Kleide.« – »Ei, ei,« entgegnete der Prinzipal, sonderbar lachend, »das sind ja seltsame Ansichten, nehmen Sie sich in acht, daß dergleichen hier im Hause außer mir niemand hört, namentlich würde Herr Specht in Krämpfe verfallen, wenn er Sie mit solcher Begeisterung von den Baalspfaffen sprechen hörte. Sagen Sie nie, daß Ihnen eine Prozession gefalle, niemandem als mir! Was mich nämlich anbelangt,« setzte er seufzend hinzu, »der so lange in dem schönen Italien war, mir ist es am Ende gleichgültig, ob man betet: »Vater unser« oder »Ave Maria.«

In diesem Augenblick räusperte und hustete es neben uns sehr bemerklich, und als ich aufschaute, stand der Herr Specht vor uns mit gefalteten Händen, er hatte die Augen erhoben und lispelte: »Gehe nicht ins Gericht,« den Nachsatz: »mit den Gottlosen« verschwieg er, wahrscheinlich aus Ehrfurcht gegen den Prinzipal. Dieser saß aber da in zorniger Verlegenheit, eine der Heiligenblumen in der Hand, die Zigarre im Munde.

»Es riecht hier sehr nach Tabak,« sagte der erste Buchhalter, »die Frau Prinzipalin haben diesen für sie sehr unangenehmen Geruch auch schon im Kontor bemerkt und mich ersucht, nachzusehen.«

Der Prinzipal, dem jetzt erst der ungeheure Frevel, den er begangen, klar und deutlich wurde, warf die Zigarre auf den Boden und trat sie mit dem Fuße aus. »Um Gottes willen!« fuhr der Buchhalter fort und hob sie wieder auf, »man könnte auf diese Art das Haus anzünden.« Es war aber, wie ich glaube, weniger diese Besorgnis, die ihn veranlaßte, die erloschene Zigarre mitzunehmen, als um drunten das corpus delicti vorzeigen zu können. Er ging nicht, ohne mir einen mißbilligenden Blick zugeworfen zu haben, und wir blieben allein. Der Prinzipal kratzte sich verdrießlich am Kopfe, und wir beendeten die Aufräumung des Magazins, ohne weiter ein Wort zu sprechen.

Während des Mittagessens unterstand sich der Prinzipal nicht, wie er sonst wohl zu tun pflegte, einen kleinen Spaß anzugeben. Madame Stieglitz sah sehr ernst aus, Herr Specht hob zuweilen die Augen gegen den Himmel, hatte heute auch ein viel längeres Tischgebet als gewöhnlich vorgenommen und dieses äußerst anzüglich und eindringlich mit sehr bewegter Stimme gesprochen. Ich verwandte kein Auge von meinem Teller und hatte, namentlich nach Tisch, als mich die Prinzipalin in das Kontor zitierte, ganz das Ansehen eines armen Sünders. »Hör' Er,« sagte Madame Stieglitz zu mir, »ich habe Ihm neulich schon gesagt, daß ich meinen Leuten nur drei Strafpredigten zu halten pflege, die erste hat Er zu Anfang genossen und an der zweiten streift Er heute hart vorbei, da ich im ganzen mit Ihm nicht unzufrieden bin; aber merk' Er sich meine Worte und halte er sich im Hause außer mir nur an den Herrn Specht, an niemand sonsten; hat Er mich verstanden?« Leider hatte ich ihre Rede sehr wohl begriffen, und es tat mir sehr leid, die Gesellschaft und Unterhaltung des Prinzipals, der mir ein sehr vernünftiger und lustiger Mann zu sein schien, als eine verbotene Frucht ansehen zu müssen.


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