Friedrich Wilhelm Hackländer
Handel und Wandel
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Elftes Kapitel.

Das heimliche Gericht.

Es war hohe Zeit, daß ich mich nach Hause verfügte; die Uhren schlugen alle die elfte Stunde, und wenn ich auch noch so genau nachzählte, es hatte sich keine geirrt. Der Himmel, der abends bewölkt gewesen, hatte sich aufgeklärt, aber es war um so kälter geworden, und es fror still vor sich hin. Die Wasserlachen auf der Straße waren mit einer dünnen Eisdecke überzogen und knarrten unter meinen Fußtritten. Aus den Wirtshäusern kamen zahlreiche Gäste, da mit der Polizeistunde die Lichter gelöscht werden mußten, und nur in großen Gasthöfen und geschlossenen Gesellschaften war alles noch munter und lebhaft. Ich kam aus den größeren Straßen in die kleineren, winkligen des Stadtviertels, wo wir wohnten; da gewahrte ich plötzlich auf einer Seite der Häuser fünf bis sechs Leute, die leise zusammen lachten und mit etwas beschäftigt schienen. Was mochte es sein? Als ich genauer hinsah, bemerkte ich, daß sie vor einer großen Putzwarenhandlung standen. Einer trug auf der Schulter ein langes Brett, und ein anderer schwang sich auf die Fensterbrüstung, nahm dem ersten das Brett ab und befestigte es oberhalb der Tür, was alles in weniger als einer Minute geschehen war. Dann traten sie vor das Haus hin und betrachteten mit unterdrücktem Gelächter ihr Werk. Gar zu gern hätte ich gewußt, was die Leute eigentlich machten, und ich blieb nicht nur stehen, sondern trat einen Schritt näher. Auf einmal wurde mich einer gewahr, und alsbald kamen ihrer zwei auf mich zu, die in Manieren und Aussehen überraschende Aehnlichkeit mit meinem Freunde, dem Doktor Burbus, hatten. Sie fragten mich eben nicht höflich, was ich hier zu schaffen habe; ich geriet in einen Wortwechsel mit ihnen. Eben hatte mir einer die Mütze vom Kopfe gerissen, als auch die andern, die bisher im Schatten des Hauses geblieben waren, in die Mitte der Straße eilten, und es wäre mir vielleicht schlecht ergangen, wenn nicht plötzlich eine mir wohlbekannte Baßstimme die Worte ausgerufen hätte: »Ei, ei, da ist ja mein Freund Patient! Ladenjüngling, woher des Weges?«

Ich war hocherfreut, den Doktor hier zu sehen, und beklagte mich über das Benehmen seiner Herren Kameraden. Der Doktor gab mir halb und halb recht; er stellte mich der ganzen ehrenwerten Gesellschaft vor und verbürgte sich für meine gute Aufführung, worauf mir erlaubt wurde, mitzuziehen und fernerhin am großartigen »Ulken« teilzunehmen. Dieses Wort war mir ganz fremd. Um mir einen Begriff davon zu geben, führte mich der Doktor an das Haus, vor welchem ich die Gesellschaft gefunden, und ich sah nun, daß die Herren neben dem Schild mit der Aufschrift »Putzwarenhandlung« ein anderes hingepflanzt hatten, auf dem zu lesen stand: »Susanne Kehricht, privilegierte Hebamme.« – Was aber das fernere Ulken betraf, so hatte der Himmel ein Einsehen; dichte Wolken, die der Wind auf einmal über unseren Häuptern zusammengeweht hatte, legten sich ins Mittel und sandten ein mit Regen vermischtes Schneegestöber herab, das den Aufenthalt auf den Straßen sehr unangenehm machte, weshalb beschlossen wurde, ruhig nach Hause zu ziehen und allenfalls mitzunehmen, was sich von selbst darböte. – So kam ich mit dieser Gesellschaft lustiger Brüder in die Gegend des Reißmehlschen Hauses, und meine Besorgnis, wie ich zu so später Stunde ins Haus kommen sollte, war nicht gering. Als wir beim Soldaten mit der langen Nase vorbeikamen, hörten wir plötzlich zu den Füßen des steinernen Kerls ein heiseres Bellen, worauf der Doktor eilig mit der Hand hingriff, sie aber hastig zurückzog, indem er versicherte, es habe ihn etwas in die Finger gebissen. Jetzt wurde die Sache genauer untersucht, und da fand es sich denn, daß es Fanny war, unser alter, feister Mops, der Gott weiß durch welche Tücke des Schicksals ausgeschlossen war, um die Nacht hier in Schnee und Regen zu verbringen. Hätte Jungfer Barbara auf ihrem weichen Lager das schreckliche Geschick ihres Lieblings gewußt, sie hätte kein Auge geschlossen; und erst Philipp! ich war überzeugt, sein Schlaf wurde von schaurigen Ahnungen durchzogen. Was den Prinzipal betraf, so setzte ich bestimmt voraus, er sei noch nicht zu Hause; er müßte das Jammergeschrei des Hundes so gut wie wir gehört und den Liebling mit hineingenommen haben.

Unterdessen hatte der Doktor aus seinem Schnupftuch eine Schlinge gemacht, hatte sie dem Hunde um den Hals geworfen und zerrte ihn hervor. Vergebens bat ich, seiner zu schonen; der Doktor erzählte den andern, wie ich eigentlich um dieses Hundes willen die Gunst des Prinzipals verscherzt habe; ferner trug er vor, dieser feiste Mops sei der Liebling seiner beiden Todfeinde, der Jungfer Barbara und Philipps, und er müsse exemplarisch gezüchtigt werden für die Frechheit, abends so spät aus dem Hause zu gehen. Darauf hielt die Gesellschaft einen kurzen Kriegsrat, und der armen Fanny wurde förmlich das Todesurteil gesprochen. Nur konnte man sich nicht gleich über die Todesart einigen. Der Doktor wollte den Hund mit nach Hause nehmen, um zum besten der Menschheit, wie er sich ausdrückte, interessante Versuche mit Blausäure an ihm zu machen, wogegen sich aber ein Jurist heftig aussprach, indem er behauptete, Hinrichtungen mittels Gift seien gänzlich aus der Mode gekommen, und er stimme vielmehr dafür, daß Delinquentin gehenkt werde. Da diese Ansicht des Juristen den andern einleuchtete, und Doktor Burbus sich überstimmt sah, so bat er sich wenigstens aus, daß Fanny am steinernen Soldaten gehenkt werde; auch hiergegen protestierten die andern als eine Verletzung des Respekts gegen den alten gedienten Kriegsmann. Als aber einer im Uebermut rief: »A la lanterne!« brüllten die andern dieses schreckliche Wort nach, und zwei machten sich gleich daran, den Laternenkasten aufzubrechen und den Strick zu lösen, worauf die brennende Straßenlaterne langsam und feierlich herabschwebte. Soweit hatte ich die Verhandlungen kommen lassen, aber in diesem entsetzlichen Augenblick sprang ich dazwischen, ergriff den Hund bei einem Bein und erklärte angesichts des schauerlich leuchtenden Galgens, daß ich den Tod des Hundes nimmermehr zugeben würde. Ich sprach eifrig und lange verwirrtes Zeug durcheinander und weiß mich nur noch zu erinnern, daß ich unter anderem sagte, ich werde nötigenfalls laut schreien und die Polizei zu Hilfe rufen. Diese letzte Drohung schien zu wirken. Zuerst trat Doktor Burbus lachend auf meine Seite, indem er erklärte, er wolle sich eine andere Strafe gefallen lassen, aber Züchtigung müsse stattfinden. Nach und nach traten ihm die andern bei, bis auf den Juristen, der hartnäckig behauptete, es stehe selbst dem Gerichtshofe nicht zu, die einmal ausgesprochene Todesstrafe willkürlich in eine andere zu verwandeln. Er wurde aber überstimmt, und als jetzt der Doktor vorschlug, man solle das Licht in der Straßenlaterne auslöschen, den Hund lebendig einsperren und dann die ganze Maschine wieder hinaufziehen, wurde dies mit Jubel aufgenommen und sogleich ausgeführt. Fanny wurde, nachdem die Lampe ausgeblasen worden, in die sehr geräumige Laterne eingeschlossen, in die Höhe gezogen und ihrem Schicksal überlassen.

Während dieses heimlichen Gerichts gab der Himmel in einem fort sein Mißfallen zu erkennen über die Untat, die wir begingen. Es stürmte unaufhörlich, und wir waren von dem Schnee und Regen, der herabströmte, ganz durchnäßt. Ueber unseren Häuptern schaukelte sich ächzend die Straßenlaterne, und der Hund in derselben, von der ungewohnten Bewegung geängstigt, nahm seine letzten Kräfte zusammen und brach in ein Geheul aus, das schauerlich durch die öden Straßen hallte. Jetzt trennte sich die Gesellschaft, und ich ließ mich vom Doktor überreden, mit ihm in sein Zimmer zu gehen, um von dort über das Brett in mein Fenster zu gelangen. – Kaum waren wir in den Schatten seines Hauses getreten, so hörten wir durch die Straße herauf Tritte, und in dem Manne, der auf das behutsamste auf uns zukam und mit der größten Sorgfalt die Kotlachen vermied, erkannte ich alsbald meinen Prinzipal, den Herrn Reißmehl, der aus seinem Klub nach Hause kam. Auf einmal blieb er mitten in der Straße stehen, drehte seinen Regenschirm etwas auf die Seite und horchte in die Höhe; er hatte die Klagelaute Fannys vernommen. Nachdem er sich nach allen Richtungen umgesehen, ohne etwas zu entdecken, glaubte er, er habe sich geirrt und trat ruhig an die Tür des Ladens. Aber kaum hatte er das Schloß geöffnet, als Fanny aufs neue in den kläglichsten Tönen ihre Anwesenheit kund gab. Der Prinzipal tat jetzt einen Schritt in die Straße hinein und schaute aufmerksam an seinem Hause empor. Aber da war alles finster und still. Ich bemerkte deutlich, wie er endlich kopfschüttelnd ins Haus trat. Wir schlichen hinzu und sahen durch den Fensterladen, wie der Herr Reißmehl in seiner Schreibstube das Licht anzündete. Jetzt, dachten wir, wird er nach dem Lager Fannys sehen und den Hund mit Schrecken vermissen. Richtig, so war es auch, und nun sahen wir ihn eilig wieder in die Tür treten und mit dem Lichte hinausleuchten. Aber ein Windstoß, der durch die Straßen heulte, blies ihm die Kerze aus und bewegte die Laterne in heftigeren Schwingungen, worauf der Hund jämmerlicher als je zu heulen begann. Da aber jetzt der Prinzipal aufs neue sein Licht anzündete und die Treppe hinaufging, wahrscheinlich, um Fanny oben zu suchen, wobei er vielleicht auch auf unser Zimmer kommen konnte, so bat ich den Doktor, mit mir hinaufzueilen, damit ich vorher mein Fenster und mein Bett gewinnen könnte.

Er schloß die Tür auf, wir tappten eilig die Treppe hinan und traten in sein Zimmer. Ich ging ans Fenster, um das Brett hinauszuschieben, und bemerkte, daß sich der Prinzipal mit dem Lichte im ersten Stock befand und jetzt in das Schlafzimmer der Jungfer Barbara trat. Ich schob das Brett hinaus bis in mein Fenster, das glücklicherweise geöffnet war. Der Doktor hielt das eine Ende fest, und ich setzte mich rittlings darauf, um langsam vorwärts rutschend den Hafen zu gewinnen.

Doch mit des Geschickes Mächten
Ist kein ew'ger Bund zu flechten,
Und das Unglück schreitet schnell.

Wahrscheinlich hatte der Prinzipal seine Schwester mit der Trauerbotschaft, Fanny sei verschwunden und er höre sie in der Luft irgendwo kläglich schreien, aus ihrem süßen, jungfräulichen Schlummer gerüttelt. Sie war im ersten Schrecken dem Bett entsprungen, um selbst nach dem Liebling auszuspähen; denn plötzlich hörte ich unter mir ein Fenster öffnen und »schön wie der Mond, der nächtig einsam wallt,« erschien sie mit brennendem Licht am Fenster, wohl in der Meinung, der Mops liege am Boden zwischen den beiden Häusern. Was sollte ich tun? In der ersten Angst versuchte ich ungeschickterweise, zum Doktor zurückzurutschen. Wär' ich nur ruhig auf dem Fleck geblieben, so hätte sie mich vielleicht nicht bemerkt. Aber auf einmal vernahm sie das Krachen des Brettes, blickte in die Höhe, und als sie da zwischen Himmel und Erde eine Figur schweben sah, kreischte sie: »Mörder! Diebe!« ließ vor Schreck das Licht zwischen die Fenster hinabstürzen und verschwand vom Fenster.

Ob diesem plötzlichen Zusammentrafen mißlicher Umstände wäre ich fast dem Licht gefolgt. Indessen hielt ich mich am Brett fest und begann, eifrig meinem Fenster zuzurutschen. Schon hatte ich es erreicht und saß vor demselben, als die Tür des Nebenzimmers hastig aufgerissen wurde. Der Prinzipal, mit einem rostigen Schwerte bewaffnet, stürzte in mein Zimmer, hinter ihm Philipp im bloßen Hemde, einen Besenstiel in der Hand, und draußen auf dem Gange erblickte ich eine ganz fabelhafte Gestalt, die wie Jungfer Barbara aussah und krampfhaft das Treppengeländer umklammert hielt. – Dieser Augenblick war der schrecklichste meines Lebens. Hinter mir stand der Doktor Burbus am Fenster und lachte aus vollem Halse, denn auch er konnte ungefähr bemerken, was vorfiel. Schon hatte der Prinzipal mich am Kragen gefaßt, als er erst bemerkte, daß es sein eigener Lehrling sei, der das Haus in Alarm brachte. Konnte man es ihm übelnehmen, wenn er, anstatt meinen Kragen loszulassen, mich nach dieser Entdeckung unsanft ins Zimmer zog, mir mit dem rostigen Schwerte einige ziemlich fühlbare Ritterschläge versetzte und mich auf diese Art, wie es früher bei den Zünften Sitte war, feierlich von der Lehre lossprach? Jungfer Barbara drohte in eine lebensgefährliche Ohnmacht zu fallen, wenn sie mit einem solchen Ungeheuer noch eine Nacht unter demselben Dache verbringen müsse, und verlangte, ich solle unverzüglich das Haus verlassen. Nach solchen Vorgängen war ich dies denn auch zufrieden; und kaum hatte mein Prinzipal mir den Rücken gekehrt, als ich mich wieder vors Fenster hinausschwang und auf meinem luftigen Wege zum Doktor Burbus zurückkehrte. Philipp, versteinert ob all dem Ungeheuren, was geschehen, sah mir sprachlos nach; ich rief ihm mit dem Abschiedswort die Kunde zu, wo Fanny, der edle Mops, sich befinde, und somit sagte ich dem Reißmehlschen Hause Valet auf immer.


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