Friedrich Wilhelm Hackländer
Handel und Wandel
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Sechstes Kapitel.

Herr Doktor Burbus.

Da mich Philipp nach den erzählten Vorfällen mit so ausgezeichneter Verachtung behandelte und ich einen genügenden Grund hierzu gar nicht einsah, so machte ich keinen Versuch, mich ihm zu nähern, wie er vielleicht erwartet hatte, sondern warf vielmehr die Tür des Bretterverschlags, der meine Zimmerabteilung von der seinigen trennte, mit solcher Gewalt ins Schloß, daß das Gebälk zitterte. Da saß ich nun im Dunkeln und hatte recht langweilige Stunden vor mir, denn es war Sonntagabend, wo das Gewölbe schon bei einbrechender Nacht geschlossen wurde, und da diese gegen sechs Uhr eintrat, so hatte ich bis gegen zehn vollauf Zeit, an meine Sünden zu denken.

Ich machte das Fenster auf, das gegen das Nachbarhaus sah; da war aber alles ebenso dunkel, wie in meinem Stübchen. Unser Nachbar war noch nicht zu Hause, und das einzige Zeichen von Leben war der trübe Schein einer Straßenlaterne, der sich in das tiefe Dunkel des Abgrunds zwischen den beiden Häusern stahl und hier einen vergeblichen Versuch machte, die dicke Finsternis aufzuhellen. Ich schloß mein Fenster wieder, warf mich gelangweilt auf mein Bett und ließ das Erlebte an mir vorübergehen. Ich hatte aber noch nicht lange so gelegen, als ich von drüben die Stimme des Herrn Burbus vernahm, der meinen Kollegen rief und bald an mein Fenster klopfte. Ich sprang auf und sah, daß das Zimmer unseres Nachbars erleuchtet war und er selbst im Fenster lag.

»He, hollah!« rief er. »Freundlicher Zögling Merkurs, wo weilen Sie? Philipp! Philipp der Mazedonier! Oeffnen Sie doch gefälligst Ihr Fenster!« An seiner Stelle tat ich, um was Herr Burbus bat, und fragte ihn, was er wünsche. Meine Stimme klang ihn. unbekannt, da er mich aber schon einigemal im Laden gesehen hatte, erinnerte er sich meiner. »Ah so, Sie sind es, junge Pflanze? Wo befindet sich denn Ihr würdiger Mentor und Kollege? Richten Sie ihm gefälligst meinen freundlichen Gruß aus und fragen ihn, ob er mich nicht ein wenig besuchen wolle.« Ich trat vom Fenster weg, öffnete die Tür zu Philipps Gemach, sah aber mit Befremden, daß er nicht da war. Auf dem Tisch war das Talglicht schon etwas herabgebrannt, und die Tür stand halb offen. Ich trat aus dem Zimmer, um auf dem Gange nachzusehen, aber das Haus war von oben bis unten still wie ein Kirchhof. Ja, wie schon gesagt, es hatte etwas Unheimliches, das Reißmehlsche Haus, und da ich mich allein fühlte, war es mir ganz behaglich, mit dem Herrn Burbus drüben plaudern zu können, der noch immer am Fenster stand und auf mich wartete. »Es tut mir leid,« rief ich ihm zu, »aber ich kann den Herrn Philipp nicht finden.« – »Ho, ho!« lachte er. »Monsieur Philipp, der Schäker!

O, daß sie ewig grünen bliebe,
Die schöne Zeit der dürren Liebe!

Aber wissen Sie was?« fuhr er lustig fort, »ohne Ihnen mein Kompliment machen zu wollen, Sie scheinen mir weniger Kamel zu sein, als Ihr würdiger Kollege. Wollten Sie mir wohl die Ehre erzeigen und auf eine Stunde oder länger zu mir herüber kommen? Ich beschäftige mich gerade mit der Anfertigung eines feinen Punsches, der Ihrem jungen kaufmännischen Gaumen behagen wird.«

Ich dankte ihm für dieses schmeichelhafte Anerbieten, bemerkte aber, es sei mir bis jetzt unklar, wie ich über den Zwischenraum der beiden Häuser in sein Fenster hineingelangen sollte, worauf er mir versicherte, dies habe gar keine Schwierigkeiten. Flugs holte er aus dem Hintergrunde seines Zimmers ein großes Brett, schob es zu seinem Fenster heraus bis an meines und versicherte mich, da er es recht fest halte, bilde es die bequemste Brücke, die man sich denken könne. Beim Anblick dieses Steges meinte ich, es möchte doch eine halsbrechende Arbeit sein, ihn zu passieren; aber Herr Burbus, der meine Zweifel aus dem rechten Gesichtspunkte ansah, bemerkte in sehr ruhigem Tone: »Lieber Jüngling, Sie scheinen mir einen großen Mangel an Mutüberfluß zu besitzen. Aber wenn ich Ihnen sage, daß selbst Philipp, der Edle, diesen Weg zuweilen gemacht hat, Philipp, einer der ängstlichsten Menschen der ganzen Christenheit, so werden Sie sich nicht länger besinnen.«

Ich muß gestehen, nur die Furcht, vor dem Herrn Doktor Burbus als Feiger zu erscheinen, trieb mich an, den Uebersiedelungsversuch anzustellen. Ich kletterte durch das Fenster, legte mich mit dem Bauch auf das Brett, und alsbald fühlte ich mich an den Füßen von einer kräftigen Hand erfaßt, so daß ich blitzschnell nach dem andern Fenster hinüberfuhr und dort zum großen Ergötzen des Herrn Burbus auf den Fußboden hinkollerte. Nachdem ich wieder festen Fuß gefaßt, machte ich dem Doktor mein Kompliment und warf einen flüchtigen Blick in seinem Gemach umher. Mein Zimmer war gewiß nicht glänzend möbliert und eingerichtet; aber, guter Gott! wie sah es hier aus! Die Wände waren ursprünglich angestrichen gewesen, aber der Zahn der Zeit und der Mutwille des Mietmanns hatten sie nach und nach der Farbe beraubt, und jetzt prangten sie in einem schmutzigen Weiß. Herr Burbus hatte indessen für die Verzierung derselben alle mögliche Sorge getragen, und als er sah, daß meine Blicke umherirrten, nahm er das Licht, das, beiläufig gesagt, statt in einem Leuchter in einer zerbrochenen Flasche steckte, und zeigte mir, daß die Wände mit allerhand grotesken Figuren bemalt waren, die nach seiner Erklärung zusammengenommen einen Hexentanz darstellten.

Ich äußerte meine Freude über die Schönheit dieser Fresken und meine Verwunderung, daß mit Kohle und Siegellack ein solcher Effekt hervorzubringen sei. Ich erfuhr, die Schildereien rühren von einem seiner Freunde her, einem Maler, der ihn zuweilen besuche. Da waren Menschen, Ungeheuer und Tiere durcheinander, und es kam mir vor, als erkenne ich unter den ersteren hier und da jemand. Richtig, da war der Doktor Burbus selbst; die lange Pfeife in der Hand, mit hohen Stiefeln und allmächtigen Sporen ritt er auf einer großen Flasche, und dort, ich mußte laut auflachen, dort kam mein würdiger Kollege Philipp; er ritt auf einem Besenstiel, und mit seinem traurigen Gesicht, das in den Nacken gedreht war, schaute er die Jungfer Barbara an, die majestätisch auf Fanny saß. Dahinter kam der Herr Reißmehl im Gartenkostüm; zwischen seinen Beinen hatte er das Hauptbuch, in der Hand einen Trichter und auf dem Kopfe statt des Hutes eine große Tüte.

So sehr mich diese Malereien ergötzten, so suchten meine Blicke doch etwas anderes, nämlich das Gerippe, von dem mir Philipp erzählt. Ah, dort stand es, neben dem Lager des Doktors, der ihm einen alten Samtrock über die Schultern gehängt und seine Mütze aufgesetzt hatte. In der rechten Hand, die ausgestreckt war, hatte der Knochenmann ein Talglicht stecken, das dem Herrn Burbus nachts beim Lesen im Bette diente. An der herabhängenden Linken war vermittelst eines eisernen Häkchens ein großer Krug befestigt, wahrscheinlich, um vorkommenden Falles den Durst des Doktors zu löschen.

Nachdem ich mir das Zimmer genugsam betrachtet, fand ich Zeit, um den Herrn desselben, der sich unterdessen in einen Stuhl geworfen hatte und mir einen andern anbot, etwas näher zu betrachten. Herr Burbus mochte ein Mann von wenigstens dreißig Jahren sein; er war von sehr kräftiger, untersetzter Figur, und sein Gesicht, das beständig lächelte und überhaupt etwas sehr Gutmütiges hatte, war von einem sehr starken Schnurr- und Knebelbart beschattet, der dichter und reichlicher wuchs als sein Haupthaar, dessen dünne Büsche hier und da helle verdächtige Stellen zeigten. Auf den Ofen hatte er ein irdenes Gefäß gestellt, welches große Aehnlichkeit mit einer Waschschüssel hatte und worin er zum beabsichtigten Punsch das Wasser erwärmte, was bald geschehen war. Dann brachte er eine Flasche mit Branntwein hervor, einige Zitronen sowie eine Tüte von grauem Löschpapier mit Zucker und mischte das Getränk. Er bot mir eine Pfeife an, und da ich mich schämte, sie auszuschlagen, fing ich das mir ganz ungewohnte Geschäft des Rauchens an. Nachdem er zwei große Biergläser mit dem warmen Getränk angefüllt, lehnte er sich mit seinem Stuhl an die Wand und forderte mich auf, zu trinken und lustig zu sein.

»Aber sagen Sie mir, Teuerster,« fuhr er fort, nachdem er einen tüchtigen Schluck getan, »wie kommen Sie eigentlich auf die verrückte Idee, ein Käsekrämer zu werden? Warum studieren Sie nicht?« – »Lieber Herr Doktor,« entgegnete ich, »es fehlt mir an den nötigen Mitteln; ich habe keine Eltern mehr, die mich so lange unterhalten könnten.« – »O, Ehrwürdigster,« lachte der Doktor, »sehen Sie mich an! Ich habe auch schon seit langen Jahren niemand, der für mich sorgt, und helfe mir doch durch die Welt und bringe es zu etwas. Kennen Sie nicht das große Wort »Pump«? Das ist der Zauberspruch, der dem, der ihn richtig anzuwenden versteht, Kisten und Kasten öffnet.«

Ich versicherte ihm, ich habe noch nie etwas davon gehört, worauf er in ein brüllendes Gelächter ausbrach, einen gewaltigen Schluck von seinem Gebräu nahm und mir versicherte, wenn ich einmal besser mit ihm bekannt sei, werde ich es schon lernen. – »Aber sagen Sie mir,« fuhr er fort, »wie es gekommen ist, daß Sie, um das edle Gewerbe eines Kaufmanns zu erlernen, gerade bei der unangenehmsten, prosaischesten Branche dieses Geschäfts, beim Spezereiladen, angefangen haben?«

Ich weiß nicht, ob es die Kraft des Punsches war, von dem ich, dem Beispiel des Herrn Burbus folgend, schon ein gutes Quantum verschluckt, was mich so redselig und offenherzig machte, genug, ich erzählte dem Doktor zu seinem großen Ergötzen, daß ich immer beim Anblick von Kaffee und Zucker an die fernen Meere gedacht und von wunderbaren Ländern geträumt, mit denen ich durch den Spezereihandel in, wenn auch indirekte Verbindung trete. Diese poetische Idee, mit der Prosa des Reißmehlschen Hauses zusammengehalten, schien ihm gar komisch, und er brach aufs neue in ein homerisches Lachen aus.

»Ja, ja, Teuerster,« sagte er endlich, »es ist wirklich schade, daß sich vor eurem Laden nicht die See ausbreitet, denn ein alter Seehund ist schon drüben, an einem jungen Stockfisch fehlt's auch nicht, und die alte Barbara würde sich als Meerjungfer gar nicht schlecht ausnehmen.« – Durch diesen Ausfall gegen meine unmittelbaren und mittelbaren Vorgesetzten kam er auf die Verhältnisse derselben zu sprechen, und seine Reden trugen gerade nicht dazu bei, meine Ehrfurcht vor dem Prinzipal und dessen Schwester zu steigern. Er meinte, der alte Philister sei ein guter Kerl, der aber nicht mucksen dürfe, indem die »Phileuse« das Regiment drüben sehr gut führe. Daß der Doktor mit diesen seltsamen Ausdrücken Herrn Reißmehl und seine Schwester meinte, wurde mir erst im Verlauf des Gesprächs klar, als er von meinem Kollegen, den er für das größte Schiff der Wüste erklärte, versicherte, dieser kommandiere das Haus allein, indem ihm die Phileuse allen Willen tun müsse, und, wie schon gesagt, der Philister von dieser ganz abhängig sei.

Diese Gespräche mit Herrn Burbus waren eben nicht geeignet, meine Liebe zum Handelsstand überhaupt und zum Reißmehlschen Hause insbesondere zu befestigen. Unterdessen hatten Pfeife und Punsch ihre Wirkung nicht verfehlt, ihre unangenehmen und sehr entgegengesetzten Wirkungen auszuüben. Letzterer brachte mein Blut in Wallung, regte meine Gedanken auf und beflügelte meine Zunge, wogegen der Tabak lähmend auf mich wirkte. Ich fühlte mich plötzlich von einer unnennbaren Angst befallen, welche mir die Schweißtropfen auf die Stirn trieb; ich empfand eine entsetzliche Uebelkeit, und als ich aufstand und dem Herrn Doktor Burbus stammelnd versicherte, ich müsse jetzt nach Hause, schien sich das ganze Zimmer im Kreise mit mir herumzudrehen. Es kam mir vor, als seien die Figuren an den Wänden lebendig geworden und zögen mit unaufhörlichem, seltsamem Sausen an mir vorüber. Das Gerippe in der Ecke schien zu wanken und sah viel unheimlicher aus als früher. Selbst mein gutmütiger Wirt, der vor mir stand und aus vollem Halse lachte, erschien mir wie ein böser Geist, und mit geheimem Entsetzen suchte ich wankend das Fenster, um meine luftige Wanderung anzutreten. Doktor Burbus redete mir vergeblich zu, ich solle die Nacht bei ihm bleiben, indem ich mich in einem Zustand befinde, der eine solche Rutschpartie etwas gefährlich mache. Ich hörte nicht auf ihn; da schob er das Brett vors Fenster, und ich kletterte wieder hinauf; als mich aber die frische Nachtluft anwehte und ich über dem Abgrund schwebte, fing ich an laut zu weinen und bekam einen solchen Schwindel, daß ich mich am Brett festklammerte und weder vor- noch rückwärts wollte.

Aus diesem denkwürdigen Augenblick, wo es plötzlich in meinem Innern sehr dunkel und häßlich wurde, erinnere ich mich, aber ziemlich undeutlich, daß der Doktor hinter mir laut fluchte und schimpfte; bald aber fühlte ich, wie er mit dem Stock auf den Teil meines Körpers schlug, den ich ihm entgegenstreckte, und so oft ich einen Schlag erhalten, rutschte ich eine Strecke weiter. Endlich spürte ich eine wärmere Luft, die mich umgab, ich purzelte auf den Boden meines Zimmers und schlief flugs ein. Meine Plage war aber noch nicht zu Ende; ich fühlte mich gerüttelt und gestoßen, und als ich mühsam meine Augen aufriegelte, sah ich eine Gestalt vor mir, die ich anfangs für das Gerippe des Doktor Burbus hielt. Bald aber erkannte ich meinen Kollegen Philipp, der mich seufzend und wehklagend zu Bett brachte, und darauf sank ich in einen festen Schlaf.


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