Friedrich Wilhelm Hackländer
Handel und Wandel
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Zwölftes Kapitel.

Fanny in der Laterne.

Wie es in einem Vulkan nach einem gewaltigen Ausbruch erst allmählich ruhiger wird, wie es im Innern fortwährend dumpf donnert, und zuckende Blitze den Krater erleuchten, gerade so war es nach meinem Abgang durch das Fenster im Reißmehlschen Hause zum Herrn Doktor Burbus in den Gemächern des ersteren. Wie ein falber Blitz beugte sich Philipp in seinem unentbehrlichen Kleidungsstück weit hinleuchtend zum Fenster hinaus, um aus einem Ueberrest kameradschaftlicher Teilnahme in die Tiefe hinabzuspähen, ob ich nicht da unten mit einigen zerbrochenen Gliedmaßen liege. Unten in den Zimmern der Jungfer Barbara wurde es bald hell, bald dunkel, und man konnte am Schatten, der zuweilen gegen die weiße Gardine fiel, sehen, daß diese Würdige im Begriff war, sich vollständig anzukleiden, wahrscheinlich, um ihren Liebling, die teure Fanny, eigenhändig aus der Laterne zu erretten. Der Prinzipal aber polterte die Stiegen hinauf und hinab, und ganz gegen seine Gewohnheit sprach er viel und so laut, daß ich im Zimmer des Doktors deutlich vernehmen konnte, wie er meiner Person nicht auf die schmeichelhafteste Art erwähnte. Oben am Bodenfenster wurde jetzt ebenfalls ein Licht sichtbar, woraus ich schloß, daß die Magd geweckt worden sei. Alles deutete auf einen allgemeinen Ausfall, der aus dem Reißmehlschen Hause unternommen werden sollte, um das Tier zu befreien. Und so war es auch. Bald verschwanden alle Lichter im obern Teil des Hauses und zogen sich in das untere Stockwerk, und ich legte mich mit dem Doktor Burbus so weit wie möglich zu dessen Fenster hinaus, wo wir die Laterne nur eben in dunklen Umrissen erblickten, aber desto deutlicher das Aechzen der rostigen Kette hören konnten, an welcher sie hing, sowie ein schwaches Geschrei, das Fanny zuweilen ausstieß.

Jetzt öffnete sich die Haustür, ein Lichtschimmer fiel auf die Straße, und wir bemerkten zwei Gestalten, wahrscheinlich der Prinzipal und Philipp, deren eine unter die Laterne trat, während die andere an das Kästchen ging, in dem dieselbe vermittelst eines eisernen Zackenrades hinaufgezogen und herabgelassen wurde. Mein edler Kollege, der als ruhiger Staatsbürger wahrscheinlich noch nie in den Fall gekommen war, Laternenkästen aufzubrechen, mochte mit diesem schwierigen Geschäft nicht umzugehen wissen, und statt vier Finger hinter den kleinen Laden zu legen, um mit einem kräftigen Druck das schlechte Schloß aufzusprengen, hörten wir durch die Stille, die ringsum herrschte, wie er verschiedene Schlüssel probierte, von denen lange keiner passen wollte. Endlich aber mußte der Kasten geöffnet sein, denn wir hörten, wie sich das Rad langsam drehte und die Laterne sich herab bewegte. Sobald dieselbe dicht über der Erde schwebte, stürzte eine weibliche Person aus dem Hause und öffnete nach einigen vergeblichen Versuchen das schwere Gehäuse, um den armen Hund seines gläsernen Gefängnisses zu entlassen. Es war eine rührende Erkennungsszene: Fanny heulte, und Jungfer Barbara schluchzte vor Wehmut und Freude. In diesem Augenblick hätte ich Philipp sehen mögen, wie er in der kalten Nacht fröstelnd am Laternenkasten stand, indem er sah, wie das Herz, das er liebte, mit der zartesten Sorgfalt beschäftigt war, den durchkälteten Mops im Busentuche zu erwärmen. Eilig schlüpfte Barbara jetzt ins Haus zurück, der Prinzipal folgte und ließ dem armen Philipp allein das Geschäft übrig, die schwere Laterne in die Höhe zu ziehen. Noch immer fegte der rauhe Wind durch die Straßen und pfiff zwischen den beiden Häusern hindurch, so daß unsere Haare sich lüfteten und wirr unsere Gesichter bedeckten. Im Reißmehlschen Hause mußte eine Hintertür offen geblieben sein, wodurch im Gange ein starker Zug verursacht wurde; denn plötzlich hörten wir die Haustür mit voller Gewalt zuschlagen. Es konnte nicht anders als ein Zufall sein; welche Ursache hätte Jungfer Barbara gehabt, den armen Philipp auszusperren, der sich längere Zeit vergeblich abmühte, die schwere Laterne in die Höhe zu winden. Ja, es ist dies ein schweres Geschäft, und ich warne jeden, der nicht gut damit umzugehen versteht, besonders in der Nacht, den Lampenputzern in das Handwerk zu pfuschen und eine Laterne herabzulassen, wenn er nicht genau weiß, wie die alte, rostige Winde zu handhaben ist, um sie später wieder in die Höhe zu ziehen.

Während wir so im Fenster lagen und manchen Seufzer Philipps belauschten, manchen Ausruf der Ungeduld, den ihm die vergeblichen Anstrengungen erpreßten, fuhr der Doktor Burbus plötzlich in die Höhe und horchte aufmerksam in die Nacht hinaus; sein in dergleichen Dingen geübtes Ohr wußte sehr gut, was ein leises Klirren und Schlürfen auf dem Straßenpflaster zu bedeuten hatte, das ich aus einer ganz unschuldigen Ursache herleitete. Desto größer war aber mein Schreck, als er sich jetzt wieder zu mir herabbeugte und mir hastig und mit einer gewissen teuflischen Freude ins Ohr flüsterte: »Da kommt Polizei!« – Unglücklicher Philipp! harmlosester und unschuldigster aller Menschen, die je im nächtlichen Dunkel eine Straßenlaterne herabgelassen, du bist verloren!

»Aha, glücklich erwischt!« hörten wir jetzt eine Stimme rufen, in einem Tone, der so unverschämt die Stille der heiligen Nacht unterbrach, daß man deutlich daraus entnehmen konnte, sie müsse notwendig einem angehören, der von Gottes Gnaden die Befugnis hat, auf der Straße laut zu schreien; und eine andere Stimme antwortete: »Na! endlich haben wir einmal diese Schlingel! Vogel, man wird ihn warm setzen!«

Durch die Dunkelheit erblickten wir nur hier und da das Leuchten einer Epaulette oder eines Säbels. Philipp, der wahrscheinlich in diesem Augenblick vor Schrecken wie versteinert war, mußte bei dieser fürchterlichen Ueberraschung die Handhabe des eisernen Drehrades losgelassen haben, denn wir hörten, wie sich dieses, von der Schwere der Laterne in Bewegung gesetzt, ächzend einigemal sehr schnell umdrehte; dann erfolgte ein klirrender Fall auf das Straßenpflaster: die Laterne war herabgestürzt und in tausend Stücke zerbrochen. Doktor Burbus rief mir zu: »Hoho, sie haben ihn erwischt! Unglückseligster Ladenjüngling, warum bist du nicht in Jerusalem geblieben!«

In diesem Augenblick sahen wir Philipp wie ein gescheuchtes Reh dem Reißmehlschen Hause zufliehen; doch ehe er die rettende Schwelle erreicht, hatte ihn die heilige Hermandad wieder erfaßt und begann ihn mit Gewalt fortzuschleppen. Umsonst heulte Philipp in den kläglichsten Tönen, er habe nichts verbrochen, er sei Gehilfe in der Reißmehlschen Spezereiwarenhandlung, umsonst öffnete die alte Magd, deren Licht der starke Luftzug ausgelöscht hatte, und die sich erst ein neues anzünden mußte, die Haustür und stieß beim Anblick, der sich ihren Augen darbot, ein gellendes Zetergeschrei aus, umsonst schrie sie nach Jungfer Barbara und dem Prinzipal. Ehe das würdige Paar in dieser unheilvollen Nacht zum zweitenmal die notwendigsten Kleidungsstücke um sich geworfen hatte und auf die Straße stürzte, war Philipp bereits hinweggeführt, und sein Hilfegeschrei zerriß der sausende Wind und brachte nichts zum Ohr der unglückseligen alten Jungfer, die in stummer Verzweiflung die Hände rang.

Bei meinem unfreiwilligen Ausscheiden aus dem Reißmehlschen Hause hatte mir nicht so sehr das Herz geklopft, hatte ich nicht so sehr moralisches Unbehagen empfunden, wie jetzt, da sich der unschuldige Philipp in den Krallen der Justiz befand. Polizei! dieses Wort schlug entsetzlich an mein Ohr, und es durchrieselte mich kalt. Ich war noch nie mit diesem wohltätigen Institut in Berührung gekommen; aber die Eindrücke meiner frühesten Kindheit lebten in mir auf. Wenn die Androhung aller möglichen Strafen für Lärm und Unfug vergeblich waren, so brauchte nur erwähnt zu werden, daß uns heute abend die Polizei abholen werde, und wir waren mäuschenstill. Ich konnte mir diese Leute im blauen Rock mit dem roten Kragen, im großen Hut und ein spanisches Rohr in der Hand, nur in Verbindung denken mit einem schmutzigen, kellerähnlichen Loche, das sich bei uns unter einem alten Turm befand, wohin man allerhand zerlumpte Leute sperrte, die, wie unsere Magd versicherte, erschrecklich viel Ungeziefer hätten. Daß dahin der arme Philipp kommen sollte, erschien mir gar zu schrecklich, und ich konnte heute abend in die Späße des Doktor Burbus unmöglich einstimmen, vielmehr erklärte ich ihm nach einem langen Kampfe mit mir selber, daß ich morgen früh auf die Polizei gehen wolle, um die Unschuld meines Kollegen darzutun. Ueber diesen Vorsatz brach der Doktor in ein lautes Gelächter aus, und um mich für heute abend zu beruhigen, versicherte er mir am Ende aufs feierlichste, daß Philipp schon morgen früh ohne Hilfe seines Arrestes entlassen werden würde, indem in unsern Tagen die heilige Hermandad viel zu aufgeklärt sei, um einen Unschuldigen zu bestrafen. Auch tröstete er mich in betreff des schmutzigen Loches, indem er mir versicherte, daß es für alle Rangklassen der bürgerlichen Gesellschaft passende Lokale gebe, in welchen sie die Torheiten ihrer Jugend absitzen könnten.


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