Friedrich Wilhelm Hackländer
Handel und Wandel
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Einundzwanzigstes Kapitel.

Kontorist und Hilfsarbeiter.

Der Doktor und ich wurden nicht zusammen einlogiert. Er bekam eine Kammer neben dem unverheirateten Sohne Franz, und mir wurde ein allerliebstes Zimmerchen bei denen der alten Müllerin angewiesen. Es war sehr heimlich und traulich dort. Die Mühle lag nicht auf dem tiefsten Grunde des Tales, und vor meinen Fenstern ging es noch ungefähr hundert Schuh weiter hinab, links von mir war das Mühlwehr, und wenn ich die Hand zum Fenster hinausstreckte, wurde sie vom sprühenden Wasser benetzt. Unter meinem Fenster floß das gebrauchte Wasser schon viel ruhiger in einem Holzkanal weiter und stürzte erst rechts vom Hause durch eine steinige Schlucht in die Tiefe des Tales hinab.

Als alles schon zur Ruhe war, lag ich noch lange im Fenster und erfreute mich an der schweigenden Nacht, die um mich herrschte.

Am andern Tage ging in der Mühle alles seinen gewohnten Gang; man bekümmerte sich um uns so wenig, als seien wir schon jahrelang da gewesen. Der Doktor setzte sein Heilverfahren mit dem kranken Gaule fort, gab dem Müller auf kurze Fragen kurze Antworten, sprach mit Elsbeth über Ersatzmittel für den gewöhnlichen Dünger und erzählte den beiden Söhnen nach dem Abendessen, wenn sie zusammen eine Pfeife rauchten, eine Menge kurzweiliger Anekdoten aus seinem Studentenleben. Um die Müllerin und Sibylle bekümmerte er sich gar nicht, und ließ mir vollkommene Freiheit, das zu machen, was ich wolle. Bekannt mit den Gesinnungen meines Vetters, versuchte ich auch, mir Beschäftigung zu machen; doch war ich kein Kind mehr wie vor Jahren, das Unkrautausjäten fiel mir sehr schwer, und wenn ich Sibylle beim Anbinden der Pflanzen half, so trieben wir soviel Kindereien zusammen, daß mehr verdorben, als gut gemacht wurde.

Jeden andern hätte der Vetter Christoph am Ende ungehindert gehen lassen, d. h. mit vollkommener Entziehung höchsten Wohlwollens, doch nicht so mich, seinen leiblichen Vetter, dem er geneigt war, und für den er als jungen Menschen alles mögliche glaubte tun zu müssen, um ihn zur Arbeit zu gewöhnen.

So hatte er denn auch eines Morgens ein Geschäftchen für mich gefunden, was mich genugsam beschäftigte, dafür aber auch an den Tisch fesselte, obgleich ich viel lieber in Feld und Wald umhergelaufen wäre. Er führte mich in seine Schreibstube und stellte mich als ersten Buchhalter und Korrespondenten an.

»Das Geschäft ist klein,« sagte er, »aber mach's ordentlich, mach's pünktlich, du kannst was dabei lernen.«

Anfänglich war ich auch in dem Punkte des Fleißigseins für den Doktor besorgt gewesen und hielt ihn, wie man es natürlich finden wird, für einen faulen und zur Arbeit untauglichen Menschen. Doch war der Doktor klug genug, meine Vermutungen Lügen zu strafen. Nachdem die Pferdekur vollendet war, suchte er sich andere Beschäftigungen, und hielt sich besonders an den alten Müller, mit dem er unter anderem morgens in aller Frühe in den Wäldern umherzog und sich bald in dessen Vertrauen so festsetzte, daß er dort die Knechte beim Holzfällen beaufsichtigen durfte. Hier und da führte er auch einen großen, vierspännigen Holzwagen hochbeladen aus dem Walde in den Hof, wobei er so furchtbar mit der Peitsche knallte, daß alles lachend zusammenlief, und sich selbst der Vetter Christoph eines Schmunzelns nicht erwehren konnte.

Freund Burbus war aber auch in solchen Augenblicken eine höchst komische Erscheinung. Sein großer Bart beschattete das halbe Gesicht, und eine kleine Cerevismütze balancierte er mit vieler Geschicklichkeit gegen Wind und Wetter auf dem Kopfe. Oftmals hatte ich ihm gestanden, wie sehr mich seine totale Umwandlung freue, aber wie unerklärlich sie mir andrerseits auch sei, worauf er mir antwortete:

»Lieber Jüngling, es mußte anders werden; das Arbeiten mußte ich erst wieder erlernen, denn es ist an sich eine schwere Kunst, und Sie können mir glauben, wenn ich hier mal eine Zeitlang von morgens bis in die Nacht an schwerer Arbeit tätig war, wird es mir später leicht werden, etwas anderes zu ergreifen und beharrlich durchzuführen.«

Ich schrieb also Briefe an benachbarte Gutsbesitzer, an die Forstämter, und machte Rechnungen über Getreide und Mehl. Mein Kontor lag gerade über der Mühle. Der Boden desselben zitterte beständig, wie bei einem leichten Erdbeben. Bald besuchte mich der alte Müller, etwas nachsehend oder angebend, bald kam Kaspar mit weißbestaubtem Gesicht und rauchte ein paar Züge aus einer Pfeife, am öftesten aber, und das war mir am liebsten, kam Sibylle mit ihrem Nähzeug, setzte sich zu mir hin, und wenn wir auch stundenlang nichts sprachen, so gab es doch wieder Augenblicke, wo wir uns eifrig über frühere Zeiten unterhielten, und ich ihr von den Bekannten, die sie in der Stadt hatte, erzählte, was ich wußte. Auch der Doktor erschien zuweilen, bald mit der Peitsche, bald mit der Axt in der Hand, blieb aber nie lange, wenn Sibylle bei mir war. So vertraut er überhaupt mit den beiden Söhnen und mit Elsbeth war, und soviel er mit ihnen lachte und Späße trieb, so schien er sich unbehaglich zu fühlen, wenn die alte Müllerin oder Sibylle sich in der Nähe befand. Der letzteren war das auch aufgefallen, und sie erzählte mir, sie habe es ihrer Mutter mitgeteilt, welche ihr entgegnet: sie müsse ihn dafür desto freundlicher und artiger behandeln; denn er sei ein verlorener Sohn, der, auf dem Wege der Besserung begriffen, sich doch noch nicht bei stillen, freundlichen Menschen ganz heimisch fühle.

»Es ist eigentlich schade,« setzte Sibylle hinzu, »daß er mit der Mutter nicht viel spricht, denn neulich, als sie ihn in das Gespräch zog und über einige neuere Bücher fragte, war sie sehr zufrieden mit seinen Antworten. Aber er hat einen furchtbar häßlichen Bart. Du mußt dir niemals einen solchen wachsen lassen.«

Ich fuhr mit der Hand an mein äußerst glattes Kinn und versprach es ihr.


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