Friedrich Wilhelm Hackländer
Handel und Wandel
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Achtzehntes Kapitel.

Genesung.

Von all diesen Stürmen in dem Hause, in dem ich bis jetzt als Lehrling gedient, erfuhr ich natürlich gar nichts, sondern lag in meinem Bett, schlief fast den ganzen Tag oder schaute die Mühle und die Ritterburg an. Leider aber war in meiner Krankheit ein Rückfall eingetreten; ich hatte die Nacht sehr unruhig verbracht und lag am Morgen zum Entsetzen der Schmiedin in heftigem Fieber. Sie stand an meinem Bett und fühlte mir den Puls, wobei sie den Kopf wegwandte, daß ich ihre Tränen nicht sehen sollte, und als die Großmutter sagte, ich habe mich wahrscheinlich in der Nacht erkältet, schüttelte sie traurig das Haupt und hatte etwas auf der Zunge; man sah, daß sie kräftig mit sich selbst rang, es hinunterzuschlucken. Endlich aber konnte sie sich nicht mehr halten und schluchzte so laut, daß ich erschrocken auffuhr. »Ach, Frau Pastorin,« rief sie, »und wenn Sie's mir noch so übel nehmen, ich kann es doch nicht verhalten! Erkältung? O Gott, nein! Sie wissen ja wohl, daß ich die Bettdecke jeden Abend festbinde! Nein, Frau Pastorin, aber der Gerstenschleim – ja, ich muß es behaupten, der Gerstenschleim, der hat das Fieber aufs neue herbeigeführt. Hätte man dem Kinde Weinsuppe gegeben, wie ich es vorgeschlagen habe, so liefe es heute wieder frisch und gesund herum. Aber Gerstenschleim ist ein wahres Gift.«

»Hör' Sie,« sagte die Großmutter sehr ernst, »ich kann Ihr wegen Ihrer Rechthaberei nicht ewig den Text lesen; aber Schmiedin, Schmiedin, die Rechthaber und Wortklauber sind unangenehm vor dem Herrn, hat mein Mann selig, der Pastor, hundertmal gesagt. Was Weinsuppe oder Gerstenschleim! Das hat keins von beiden getan. Sie ist doch sonst eine gescheite Person, geh' Sie mir mit den Kindereien!«

Damit entfernte sich die Großmutter ziemlich ärgerlich, aber die Schmiedin blieb am Bett stehen und hielt ein Selbstgespräch, von dem ich nur die Worte Weinsuppe und Gerstenschleim vernahm. Aber meine durch das Fieber erhitzte Phantasie hatte genug daran, und ich träumte davon. Mochte nun mein Rückfall kommen, woher er wollte, so war es schlimmer mit mir, als am Tage, wo man mich aus der Kirche gebracht hatte, und ich phantasierte die ganze Nacht und ein gutes Stück des folgenden Morgens.

Das ging ein paar Tage so fort, während deren es ganz dunkel in meinem Zimmer war und ich niemand unterscheiden konnte, als die Schmiedin am unterdrückten Weinen, wenn sie mir die Arznei einflößte. Wohl hörte ich hier und da, daß noch andere Personen im Zimmer sein mußten, ja ich glaubte zuweilen eine tiefe Stimme zu vernehmen, die mir nicht unbekannt war. Doch war ich zu schwach, um meinen Gedanken nachhängen zu können, und alle und jede Erinnerung entschlüpfte mir im gleichen Augenblicke wieder, wo ich mich ihrer bemächtigt zu haben glaubte. Eines Abends ließ mein Fieber etwas nach, und gegen Morgen schlief ich ganz ruhig, wurde aber durch den Klang jener tiefen Stimme geweckt, die ziemlich laut und deutlich sagte: »Aber, Jungfer Schmiedin, Sie werden erlauben, daß ich Ihnen gehorsamst bemerke, daß es meines Erachtens viel vernünftiger wäre, ihn noch eine Stunde schlafen zu lassen, als ihn wieder aufzuwecken, um ihm einen Löffel voll des garstigen Zeugs in den Magen zu schütten.« – »Ach, Herr Doktor,« entgegnete die Schmiedin, »Sie mögen selbst ein ganz guter Arzt sein, aber was das Abwarten eines Kranken betrifft, da stelle ich meinen Mann.« – »Wollen sagen, Ihre Frau,« erwiderte die tiefe Stimme, und setzte dann, geschmeichelt durch das Kompliment, hinzu: »Allerdings, wir praktischen Aerzte – freilich wohl, das Einhalten der Stunden – ja, wir wollen ihn also sanft erwecken.«

Das war nun eigentlich gar nicht nötig, denn ich hatte schon längst meine Augen ein wenig geöffnet und würde mich schon lange gemeldet haben, wenn ich die Erscheinung vor mir nicht für einen Traum gehalten hätte; denn es war mein Freund, der dort im Zimmer stand, der Doktor Burbus, angetan mit einem rotkarierten Schlafrock, der meinem Onkel selig gehört, sowie die gelben Pantoffeln, die er an den Füßen, und eine weiße, spitze Nachtmütze, die er auf dem Kopfe trug. Seinen Bart hatte er ziemlich ordentlich behandelt und sah überhaupt ganz anständig aus. Neben ihm stand die Schmiedin, wieder einmal sehr im Negligee, und schüttelte das Arzneiglas in ihrer Hand.

Nachdem ich mir einigemal die Augen gewischt und mich überzeugt, daß ich nicht träume, freute ich mich unendlich, den Doktor wiederzusehen, und rief ihn laut beim Namen. Die Schmiedin schrak zusammen, daß sie fast das Glas fallen ließ, so kräftig hatte ich geschrien, der Doktor aber kam lachend auf mich zu, setzte sich auf mein Bett, und mußte nun vor allen Dingen erzählen, wie er ins Haus und zu mir gekommen. – Die Geschichte war kurz und einfach. Der Laternenhandel hatte beim Doktor das Maß voll gemacht oder, wenn man will, dem Faß den Boden ausgeschlagen. Bekam er deshalb Händel mit der Polizei, so war seines Bleibens in der Stadt nicht mehr. Er hatte daher, als er wirklich zitiert wurde, in seinem Hauswesen alles, was des Mitnehmens wert war – und dessen war gar nicht viel – zusammengerafft und sich ins Spital geflüchtet, das heißt zum Adjunkten des Spitalarztes, einem Studiengenossen. Nachdem er sich dort ein paar Tage verborgen, beschloß er, seinen Stab weiterzusetzen, wohin, wußte er selbst nicht, zuvor aber wollte er sein Wort einlösen und von mir Abschied nehmen. So hatte er sich denn vorgestern in der Abenddämmerung hergeschlichen. Als er unten im Hause nach mir gefragt, war die Großmutter beim Namen Burbus aufmerksam geworden und hatte sich mit ihm unterhalten. Da nun der teure Doktor Burbus gerade nicht auf den Mund gefallen war, wie wir wissen, so unterhielt er die gute alte Frau von seinen traurigen Erlebnissen, wie es ihm teils mit, teils ohne sein Verschulden schlecht gegangen; denn er war ehrlich und auch klug genug, um ihr gegenüber zuzugeben, daß er seine Jugend nicht ganz so angewendet, wie er gesollt. Natürlich mischte er in die Erzählung seiner letzten Unglücksfälle sehr viel Reißmehl, Barbara und Philipp, und seine Angaben stimmten mit den meinigen in so vielen Punkten überein, daß die Großmutter wohl einsah, man habe mir aufs himmelschreiendste unrecht getan. Auch gefiel ihr die Anhänglichkeit des Doktors an mich, kurz, sie lud ihn ein, einige Tage bis zu meiner Genesung dazubleiben; er habe ja dann noch immer Zeit, eine neue Laufbahn anzutreten.

Meine Freude, den Doktor um mich zu haben, war nicht gering, und wir machten den ganzen Tag schöne Pläne für die Zukunft. Mit meiner Besserung ging es indessen rasch vorwärts. Ich konnte bald das Bett verlassen und mich ans geöffnete Fenster setzen. Wie wohl tat mir die junge, frische Frühlingsluft, die selbst über die Dächer der Häuser und in die engen Straßen ihren Weg zu finden wußte und mir im süßen Duft erzählte von tausend aufbrechenden Knospen im Walde, von bunten Blumen und Blüten und von den eisbefreiten rauschenden Bächlein! Ich hatte eine gewaltige Sehnsucht nach dem Walde, und die Stadt lag mir beängstigend auf der Brust. Das sagte ich eines Tages dem Arzt, als er im blauen Frack mit der weißen Halsbinde vor mir saß, worauf er lächelnd mit dem Kopfe nickte und meinte, das würde sich wohl arrangieren lassen. Ja, und es kam auch wirklich auf die schönste Weise zustande. Der Arzt schrieb auf der Großmutter Veranlassung einige Zeilen an den Vormund, und nach einigen Tagen antwortete dieser so gut und freundlich, als wir es nur wünschen konnten. Im Briefe stand unter anderem: »Was mir der Doktor über den Jungen geschrieben, freut mich, da ich sehe, daß er sich wieder in der Besserung befindet. Auch glaube ich, er hat ganz recht, wenn er vorschreibt, man solle ihn das Frühjahr und den Sommer zu seiner Erholung auf dem Lande zubringen lassen, und ich bin ganz damit einverstanden. Ich denke, man schreibt an den Vetter, der die Waldmühle hat. Er wird sich gern gegen ein mäßiges Kostgeld dazu verstehen, den Jungen ein halbes Jahr aufzunehmen.«

Dieser Vorschlag leuchtete der Großmutter sowie der Tante ein, nur die Schmiedin schluchzte einiges von Mühlenwassern, Rädern und dergleichen gefährlichen Geschichten. Es wurde sogleich an den Vetter geschrieben, und schon nach einigen Tagen kam die befriedigendste Antwort. Von einem Kostgelde wollte der vermögende Mann nichts wissen. Die Aussicht, den Sommer auf dem Lande zubringen zu können, statt wieder in einen finstern Laden zu kriechen, machte mich überglücklich. An meinen guten Freund Burbus hatte ich dabei nicht gedacht, der am Morgen, nachdem man sich den Abend vorher im großen Familienrat entschlossen, mich in einigen Tagen fortzuschicken, statt im rotkarierten Schlafrock, in seinem eigenen Anzug erschien und erklärte, er sei jetzt reisefertig, um in die Welt hinauszuziehen. Das fiel mir schwer aufs Herz, und als die Jungfer Schmiedin allein bei mir saß und mich traurig betrachtete, was sie jetzt bei meiner bevorstehenden Abreise nur zu häufig tat, eröffnete ich ihr mein Herz, wie traurig es mich mache, daß uns jetzt der arme Doktor Burbus verlasse, der keinen Menschen auf der weitem Welt habe. Daß es leicht war, sie bis zu Tränen zu rühren, versteht sich, und sie versprach mir, mit der Großmutter darüber zu reden, was sie denn auch alsbald tat. Und der Erfolg blieb nicht aus: der Doktor erschien vor mir und erzählte mir, die gute Frau habe ihm ins Gewissen geredet und ihn ermahnt, jetzt endlich einen ordentlichen Lebenswandel anzufangen, ihm aber sofort gesagt, wenn er mich auf ein paar Monate begleiten wolle, so würde dies dem Vetter gewiß ganz angenehm sein, und er habe inzwischen Zeit, sich nach etwas anderem umzusehen.

Jetzt war Freude an allen Ecken. In kurzer Zeit waren die nötigen Vorkehrungen getroffen, meine Reiseequipage besorgt, und der Doktor, den das ganze weibliche Personal recht wohl leiden konnte, ging auch nicht leer aus. – An einem schönen Morgen, als die Sonne zum erstenmal recht warm schien, entließ uns die Großmutter mit einem stillen Händedruck und ihrem lauten Segen. Die Tante gab uns Grüße an den Vetter mit, und die Schmiedin weinte auf herzzerreißende Weise.

Durch all diese Zeremonien war es zehn Uhr geworden, als wir endlich durch die Straßen dem Tore zuschritten. Plötzlich blieb der Doktor stehen und rief, indem er auf einen vorbeirollenden Wagen deutete, laut aus: »Bei Gott, das ist der edle Philipp!« Auch ich sah hin und erblickte ihn neben der bräutlich geputzten Barbara; auf dem Rücksitz saß Herr Reißmehl, der einen ungeheuren Blumenstrauß trug. Die holde Braut mußte auch uns erblickt haben: sie machte plötzlich ein sehr erschrockenes Gesicht, da der Anblick des Doktor Burbus auf diesem Wege ihr als ein böses Omen erscheinen mochte. Der Wagen lenkte gegen die Spitalkirche.

Bald hatten wir die Stadttore hinter uns, vor uns die weite Erde, die in ihrem bräutlichen Blütenschmuck noch herrlicher prangte als Jungfer Barbara, und während ich auf diese Art vorderhand vom Handel Abschied nahm, beschloß Doktor Burbus ernstlich, einen neuen Wandel anzufangen.


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