Friedrich Wilhelm Hackländer
Handel und Wandel
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Zehntes Kapitel.

Familienrat.

Ich erreichte das Haus meiner Großmutter, als es gerade anfing, dunkel zu werden. Auf der Straße wurden mit vielem Geräusch die Laternen herabgelassen, angezündet und wieder hinaufgezogen, ein Manöver, dem ich in meiner Kindheit immer mit großem Vergnügen zugesehen. Als ich in den Laden meiner Tante trat, kam sie gerade mit einem Licht aus der Stube und mußte, vom Schein geblendet, die Hand vor das Auge halten, um mich zu erkennen. Nicht ohne Herzklopfen, aber äußerlich ganz ruhig, bot ich ihr einen guten Abend und begab mich in das Zimmer der Großmutter, die eben damit beschäftigt war, einen großen grünen Schirm auf einer Lampe zu befestigen. Zu meiner großen Freude erblickte ich auch die Jungfer Schmiedin, die an der andern Seite des Tisches saß und ein Stück Zeug vor sich ausgebreitet hatte, von dem sie mittels eines Papiermodells eifrigst ein Stück herunterschnitt. Es war im Stübchen recht angenehm; auf unsere Dachkammer wurde uns kein Holz mehr zum Einheizen geliefert, da es stark aufs Frühjahr losging; aber die Großmutter hatte am kühlen Abend ein Feuerchen anmachen lassen, welches das Zimmer behaglich erwärmte, und auf dem Ofen lagen einige Aepfel, die anfingen zu braten und unter sinnigem Knistern und Pfeifen einen angenehmen Duft verbreiteten.

Die beiden Damen bemerkten mich anfangs gar nicht. Großmutter war in ihr Geschäft so vertieft, daß sie nicht einmal auf Jungfer Schmiedin zu hören schien, die in leisen, sanften Worten etwas sprach, was ich nicht verstand. Aber es mochten fromme Betrachtungen sein, um welche sich die Unterhaltung drehte, denn als der Lichtschirm befestigt war und die Großmutter die Brille des Generals auf ihre Nase gesetzt hatte, lehnte sie sich in ihren Stuhl zurück, schlug die Hände übereinander und sagte: »Ja, ja, Schmiedin, selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.« – Jetzt, dachte ich, ist es Zeit, und riß mit einem lauten: »Guten Abend, Großmutter!« den Faden der frommen Unterhaltung auf einmal entzwei.

»So, bist du auch wieder einmal da?« sagte die Frau und hob ihren Lichtschirm in die Höhe, um mich anzusehen; die Schmiedin aber blickte freudig von ihrer Arbeit auf und lächelte mir herzlich zu, während sie mir einen Stuhl an den Tisch schob, auf welchem ich mich zögernd niederließ. Es war mir gar nicht behaglich zu Mute; denn wenn ich mit dem herausrückte, was mich heute abend hierher führte, so unterbrach ich die feierliche Stimmung, in der sich beide Frauenzimmer befanden, doch auf eine gar zu unangenehme Art. Indessen schien die Großmutter sehr gut gelaunt, denn sie zitierte anfangs keine Sprichwörter, sondern fragte lachend, ob ich dem klugen Gott Merkurius schon einiges von seinen Kniffen und Pfiffen abgelernt. Auch erkundigte sie sich nach dem Befinden des Herrn Reißmehl und nach dem Wohlsein der Jungfer Barbara, wobei ich mit Freuden bemerkte, daß, als sie diese Namen aussprach, die Schmiedin ein wegwerfendes, verdrießliches Gesicht machte. Aha, dachte ich bei mir, hier ist es an der Zeit, einen Notanker auszuwerfen. Nachdem ich der Großmutter versichert, daß sich Herr Reißmehl sehr wohl befinde, setzte ich hinzu: »Was aber die Jungfer Barbara betrifft, so ist es mir sehr gleichgültig, wie es ihr geht, denn, Großmutter, eine boshaftere Person als sie können Sie sich nicht denken.« Bei diesen letzten Worten sah ich die Schmiedin an; ihr Gesicht strahlte vor Freude.

»Ja,« fuhr ich fort und nahm einen Ton an, als sei mir das Weinen näher als das Lachen, »ja, Jungfer Barbara quält mich den ganzen Tag, und ich sag' es Ihnen gerade heraus, Großmutter, daß ich's bei Herrn Reißmehl schwerlich länger aushalte.« Die alte Frau war über meine plötzliche energische Aeußerung so erstaunt, daß sie mich eine Zeitlang ansah, ehe sie ein Wort sprechen konnte. Die Schmiedin aber fing leise zu schluchzen an und konnte kaum die Worte hervorbringen: »O Gott, o Gott, Frau Pastorin, ich habe es Ihnen ja gesagt, ich habe es ja gesagt! Nur nicht in das Reißmehlsche Haus, das schon von außen so finster und unheimlich aussieht! Ach, der arme Schelm!« – »Ei was,« entgegnete meine Großmutter, nachdem sie sich von ihrem Erstaunen erholt, »was, armer Schelm! Ich bitt' Sie recht sehr, Jungfer Schmiedin, bestärk' Sie den Jungen nicht in seinen bösartigen Aeußerungen über eine so achtbare Person wie die Jungfer Barbara Reißmehl!« – »Achtbare Person!« jammerte die Schmiedin. »Ach, Frau Pastorin, ich könnte Ihnen eine Geschichte erzählen – doch ich schweige,« setzte sie hinzu, »ja, ich will schweigen, und er soll erzählen, wie ihn die Jungfer Barbara behandelt.«

Das ließ ich mir denn auch nicht zweimal sagen und erzählte all die kleinen, freundschaftlichen Renkontres mit Barbara, in die ich durch Fanny, durch Philipp, durch die krampfstillende Medizin und durch Doktor Burbus verwickelt worden. Daß ich die Farben etwas stark auftrug, kann man sich leicht denken, und damit entstand ein so grelles Bild vom Charakter der bösen Jungfer, daß die Großmutter ernsthaft den Kopf schüttelte, und meine Tante, die unterdessen auch eingetreten war, mehrere Male sagte: »Ah, das ist stark! das ist sehr stark!« Aber die Schmiedin erst – die lachte und weinte durcheinander; jetzt erpreßte ihr mein trauriges Schicksal die herbsten Tränen, und gleich darauf triumphierte sie, daß sie sich in Jungfer Barbara nicht geirrt. Ich ermangelte auch nicht, mit einzuflechten, daß ich im Geschäft des Herrn Reißmehl so gut wie gar nichts lerne, daß nichts anderes vorkomme, als Kaffee und Zucker wiegen u. s. f. »Und deshalb,« schloß ich meine Klage, »will ich ebenso gern Schneider werden, als noch länger im Hause dort bleiben, wo es ohnehin so unheimlich ist, daß man nicht anders glauben kann, als es müsse ein Geist umgehen.«

Für diese letzte Aeußerung warf mir die Schmiedin einen sehr dankbaren Blick zu; sie nahm meine Verteidigung mit einer Zungenfertigkeit auf und unterstützte meinen Wunsch, das Reißmehlsche Haus zu verlassen, mit so triftigen Gründen, daß sich am Ende Großmutter und Tante bestimmen ließen, vorläufig ihre Einwilligung zu geben, wenn nämlich der Vormund nichts dawider habe. – Wer war glücklicher als ich, daß dieser Sturm so gut vorübergegangen war! Während des Nachtessens wurde ich so keck, daß ich, allerdings vorsichtig, anfing von der Skelettgeschichte zu erzählen, was die ganze weibliche Gesellschaft, die mir aufmerksam zuhörte, so ergötzte, daß sie, einschließlich meiner Großmutter, laut auflachten. Im Eifer des Gespräches war es spät geworden, und nachdem mir meine Großmutter fest versprochen, gleich morgen früh dem Vormund zu schreiben und so meine Lösung aus den Reißmehlschen Banden zu erlangen, stand ich auf, um mich zu empfehlen.


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