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Hysterie. Mutterbeschwerde. Hysteria

Unter dem dunklen und vagen Begriffe Hysterie werden vielerlei abnorme vitale Zustände beim weiblichen Geschlechte von den Ärzten vereint, viele unklare oder nicht verstandene Erscheinungen damit bezeichnet. Die Hysterie gehört zu der Gruppe der Neurosen, ähnlich wie die Neurasthenie. Sie äußert sich in einer gewissen Konzentrationsunfähigkeit, Zerstreutheit und Beschäftigungslosigkeit. Die Mehrzahl der Hysterischen wird vom weiblichen Geschlecht gestellt, doch sind auch hysterische Männer keine Seltenheit. Die Erblichkeit der hysterischen Veranlagung steht fest. Die Hysterie ist nach C. L.  Schleich der »Spuk zwischen Gut und Böse, Schein und Sein«.

Die Krankheit hat große Neigung, sich in Krampfanfällen zu offenbaren: in den sog. hysterischen Krampfanfällen. Die Kranken sind launenhaft, bald heiter, bald traurig gestimmt, sind meist sehr lebhaft und wandelbaren Gemütes, leicht reizbar und unruhig. Ihr Befinden ist sehr der Witterungsveränderung, die sie oft schon tagelang voraus wahrnehmen, unterworfen; die Haut des Körpers ist kühl und bleich, die Kranken frösteln leicht. Dabei treten oft heftige Kopfschmerzen, besonders an einer kleinen umschriebenen Stelle, Würgen und Brechen, Herzklopfen, Harndrang, Ohnmachten, Somnambulismus usw. auf. Bei stärkeren Anfällen sind Starrkrämpfe, Lähmungen, Zuckungen der Hände und Füße vorhanden. Zuweilen tritt auch allgemeine oder stellenweise Unempfindlichkeit (Anästhesie) der äußeren Haut auf. – Besonders sind Atmungsbeschwerden, heftige Krampfanfälle, die den Hals zuschnüren wollen und mit Erstickung drohen, das Gefühl einer aus dem Unterleibe in den Schlund emporsteigenden Kugel (Globus hystericus) das Charakteristische des Leidens.

Zu den veranlassenden Ursachen dieser Krankheit können gerechnet werden: Überreiztheit des Nervensystems, geistige Überbürdung, sitzende Lebensweise, häufiger Genuß reizender Speisen, desgleichen des Kaffees und Tees, heftige, schwächende Leidenschaften, Ärger, Schreck, Sehnsucht, vor allem aber unbefriedigter Geschlechtstrieb. Die objektive Untersuchung zeigt die Verdauungsorgane meistens gestört durch Säure, Flatulenz, Magen- und Darmkrämpfe, unordentliche und seltene Stühle; oft sogar Blutarmut, Nonnengeräusch; nicht selten sind Tuberkulose oder Carcinome vorhanden sein können.

Es sind hier, wie bei der Hypochondrie, regelmäßige Lebensweise, eine leicht verdauliche Kost, Zerstreuung, öftere körperliche Bewegung in freier Luft, tägliche Waschungen des Körpers mit kaltem Wasser und darauf tüchtiges Frottieren der Haut wichtige Unterstützungsmittel der Genesung. – Doch muß man in jedem einzelnen Falle der Hysterie, wenn irgend möglich, die Ursache, das zugrunde liegende Leiden, zu erforschen suchen. Wo Genitalleiden vorhanden sind, müssen diese, wenn nötig, durch örtliche ärztliche Behandlung beseitigt werden. Oft gelingt es dem Arzt, die heftigsten hysterischen Erscheinungen, die bis dahin allen Mitteln getrotzt haben, durch Beseitigung eines lange bestandenen, früher nicht geahnten Gebärmutterleidens; zum Schwinden zu bringen. Darum müssen sich hysterische Kranke einer genauen Untersuchung unterziehen, da, wie gesagt, bei einer Behandlung alles darauf ankommt, zunächst die Ursache des Leidens festzustellen. Von den hier in Anwendung kommenden Arzneien verdienen besondere Beachtung:

Aurum: Sehr reizbare, ärgerliche Gemütsstimmung, auch mit ausgelassener Heiterkeit abwechselnd. Große Verzagtheit und Lebensüberdruß. Besonders bei leicht fröstelnden, an unregelmäßigen Herzkontraktionen leidenden Frauen. Auftreibung des Bauches, krampfhaft zusammenschnürende Schmerzen im Bauch mit Angst und Blähungsbeschwerden; große Eßlust, fader Mundgeschmack.

Cannabis: Oft hilfreich bei Hysterie mit großer, selbst bis zur Ekstase gesteigerten Nervenerregtheit, Schwindelgefühl und neuralgischen Kopfschmerzen, besonders in der rechten Kopfhälfte (Migräne). Brustbeklemmung und Ängstlichkeitsgefühl.

Ignatia: Drückende Schmerzen im Hinterkopfe, Zusammenziehen des Schlundes und Gefühl, als wäre eine Kugel darin, erschwertes Schlingen, Brustkrämpfe, Schluchzen, Aufstoßen, Steifheit des Nackens, Zuckungen in den Armen und Beinen und betäubender, unerquicklicher Schlaf, Unterleibskrämpfe, Magenbeschwerden usw.

Nux vomica: Brechwürgen und Übelkeit, besonders früh; Gefühl von Aufsteigen einer Kugel im Halse; heftige Kopfschmerzen, Stuhlverstopfung. Schwere und Vollheitsgefühl im Unterleibe oder Aufgetriebenheit der Magengrube mit Empfindlichkeit gegen äußeren Druck und fest anliegende Kleider; Herzklopfen; heftiges, leicht zum Zorne gereiztes Temperament.

Platinum: Vorzügliches antihysterisches Mittel bei Frauen mit großer Verliebtheit. Sehr wechselnde Gemütsstimmung, von Weinerlichkeit bis zur ausgelassenen Fröhlichkeit, oder große Gereiztheit, Unzufriedenheit und Selbstüberhebung.

Sepia: Besonders bei Vollblütigkeit, Engbrüstigkeit, Pulsatio epigastrica (Bauchpulsation), Herzklopfen bei der geringsten Bewegung; Blutwallungen mit fliegender Gesichtshitze. Gefühl wie von schwerer Last im Bauche, Anhäufung und Poltern von Darmgasen, drückende oder klopfende Empfindung in der Lebergegend, Kugelaufsteigen im Halse.

Sulfur (und Calcium): Vgl. Hypochondrie. – In Frage kommen noch Cicuta und Chamomilla: Bei hysterischen Starrkrämpfen. Valeriana: Bei Auftreibung des Leibes (Meteorismus). Moschus: Hysterische Krampfanfälle, große Nervenerregtheit, temporäre Schwäche und Neigung zu Ohnmächten. Magnesium muriaticum: Bei Kopfschmerzen, die durch Druck oder warmes Umhüllen des Kopfes gebessert werden. Tarantula: Überempfindlichkeit, Kongestionen. Nux moschata: Bei Verschlimmerung der Beschwerden durch Witterungswechsel, bei kühler, trockener Haut, Kopfeingenommenheit, Blähungsbeschwerden und bei vielen anderen hysterischen Beschwerden oft von Nutzen. Bei Unterleibskrämpfen: Ignatia, Cocculus oder Nux vomica.


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