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Gehirnhautentzündung. Meningitis simplex

Die Gehirnhautentzündung – früher fälschlich Gehirnentzündung genannt, da man bei so bedrohlichen Symptomen glaubte, das ganze Gehirn sei entzündet, während der Krankheitsprozeß meist nur in der gefäßreichen weichen Hirnhaut (Pia mater), an der Konvexität des Gehirns, seinen Sitz hat (daher auch Konvexitätsmeningitis) – erheischt die schleunigste ärztliche Hilfe, da sie eine der gefährlichsten Krankheiten ist, die gewöhnlich zum Tode führt, selbst wenn sie gleich erkannt und richtig behandelt wird. Die Meningitis ist eine entzündliche Affektion der Pia mater, mit vorwaltend plastischer, eiterig-fibrinöser Exsudation.

Gewöhnlich ist sowohl die Basis, als auch die Konvexität des Gehirns Sitz der Entzündung, die, wenn auch in verschiedenem Grade, meist beide Hemisphären ergreift. Die Krankheit befällt am häufigsten bis dahin gesunde jugendliche Personen. Bei Erwachsenen erscheint sie besonders nach Verletzung des Schädels oder bei Fortsetzung benachbarter Entzündungen auf die Pia mater (Kopfrose, Hirnabszesse, Otitis media), bei Gelenkrheumatismus, Typhus usw.; im Sommer durch Einwirkung der Sonnenstrahlen auf den Kopf. Bisweilen sind keine Ursachen zu ermitteln. Bei Kindern kommt die Krankheit häufig vor in der Zahnperiode und im Verlauf akuter Exantheme.

Die Meningitis simplex läßt zwei Stadien erkennen, die jedoch nicht immer deutlich und scharf voneinander getrennt sind. Im Stadium der Reizung treten meist plötzlich sehr heftige Lokalerscheinungen ein: Schüttelfrost, frequenter, harter Puls und erheblich gesteigerte Temperatur. Hierzu gesellen sich rasende Kopfschmerzen, Erbrechen und hochgradige Erregung des Gehirns, mit großer Empfindlichkeit gegen Licht und Geräusch, auch gegen jede Berührung des Körpers selbst noch im Stadium der motorischen Lähmungserscheinungen. Es zeigen darin die meningitischen Kranken zu den typhösen einen bemerkbaren Gegensatz, die im bewußtlosen Zustande alles mit sich machen lassen. Fast niemals fehlen laute oder stille Delirien und Halluzinationen, die mit Ohrensausen, Aufschrecken, Zuckungen, Zähneknirschen, Pulsieren der Karotiden und Temporalarterien usw. verbunden sind. Die Bauchdecke ist meist eingezogen oder krampfhaft gespannt, der Stuhl ist unterdrückt und die Harnabsonderung gering, hat aber in fast allen Fällen viel Eiweißgehalt. Dieser letztere Umstand zeigt schon jetzt, ob wir es mit einer akuten, hochgradigen Gehirnhyperämie oder mit einer Meningitis zu tun haben.

Der Eintritt von Lähmung sichert die Diagnose; er ist ein Zeichen der beginnenden Exsudation und deutet den Übergang in das zweite Stadium der Meningitis an. In langsam verlaufenden Fällen treten zunächst vereinzelte Lähmungen ein, während bei gleich heftig auftretenden Gehirnhautentzündungen der Übergang in das Stadium der Lähmung meist sehr schnell und mit auffallender Verlangsamung des Pulses eingeleitet wird. Die Lähmungserscheinungen, die anfangs nur schwach und mit Reizungserscheinungen vermischt auftreten, gehen später in allgemeine Paralysen über. Die Paralysen sind meist partiell, betreffen zuerst die Iris als Pupillenerweiterung, häufig ungleiche Erweiterung der beiden Pupillen, dann die Muskeln des Gesichts, der Zunge, des Gehörs, dann einzelne Extremitäten, endlich die Blase und das Rectum. Die psychischen Lähmungen gehen von Benommenheit in Bewußtlosigkeit und Sopor über. Die frühere Röte und Hitze weicht einem blassen kollabierten Aussehen. Der Puls wird mit eintretendem Sopor und Zunahme der Paralyse zwar wieder beschleunigt, erscheint jedoch leer, klein und unregelmäßig. Die Herztätigkeit wird schwächer. – Solange noch Reizungserscheinungen vorhanden, kann man noch auf Genesung hoffen. Im Stadium der ausgebildeten Lähmung ist an Genesung nicht mehr zu denken, und der Tod erfolgt häufig schon am Ende der ersten Woche.

Im ersten Stadium, bei vorwaltender Hyperämie und Gehirnexaltation, hochgradiger Hitze, rotem Gesicht, Pulsieren der Temporalarterien, vollem, beschleunigtem Pulse, Bohren der Patienten mit dem Kopf in das Bettkissen, äußerst heftigen Kopfschmerzen, lauten Delirien, Erbrechen, Sausen in den Ohren, Empfindlichkeit gegen Licht und Geräusch, krampfhaftem Zucken einzelner Muskelpartien, verabfolgen wir Belladonna, auch wohl mit Aconitum in ½stündlichem Wechsel. Tritt in den ersten 24 Stunden keine Besserung ein, oder verschlimmert sich gar der Zustand, dann machen wir von Atropinum sulfuricum Gebrauch und verabfolgen dieses Mittel ebenfalls in ½stündlichen Gaben. Auch Apis hat sich nach unseren Erfahrungen häufig bewährt. Die Symptome dieses Mittels sind denen der Belladonna ähnlich, doch ist es oft noch da hilfreich, wo diese im Stiche läßt, namentlich im Verlauf akuter Exantheme, besonders bei Scharlach und bei Fortpflanzung der Entzündung auf die Pia mater bei der Kopfrose. Wenn Gelenkrheumatismus und Genicksteifigkeit der Meningitis vorangegangen, dann machen wir von Bryonia Gebrauch, ebenso wenn gastrische Beschwerden oder Bronchialkatarrh zugegen sind. Glonoinum, ähnlich der Belladonna, ist dann erforderlich, wenn die Gehirnsymptome äußerst stürmisch auftreten; bei sichtbarem Pulsieren der Carotiden und Temporalarterien, bei brennender Hitze auf dem Oberkopf, entsetzlichen Stirnkopfschmerzen und gleichzeitigen Betäubungszuständen. Derartige jäh auftretende Symptome, die den Arzt kaum zur Besinnung kommen lassen, bietet vor allem der Sonnenstich. Hier ist schleunigste Hilfe erforderlich, da die Erkrankung sehr schnell zum Tode führt. Auch Camphora D1, alle 6 bis 10 Minuten 1 Tropfen auf 1 Teelöffel voll Wasser, empfiehlt sich in solchem Falle, hauptsächlich bei zusammenschnürenden Schmerzen im Hinterkopfe und über der Nasenwurzel, mit Bewußtlosigkeit, Delirien und Krampf, der den Kopf nach einer Seite zieht. Die sofortige Applikation eiskalter Umschläge auf den Kopf, wie wir diese bei Meningitis, solange noch die Gehirnhyperämie mit der Exsudation Hand in Hand geht, stets anwenden, ist hier ganz besonders erforderlich.

Im zweiten Stadium der Meningitis, bei beginnender Exsudation, säume man nicht, sofort Mercurius solubilis zu verabfolgen, und zwar alle 2 Stunden 1 Federmesserspitze voll. Es ist dies erfahrungsgemäß eins unserer besten Mittel, um den Exsudationsprozeß zum Stillstand und bereits vorhandene Exsudate zur Aufsaugung zu bringen. Sind jedoch, wie nicht selten, Zeichen der Hyperämie gleichzeitig vorhanden, dann reichen wir dieses Mittel oder, oft mit noch günstigerem Erfolge, Calcium phosphoricum in 1stündlichem Wechsel mit Belladonna oder Atropinum sulfuricum. Unter denselben Umständen empfiehlt Kafka auch Kalium jodatum D2, besonders wenn es darauf ankommt, die Konstitutionsverhältnisse zu verbessern; bei verdächtiger skrofulöser oder tuberkulöser Konstitution, besonders bei erblicher (hereditärer) Disposition. Übrigens können wir versichern, daß, wenn in diesem Stadium überhaupt noch Hilfe möglich, wir noch in Tartarus emeticus ein vortreffliches Mittel besitzen, das, selbst wenn schon soporöse Erscheinungen auftreten, ein günstiges Resultat herbeizuführen vermag.

Die im Verlaufe der Krankheit auftretenden Konvulsionen deuten auf Mitergriffensein der Meningen des Rückenmarkes und erheischen besonders dann unsere Aufmerksamkeit, wenn damit noch keine Lähmungserscheinungen verbunden sind, da diese auf Exsudaterguß deuten und jene oben angeführten Arzneien erfordern, die die Resorption zu bewirken imstande sind. Belladonna verabfolgen wir hauptsächlich bei klonischen Krämpfen, Muskelzuckungen im Gesicht, Augenverdrehen, krampfhafter Nackensteifigkeit, Schlingbeschwerden und allen jenen Symptomen der Gehirnhautentzündung, die wir schon oben bei diesem Mittel aufgeführt haben. Ähnlich ist die Wirkung von Hyoscyamus. Die Konvulsionen treten hier bald in den Ober-, bald in den Untergliedmaßen ein, auch Kinnbackenkrampf wie bei Belladonna, nur ist das Gesicht mehr blaß als rot, und besonders die Delirien deuten, mit lächelndem Gesichtsausdruck und Murmeln im Halbschlaf, auf die Wahl dieses Mittels. Bei konvulsivem Muskelzucken mit darauffolgenden tonischen Krämpfen, die sich auf die Rückenmuskeln verbreiten und dort krampfhafte Steifigkeit verursachen, reichen wir Stramonium, besonders, wenn bedeutende Gesichtshitze und auffallende Kälte der Extremitäten, Wechsel von lauten Delirien und Sopor mit bald lächelndem, bald weinerlichem Gesichtsausdruck, Hin- und Herwerfen mit dem Kopfe, große Unbesinnlichkeit und wilder, stierer Blick beim Erwachen teils die Konvulsionen begleiten, teils ihnen vorangehen. Nehmen die Konvulsionen an den Fingern und Zehen ihren Anfang, treten Kinnbacken- oder Starrkrämpfe ein, ist stierer Blick und auffallende Hautblässe zugegen, hat der sparsam gelassene Urin viel Eiweißgehalt, dann paßt Cuprum metallicum ganz vorzüglich. Ähnlich ist die Wirkung von Zincum metallicum. Den Krämpfen gehen verstärkter Herzschlag und beängstigende Empfindungen voran, darauf folgt krampfhafte Steifigkeit in Hals- und Rückenmuskeln; der Eiweißgehalt im Urin ist gering. Opium wird bei Trismus und Tetanus mit tiefem Sopor, herabhängendem Unterkiefer und lautem Schnarchen empfohlen, doch ist bei diesen Symptomen, die auf bedeutend vorgeschrittene Meningitis deuten, Heilung schwer denkbar.

Ist die Meningitis durch mechanische Insulte, durch Verletzung des Schädels entstanden, dann reichen wir sofort Arnica. In derartigen Fällen sind anfangs die Erscheinungen gering und bieten wenig Charakteristisches. Oft fehlen wochen-, oft monatelang, nach einer scheinbar ganz unbedeutenden Verletzung des Kopfes, alle Erscheinungen von seiten des Gehirns, und plötzlich beginnt mit Konvulsionen, äußerst heftigem Kopfschmerz, Erbrechen usw. unerwartet die Meningitis. Die Prognose der Kopf-Verletzungen ist daher mit größter Vorsicht zu stellen. Sobald Konvulsionen mit Erbrechen sich einstellen, verabfolgen wir Arnica in 1stündlichem Wechsel mit Tartarus emeticus, auch wenn Sopor zugegen. Dieses Mittel befördert die Resorption des serösen oder fibrinösen oder des mit extravasiertem Blute gemischten Ergusses noch besser als Arnica, ist aber auch dem Mercurius solubile vorzuziehen, besonders wenn Eiweiß im Urin fehlt oder nur Spuren davon vorhanden sind.

Die epidemische Meningitis, die Genickstarre, ist eine miasmatische Infektionskrankheit, deren Quellen noch unbekannt sind. Sie befällt meist jugendliche Personen vom 6. bis 20. Lebensjahre, und zwar vorwiegend das weibliche Geschlecht. Von den ergriffenen Personen unterliegen meist 25 bis 30 %. Bei den Genesenden bleiben oft unheilbare Taubheit oder Erblindung, Lähmung der Gliedmaßen oder Blödsinn zurück. Die der Krankheit zugrunde liegenden Erscheinungen beruhen auf Entzündung der an der Basis des Gehirns gelegenen Gehirnteile und des daselbst sich bildenden Exsudates. Die Ursache der Krankheit sollen im Nasenschleim und in der Gehirnhautflüssigkeit von Prof.  Weichselbaum gefundene Mikroorganismen, die Meningokokken (Diplokokkus intracellularis meningitidis) sein. – Der Verlauf der Krankheit ist sehr rapid. Die Krankheit beginnt mit Schüttelfrost und sehr schnell sich steigerndem, heftigem Kopfschmerz, der sich auf Nacken und Rücken verbreitet. Puls- und Atemfrequenz erreichen im Verlaufe der Krankheit eine enorme Höhe (120 Pulsschläge und mehr als 60 Atemzüge in der Minute). Am 3. oder 4. Tage treten tetanische Krämpfe der Nacken- und Rückenmuskeln, oft auch mit Kinnbackenkrampf verbunden, auf. Der Kopf wird weit nach hinten gezogen. Der oft eiweißhaltige Urin geht unwillkürlich ab oder wird zurückgehalten, und die überfüllte Blase muß mit dem Katheter entleert werden. Wechsel von großer Unruhe und Delirien, denen bald Bewußtlosigkeit folgt, schließt die Trauerszene. Der Tod tritt unter den Erscheinungen eines akuten Lungenödems spätestens am 10., aber bei sehr stürmischem Verlauf schon am 1. und 2. Krankheitstage ein. Die Sterblichkeit beträgt etwa 30 bis 40 %, in einzelnen bösartigen Epidemien sogar 60 bis 70 %.

Unter den bei dieser sehr rapid verlaufenden Krankheit zu wählenden Arzneien verdienen besondere Beachtung: Argentum nitricum, Belladonna, Gelsemium, Arsenicum und das von Dr.  Stifft empfohlene und mit sehr gutem Erfolge angewandte Zincum cyanatum.

Wir verabfolgten in sechs frisch in Behandlung genommenen Fällen mit vorzüglichem Erfolge Gelsemium, in 1stündlichem Wechsel mit Arsenicum, und bei sehr heftigem Erbrechen, argen Kopfschmerzen, Kälte der Gliedmaßen und blassem Gesichte Nicotitinum. – Der Fall, den Dr.  Stifft in der Leipziger Populären Zeitschrift für Homöopathie, Nr. 9 vom 1. Mai 1889, mitteilt, betraf einen jungen Mann, bei dem die Krankheit schon bedeutend vorgeschritten war: Genickstarre mit großer Hinfälligkeit und Abmagerung, Hitze, mit leichtem Frösteln abwechselnd, rasende Kopfschmerzen, Unruhe, vollständige Apathie, Erbrechen, Schmerzen bei Druck auf die Wirbelsäule, Kälte der Extremitäten und oberflächliche Atmung. Verordnung: Zincum cyanatum, 3stündlich 2 Gaben. – Die Heilung wurde lediglich durch Anwendung dieses Mittels innerhalb 6 Tagen erzielt. – Graf Werner von der Recke-Volmerstein sen., ein großer Verehrer der Homöopathie, empfiehlt nachdrücklich Atropinum sulfuricum D4 bis D6 in Streukügelchen, 20 bis 40 Kügelchen in ½ Obertasse voll Wasser aufgelöst, davon alle 10 Minuten 1 Teelöffel voll. –


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