Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Mensa Philosophica

Von einer Ärztin

Eine ehrbare Dame, die in Armut geraten war, bat einen Bischof um ein Almosen. Dieser aber tadelte sie und sagte zu ihr, sie solle etwas lernen, wodurch sie sich ernähren könne, damit sie nicht also wider die Scham betteln müsse. Er schlug ihr vor, sich doch mit der Medizin zu beschäftigen. »Herr«, erwiderte sie, »ich weiß nicht, wie ich das anfangen soll.« Da sprach der Bischof: »Wenn Ihr zu einem Kranken kommt, müßt Ihr Umschau halten, ob Ihr nicht in der Nähe des Bettes irgend etwas liegen seht, und dann müßte Ihr dem Kranken auf den Kopf zusagen, daß er zuviel davon gegessen habe.« Sie tat also und ward dadurch berühmt in der ganzen Stadt.

Lange Zeit danach geschah es, daß der Bischof an einem Geschwür in der Kehle erkrankte. Sie kam zu ihm und da sie um das Bett herum nichts fand als Kissen, sagte sie: »O Herr, Ihr habt zuviel Kissen gegessen.« Als der Bischof dies hörte, mußte er gewaltig lachen, worauf das Geschwür in der Kehle aufbrach, der Eiter sich durch den Mund ergoß und er geheilt war.

Nachdem er wieder vollkommen hergestellt war, ließ er die Ärztin rufen und wollte von ihr wissen, von wem sie die Kunst des Heilens gelernt habe. »Von einem gewissen hochwürdigen Bischof«, erwiderte die Frau. Da sagte der Bischof: »Von mir habt Ihr sie gelernt, und unter meiner Fürsorge sollt Ihr Euer Leben fortsetzen.«


 << zurück weiter >>