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Fabliau

Der zum Arzt geschlagene Bauer

Es war einmal ein Bauer, der sich durch Arbeit und Geiz ein nicht geringes Vermögen erworben hatte. Sein Boden war voll Korn, sein Keller voll Wein, sein Kasten voll Geld und seine Ställe voller Pferde und Ochsen. – Nicht alle, die es könnten, haben Lust zu heiraten. So war es auch mit unserem Bauer. Seine Entschuldigung, wenn seine Freunde und Nachbarn ihm hierüber Vorwürfe machten, war immer, daß ihm noch keine gute Frau vorgekommen sei. Endlich übernahmen diese es selbst, ihm eine zu suchen, mit der er in jeder Hinsicht zufrieden sein könnte.

Nun lebte in der Nachbarschaft ein alter Ritter, ein armer Mann und seit zehn Jahren Witwer. Dieser hatte eine einzige, wohlerzogene und sehr schöne Tochter. Sie war bereits, ohne daß sich jemand um sie beworben, weil es ihr an Mitteln fehlte, – ins mannbare Alter getreten. Jetzt erschienen die Freunde des Bauern, hielten für ihn bei ihrem Vater um sie an und bekamen ohne Umstände sein Jawort. Das Fräulein sträubte sich freilich nicht wenig gegen eine solche Mißheirat; aber sie mußte ihre Abneigung dem Willen ihres Vaters aufopfern.

Der Bauer war außer sich vor Freude über eine solche vornehme Verbindung und konnte die Hochzeit nicht genug beschleunigen. Kaum aber war sie vollzogen, als ihm allerlei Bedenken kamen, deren Ende war, daß er klärlich einsah, er habe sich sehr übel vorgesehen. – Was wird sie zu Hause anfangen, während er draußen auf dem Felde arbeitet? Kochen, Buttern und Käsen hat sie nicht gelernt. – Der Pfarrer, für den alle Tage Sonntag ist, wird ihr die Zeit vertreiben; er wird sie heute, er wird sie morgen besuchen; und dann sei Gott für die Ehre des armen Mannes! – Wie ist dem vorzubeugen? – »Richtig! – Eh' ich des Morgens aufs Feld gehe, will ich sie schlagen: sie wird darüber weinen und, so lange sie weint, an keine bösen Streiche denken. Des Abends mach' ich alles wieder gut: ich bitte sie um Vergebung – o, ich weiß schon, wie ich mich zu benehmen habe, um sie wieder zu besänftigen!«

Voll von diesem guten Vorsatze verlangt er sein Frühstück, tritt, mit dem letzten Bissen im Munde, zu ihr, versetzt ihr mit seiner schweren Hand ein paar Ohrfeigen und geht, ohne ein Wort zu sagen, aufs Feld.

Umsonst fragt sich das arme Weib, womit sie eine solche Behandlung verschuldet habe. »Ach mein Vater!« rief sie aus, »warum hast du mich einem so groben Manne preisgegeben? Hattest du denn kein Brot mehr für mich? Und warum war ich schwach genug, in diese Heirat zu willigen? – O meine Mutter, hätte der Tod mich deiner nicht beraubt, ich wäre jetzt nicht unglücklich. Was soll nun mit mir werden!« – Sie weinte und jammerte den ganzen Tag, wie es ihr Mann vorhergesehen hatte. Als er am Abend nach Hause kam, warf er sich ihr zu Füßen, schob sein unrechtes Verfahren dem Teufel in die Schuhe und beteuerte ihr seine Reue darüber auf eine so nachdrückliche Weise, daß sie nicht umhin konnte, ihm zu verzeihen. Man aß hierauf in bester Eintracht zu Abend und legte sich beisammen zu Bette.

Erfreut über die gute Wirkung seines Mittels, beschloß er, öfter Gebrauch davon zu machen. Gleich am Morgen beim Aufstehen suchte er Streit mit seiner Frau und schlug und verließ sie wie gestern. Während die gute Frau über ihr Unglück verzweifelte, kamen zwei königliche Kuriere auf weißen Pferden vor ihr Haus geritten, stiegen ab, grüßten sie im Namen des Königs und baten sie um einen Bissen zu essen. Sie setzte ihnen sogleich ihre ganze kalte Küche vor und fragte sie, als sie aufstanden, wohin denn die Reise gehen solle. – »Das weiß Gott«, erwiderten sie, »aber wir suchen einen geschickten Arzt und werden danach, wenn es sein muß, bis nach England jagen. Fräulein Adelheid, die Tochter des Königs, ist krank. Sie aß vor acht Tagen Fische, und da blieb ihr eine Gräte im Halse stecken. Alle Mühe, sich davon zu befreien, ist bis jetzt vergeblich gewesen. Sie kann weder essen noch schlafen und leidet große Schmerzen. Der König ist darüber trostlos, und stirbt sie, so grämt er sich zu Tode.« »O«, erwiderte die Frau, »wenn das ist, so braucht Ihr nicht weiter zu reisen. Ich weiß den Mann, der Euch Not ist, einen großen Physikus, in den Wassern erfahrener als Hippokrates.« – »Himmel, wär's möglich? Redet Ihr im Ernst?« – »In vollem Ernste. Aber der Arzt, den ich meine, ist ein Narr: er hat den wunderlichen Eigensinn, sein Talent nicht gebrauchen zu wollen. Ohne eine tüchtige Tracht Schläge zieht man kein Wort aus ihm.« – »O! wenn's nichts weiter ist, daran soll's nicht fehlen; da ist er in guten Händen! Sagt uns nur, wo wir ihn finden können.«

Die Frau bezeichnete ihnen hierauf das Feld, wo er eben pflügte und empfahl ihnen noch einmal das Mittel, wodurch er allein zu dem Erwünschten gebracht werden könne. – Sie dankten ihr, versahen sich mit Stöcken und ritten zu dem ihnen beschriebenen Felde.

Sie fanden den Bauern, grüßten ihn von Seiten des Königs und baten ihn, sie zu begleiten. »Und warum das?« – »Um die Tochter des Königs zu kurieren. Eure Geschicklichkeit ist uns bekannt, und wir haben den ausdrücklichen Auftrag, Euch aufzusuchen.« – »Liebe Herren, kann ich dem Herrn König irgend worin dienen, mit Freuden! Was aber das Kurieren anlangt, das geht nicht; denn Gott weiß, ich verstehe nicht das geringste davon.«

»Wie ich sehe«, flüsterte hier der eine Reiter dem andern ins Ohr, »kommen wir mit Komplimenten nicht aus, er will Schläge.« Sie stiegen hierauf beide ab und draschen auf den Bauern los. Dieser tobte und fluchte anfänglich über ein so gewalttätiges Verfahren, zog aber gelindere Seiten auf, sobald er einsah, daß sein Zorn hier am unrechten Orte sei, flehte er demütig um Gnade und versprach alles zu tun, was sie von ihm verlangten. Er mußte hierauf eine Stute ausspannen, sich drauf setzen und sie nach Hause begleiten.

Die baldige Rückkehr der Kuriere gab dem verzweifelten Monarchen wieder einige Hoffnung. Er ließ sie sogleich zu sich rufen. Sie erzählten ihm ihr Erlebnis und priesen ihm den wunderlichen Mann an, den sie mitgebracht hätten. – »Ein seltsamer Arzt fürwahr«, erwiderte der König; »indessen, da er einmal diese Laune hat, gut! Man lasse zwei Diener mit Stöcken kommen!« Er rief hierauf den Bauer vor sich und sprach zu ihm: »Meister, hier ist meine Tochter, heile sie!« – Der arme Teufel warf sich auf seine Knie, flehte um Gnade und schwor bei allen Heiligen im Paradiese, daß er kein Wort von der Physik verstehe.

Statt aller Antwort gab der König ein Zeichen. Sogleich traten die Diener mit Stöcken hervor und ließen einen Hagel von Prügeln auf den Rücken des Bauern niedergehen. »Gnade! Barmherzigkeit!« schrie dieser; »ich will sie kurieren, Herr König! ich will sie sogleich kurieren!«

Blaß und kraftlos saß das Fräulein vor ihm auf einem Armstuhle und zeigte ihm mit dem Finger den Sitz und die Ursache des Übels. – Überzeugt, daß er hier nur die Wahl habe, sie zu heilen oder sich totprügeln zu lassen, fing er an nachzusinnen, wie sich die Operation wohl bewerkstelligen lasse. Das Übel steckt im Schlunde, sprach er bei sich. Glückte es mir, sie lachen zu machen, vielleicht spränge die Gräte heraus. – Er beschloß den Versuch zu machen und bat den König, ein großes Feuer im Kamin anlegen und ihn mit der Prinzessin ein wenig allein zu lassen.

Sobald der Saal leer und das Feuer angezündet war, entkleidete er sich, streckte sich vor dem Feuer auf dem Boden hin und fing an, sich mit seinen schwarzen krummen Nägeln unter so drolligen Verdrehungen und Grimmassen zu kratzen und zu kitzeln, daß das Fräulein bei allen ihren Schmerzen nicht umhin konnte, in ein heftiges Lachen auszubrechen. – Die Gräte flog ihr aus dem Munde; der Bauer nahm sie auf, lief an die Tür und schrie: »Herr, hier ist sie! hier ist sie!«

»Ah!« rief der König entzückt, »du gibst mir das Leben wieder!« und bot dem Arzte Kleider und Röcke zur Belohnung an. Der Bauer aber dankte und verlangte nichts als die Erlaubnis, wieder nach Hause zu gehen, weil seine Wirtschaft ohne ihn nicht bestehen könne. Umsonst bat ihn der König, sein Freund und Meister (Leibarzt) zu werden; er blieb dabei, er müsse nach Hause: es wäre kein Brot da, er müsse Korn zur Mühle bringen. – Als aber auf einen zweiten Wink des Königs die beiden Diener mit den Stöcken erschienen, schrie er um Gnade und versprach, nicht nur einen Tag, sondern, wenn es sein müßte, sein ganzes Leben dazubleiben. Man führte ihn hierauf in ein Nebenzimmer, wo ihm seine Lumpen abgenommen, sein Haar und sein Bart geschoren und sein vierschrötiger Körper mit einem Scharlachrocke bekleidet wurde. Er tröstete sich indessen mit der Hoffnung, bald Gelegenheit zu finden, sich aus dem Staube zu machen.

Auf den Ruf von seiner glücklichen Kur kamen am folgenden Tage über achtzig Kranke aufs Schloß und lagen dem König an, sich zu ihren Gunsten bei dem Wunderdoktor zu verwenden. Der Monarch ließ ihn rufen und sprach: »Meister, ich empfehle dir diese Leute. Heile sie einen nach dem andern, daß ich sie los werde.«

»Herr«, versetzte der Bauer, »wenn Gott sich nicht ins Mittel legt, so kann ich nicht helfen; es sind ihrer zu viele.« – »Man rufe die Diener!« – Zitternd flehte der Bauer, seiner zu schonen und versprach alle Welt, bis auf die häßlichste Vettel, zu heilen. Er ersuchte hierauf den König von neuem, den Saal samt allen, die sich wohlbefänden, zu verlassen, ließ im Kamin ein höllisches Feuer machen und die Patienten sich herum lagern. »Freunde«, sprach er sodann, »so viele gesund, und zwar so geschwind gesund zu machen, ist keine Kleinigkeit. Es gibt da nur ein Mittel: der Kränkste komme hervor, ich werfe ihn ins Feuer, verbrenn' ihn zu Asche und gebe jedem ein Pulverchen davon. Das Mittel ist freilich etwas stark, aber auch sicher, und ich steh' Euch mit meinem Kopfe dafür, daß Ihr alle gesund sein werdet.«

Die Patienten sahen einander betroffen an; aber unter dem ganzen Haufen befand sich nicht ein schwindsüchtiger, gichtiger oder geschwollener, der um die ganze Normandie hätte zugeben mögen, daß seine Krankheit von Bedeutung sei.

Der Arzt wandte sich hierauf zu dem nächsten im Kreise: »Du, Freund, scheinst blaß und schwach; du wirst wohl der Kränkste sein.« – »Ich, Herr? Wahrhaftig nicht! Mir ist ganz wohl: ich befand mich nie besser.« – »Wie, du Narr? Du befindest dich wohl? Was willst du also hier?« – Und unser Doktor öffnet die Tür und wirft ihn hinaus.

Der König war draußen, um den Erfolg abzuwarten. Der erste kommt. – »Bist du genesen?«« – »Ja, Herr!« – Ein anderer folgt. – »Und du?« – »Ich bin gesund«. Kurz, kein einziger von der ganzen Invalidengesellschaft hatte Lust, sich pulverisieren zu lassen. Alle verließen den Saal und befanden sich wohl.

Mit großer Freude ging jetzt der König zum Doktor und bezeugte ihm sein Erstaunen, wie er in so kurzer Zeit so viele Wunder habe wirken können. »Herr«, versetzte der Bauer, »ich habe einen Zauber, der seinesgleichen sucht; der tut alles.« – Der Monarch überhäufte ihn mit Geschenken, gab ihm Geld und Pferde, versicherte ihn seiner Freundschaft und erlaubte ihm, zu seiner Frau zurückzukehren; jedoch unter der Bedingung, im Falle der Not, ohne seine Stockschwinger zu erwarten, wieder nach Hofe zu kommen. – Der Bauer versprach es und reiste nach Hause.

Jetzt brauchte er nicht mehr zu arbeiten, schlug seine Frau nicht mehr, liebte und wurde von ihr geliebt. So verdankte er der List seiner Frau und den Stöcken der königlichen Diener sein Glück und seinen Ruhm als Arzt, woran er in seinem Leben nicht gedacht hatte.


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