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Baldesar Castiglione

Der ungeduldige Bauer.

Ein Bauer, der einen so heftigen Schlag gegen ein Auge erhalten hatte, daß es vollständig aus seiner Höhle heraushing, beschloß bei Meister Serafino von Urbino Heilung zu suchen. Dieser untersuchte den Schaden, erkannte, daß eine Heilung unmöglich sei, gedachte aber dennoch, Geld aus ihm herauszuschlagen, wie der Stoß ihm das Auge herausgeschlagen hatte, und versprach ihm mit aller Bestimmtheit, ihn zu heilen. Und so forderte er jeden Tag Geld von ihm, indem er ihn versicherte, nach fünf oder sechs Tagen werde das Auge anfangen, seine Sehkraft wieder zu gewinnen. Der arme Bauer gab ihm das wenige, was er hatte; als er aber sah, daß sich die Sache in die Länge zog, begann er sich bei dem Arzte zu beschweren und sagte, er fühle nicht die geringste Besserung und könne mit dem Auge nicht mehr unterscheiden, als wenn er es überhaupt nicht mehr im Kopfe hätte. Als Meister Serafino schließlich sah, daß er kaum mehr viel aus ihm herausziehen konnte, sagte er: »Lieber Bruder, du mußt Geduld haben: du hast das Auge verloren, da ist nichts mehr zu machen; Gott gebe, daß du das andere nicht auch noch verlierst.«

Als der Bauer das hörte, hub er an zu weinen und laut zu klagen und sagte: »Meister, Ihr habt mich gepeinigt und mir mein Geld gestohlen; ich werde mich beim Herrn Herzog beschweren;« – und er vollführte ein gewaltiges Geschrei. Da geriet Meister Serafino in Zorn und schrie, um sich die Sache vom Halse zu schaffen: »Hah, du miserabler Schuft, du möchtest gar zwei Augen haben, wie die Stadtleute und Ehrenmänner? Geh zum Teufel!« – und diese Worte begleitete er mit einem solchen Wutausbruch, daß es dem armen Bauern die Stimme verschlug und er sich ganz still davonschlich, überzeugt, er sei im Unrecht.

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