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Die hundert alten Novellen

1.

Wie Meister Giordano von einem falschen Schüler betrogen wurde

Es war einmal ein Arzt, namens Giordano, der hatte einen falschen Schüler. Nun erkrankte ein Königssohn. Der Meister ging zu ihm und sah, daß er zu kurieren war. Um den Meister um sein Ansehen zu bringen, sagte der Schüler zu des Prinzen Vater: »Ich sehe, daß er gewiß sterben wird.« Nachdem er sich eine Weile mit dem Meister gestritten hatte, ließ er den Kranken den Mund öffnen und brachte mit dem kleinen Finger Gift auf die Zunge, über deren Aussehen er mit großer Kennerschaft sprach. Der Königssohn starb. Der Meister ging fort und verlor seinen Lohn, den der Schüler gewann. Da schwor der Meister, nur noch Esel zu kurieren und verlegte sich auf die Behandlung des Viehes und niedriger Tiere.

 

2.

Von Meister Taddeo von Bologna

Meister Taddeo fand, als er seinen Schülern Vorlesungen über Medizin hielt, daß, wer neun Tage hintereinander Tolläpfel esse, irrsinnig werden würde. Und er bewies es nach den Erfahrungen der Heilkunde. Ein Schüler, der dieses Kapitel hörte, nahm sich vor, sich von der Richtigkeit der Behauptung zu überzeugen. Er verschaffte sich Tolläpfel und aß sie, und nach neun Tagen erschien er vor dem Meister und sprach zu ihm: »Meister, das Kapitel von der Wirkung der Tolläpfel, das Ihr laset, ist nicht richtig. Ich habe nämlich die Probe darauf gemacht und bin nicht verrückt.« Dabei erhob er sich aber und zeigte ihm den Hintern. »Schreibt«, sagte der Meister zu seinen Schülern, »daß alles, was ich über den Tollapfel gesagt habe, durch Beweis erhärtet ist und benutzt den Fall zu einer neuen Erläuterung.«

 

3.

Wie ein Arzt aus Toulouse eine Nichte des Erzbischofs von Toulouse zum Weibe nahm

Ein Arzt aus Toulouse erwählte sich ein Edelfräulein aus dieser Stadt, die Nichte des Erzbischofs zur Gattin. Er führte sie heim. Nach zwei Monaten gab sie einem Mädchen das Leben. Der Arzt zeigte sich hierüber nicht erzürnt. Er tröstete seine Frau vielmehr und bewies ihr durch naturwissenschaftliche Gründe, daß das Mädchen sein rechtmäßiges Kind wohl sein könnte. Und mit diesen Worten und freundlichen Mienen bewirkte er, daß die Frau ihm nichts weismachen konnte. Während sie im Wochenbett lag, erwies er ihr viel Ehre, danach aber sprach er folgendermaßen zu ihr: »Madonna, ich habe Euch nach bestem Vermögen geehrt, tut mir jetzt bitte die Liebe und kehrt nunmehr in das Haus Eures Vaters zurück. Eure Tochter werde ich hoch in Ehren halten.«

Die Dinge entwickelten sich so, daß es dem Erzbischof zu Ohren kam, der Arzt habe seiner Nichte den Abschied gegeben. Er ließ ihn zu sich rufen, und da er ein großer Herr war, gebrauchte er ihm gegenüber sehr große, mit Hochmut und Drohungen untermischte Worte. Nachdem er genug geredet hatte, erwiderte ihm der Arzt und sprach: »Herr, ich habe Eure Nichte zum Weibe genommen im Glauben, mit meinem Reichtum meine Familie mit allem versorgen und ernähren zu können; und es war meine Absicht, jährlich ein Kind zu bekommen und nicht mehr. Nun hat Eure Nichte angefangen, nach 2 Monaten Kinder zur Welt zu bringen. Ich bin daher, wenn es so weitergeht, nicht so wohlhabend, daß ich sie ernähren könnte, und Euch würde es keine Ehre bringen, wenn Eure Familie an den Bettelstab käme. Ich bitte Euch daher, seid so gut und gebt sie einem Manne, der reicher ist als ich, damit Euch keine Unehre erwachse.«

 

4.

Hippokrates trifft eine schöne Vorsichtsmaßregel, um der Gefahr der übergroßen Freude zu steuern

Es geschieht häufig, daß das Herz einen Sprung macht und seinen Platz verläßt, und dies erfolgt aus zwei Gründen, nämlich entweder aus Freude oder aus Furcht, und oftmals ereignet sich's daß der Mensch alsbald dadurch stirbt, wie es um Hippokrates' willen geschah. Dieser, der von geringer Herkunft und arm war, verließ in seiner Jugend Vater und Mutter und suchte verschiedene Städte auf, um sich zu unterrichten. Der Vater und die Mutter weinten daher lange Zeit, und es dauerte wohl zwanzig Jahre, ehe sie Nachricht von ihm bekamen, währenddessen er viel Wissenschaft, Ehre und Vermögen erwarb. Dann kam ihm das Verlangen, heimzukehren und Vater und Mutter zu sehen. Und so ließ er alle seine Bücher und seinen Schatz aufladen und machte sich mit reicher Begleitung auf den Weg. Als er nun seiner Heimat nahe war, schickte er, wohl wissend, daß der Mensch vor übergroßer Freude sterben könne, einen Diener zu seinen Eltern, daß er ihnen sage, Hippokrates sei gesund und munter und im Besitze großer Reichtümer. Nur sei er gestern vom Pferde gefallen und habe sich ein Bein gebrochen. »Hüte dich aber«, schärfte er ihm ein, »und sage weder mehr noch weniger, außer daß sie mich morgen sehen würden.« Der Diener machte sich ungesäumt auf und fand den Vater in einem Garten arbeiten. Die Mutter aber war nicht dabei, dennoch richtete er dem Vater die Botschaft aus. Während der Diener noch berichtete, was ihm aufgetragen worden war, ging ein anderer Bauer, der dabei stand, sogleich zur Mutter und erzählte ihr den Inhalt der Botschaft, nur verschwieg er ihr, daß Hippokrates sich das Bein gebrochen habe. Als die Mutter diese Nachricht hörte und daran dachte, daß sie gar so lange keine Kunde von ihm gehabt habe und sich vorstellte, wie er so plötzlich so reich an Wissen, Verstand und Schätzen ankam, da machte ihr das Herz vor übergroßer Freude einen solchen Satz, daß sie wenige Augenblicke darauf tot umsank.

Als Hippokrates eingetroffen war, und die Mutter tot fand, empfand er darob bitteren Schmerz, und als er nachforschte, auf welche Weise die Nachricht von seiner Rückkehr erzählt worden sei, fand er, daß man nicht gesagt hatte, er habe sich das Bein gebrochen. Da sagte er im Beisein aller, er habe dem Diener aufgetragen, er solle berichten, daß er sich das Bein gebrochen habe, da er fürchtete, es könnte das eintreten, was auch wirklich eingetreten sei.


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