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Don Juan Manuel

1.

Was sich mit einem Kranken zugetragen

Einst sprach der Graf Lucanor also zu seinem Rate Patronius: »Wisset, Patronius, bei allem Segen Gottes, der mir zuteil geworden ist, befinde ich mich doch gegenwärtig in so empfindlicher Geldnot, daß ich, obgleich es mir härter vorkommt als der Tod, zu meinem Leidwesen entweder eines meiner Länder verkaufen oder sonst etwas nicht minder Nachteiliges vornehmen muß, um nur aus dieser peinlichen Sorge und Verlegenheit zu kommen. Denn viele, die es recht gut entbehren könnten, verlangten soeben Geld von mir, was mir in diesem Augenblick so teuer zu stehen kommt. Daher bitte ich Euch, da Gott Euch so guten Verstand verliehen, sagt mir, was ich tun soll.«

»Herr Graf Lucanor«, erwiderte Patronius, »mir scheint, es geht Euch mit diesen Leuten, wie es einmal einem Kranken erging.« »Und wie war das?« fragte der Graf. »Ein Mann«, sagte Petronius, »war so krank, daß die Ärzte erklärten, er könne durchaus nicht anders gesund werden, als wenn sie ihm eine Öffnung in der Seite machten und die Leber herausnähmen, um sie mit den erforderlichen Arzneien zu waschen und von den Krankheitsstoffen zu reinigen. Nachdem aber nun der Kranke diesen Schmerz erlitten und der Arzt soeben die Leber in der Hand hielt, bat ihn ein Danebenstehender, ihm doch ein Stück von der Leber für seine Katze zu geben.«

»Und wollt Ihr, Herr Graf Lucanor, Euch in so großen Schaden setzen, um Geld aufzubringen und dahin zu geben, wo es nicht gebraucht wird, so sage ich Euch: Ihr mögt tun, wie's Euch beliebt, mit meiner Zustimmung aber werdet Ihr's nimmer tun.« Des freute sich der Graf gar sehr, sah sich fürder gut vor und fuhr wohl dabei.

 

2.

Welchen Rat Patronius dem Grafen Lucanor erteilte, als dieser sich Ruhm erwerben wollte, wobei er das Beispiel von einem kranken Philosophen entnahm

Einmal sagte der Graf Lucanor zu seinem Rate: Patronius eines von den Gütern der Welt, die der Mensch am eifrigsten erstreben und vor jedem Flecken hüten soll, ist der gute Name; und da ich weiß, daß mir in dieser wie in jeder andern Sache niemand besser raten kann, als Ihr, so bitte ich Euch um Eure Meinung, auf welche Weise ich meinen Ruf am besten verbreiten und bewahren könnte.«

»Herr Graf Lucanor, was Ihr mir da sagt, erfreut mich sehr; damit Ihr jedoch hierin um so sicherer zum Ziele kommt, wünschte ich, ihr vernähmet, was einmal einem alten Philosophen begegnet ist.« »Und was war das?« fragte der Graf.

»Herr Graf«, sagte Patronius, »in einer Stadt des Königreichs Marokko wohnte ein großer Philosoph, der litt an einer Krankheit, die ihn zuweilen nötigte, sich des überflüssigen wilden Fleisches zu entledigen, weil dies aber nicht ohne große Beschwerde und Schmerzen geschehen konnte, so zögerte er immer lange Zeit, ehe er sich dazu entschloß. Da ihm indes die Ärzte rieten, es jedesmal, wenn er das Bedürfnis fühle, ohne Verzug vorzunehmen, indem sonst der entzündete und verhärtete Eiter seiner Gesundheit sehr nachteilig werden könnte, so befolgte er fortan die Anordnung der Ärzte und befand sich wohl dabei.

Als er nun eines Tages durch eine Straße der Stadt ging, in welcher er wohnte und wo er viele Schüler hatte, kam ihm wieder das Bedürfnis an, sich von jenen Krankheitsstoffen zu befreien, und er trat deshalb in ein Seitengäßchen hinein. Doch sein Unstern wollte, daß eben dieses Gäßchen von öffentlichen Dirnen bewohnt war, wie sie in Städten vom Verderben ihrer Seelen und der Schande ihrer Leiber zu leben pflegen, wovon jedoch der Philosoph nicht das mindeste wußte. Das half ihm aber wenig, der Schein war einmal wider ihn, und da man ihn dort herauskommen sah, meinten die Leute, er sei um ganz anderer Dinge willen, die gar wenig zu seinem bisherigen Wandel paßten, dort gewesen. Denn das Gerede der Welt ist immer schlimmer und größer, wenn irgend ein tugendhafter und hochgestellter Mann etwas auch noch so unbedeutend Ungebührliches begeht, als wenn es andere betrifft, von denen man schon viel Ärgeres gewohnt ist. So wurde denn auch hier viel hin und her geschwatzt, daß ein so hochgeachteter und alter Philosoph jenen Ort betreten, der ihm an Seele, Leib und Ruf so verderblich sei. Kaum war er daher nach Hause zurückgekehrt, so kamen auch schon seine Schüler in großem Herzeleid und Kummer zu ihm und sagten, was er doch da angestellt, sich und ihnen solche Schande zu machen und seinen ganzen guten Ruf zugrunde zu richten, den er doch bisher sorgfältiger als irgendein Mensch auf Erden bewahrt habe. Bei diesen Worten fragte der Philosoph ganz erstaunt: was sie denn damit meinten und wann und wo er denn etwas Schlechtes getan hätte? Sie erwiderten aber, wie er nur so reden könne, zu seinem und ihrem Unglück gäbe es ja keinen Menschen in der ganzen Stadt, der nicht davon spräche, daß er an einem gewissen Orte gewesen, wo gewisse saubere Weiber wohnten. Da der Philosoph dies vernommen, ärgerte er sich nicht wenig, sagte ihnen jedoch, sie sollten es sich nicht sonderlich zu Herzen nehmen, denn von heute über acht Tagen wolle er ihnen darüber Auskunft geben. Darauf ging er unverweilt an seine Studien und verfaßte ein kleines, aber sehr gutes und nützliches Büchlein, worin er unter andern Dingen in Form eines Gesprächs mit zwei Schülern von Glück und Unglück handelt und also sagt: »Meine Lieben, mit Glück und Unglück begibt es sich wohl, daß man es manchmal sucht und findet, und ein andermal es findet, ohne es zu suchen. Gesucht und gefunden ist es, wenn jemandem aus seiner guten Handlung etwas Gutes, oder aus seiner Übeltat etwas Übles erwächst, sintemal er in beiden Fällen Glück oder Unglück selbst veranlaßt hat. Ungesucht gefunden dagegen ist es, wenn ein Mensch gar nichts dafür tut und ihm dennoch entweder irgendein Vorteil zufällt (wie wenn einer durch ein Dorf ginge und einen großen Schatz fände) oder umgekehrt ihm ebenfalls ohne sein Zutun etwas Schlimmes begegnete. Zum Beispiel, wenn jemand auf der Straße wäre und ein anderer würfe einen Stein nach einem Vogel und träfe damit ihn an den Kopf, so wäre dies zweifelsohne ein ungesucht gefundenes Unglück, dieweil er nichts gesucht und getan hat, auf daß es ihn träfe. Hiernach aber, meine Lieben, sind dem gesuchten und gefundenen Glück oder Unglück zwei Punkte wohl zu beobachten, nämlich erstens: daß der Mensch durch gute Werke Gutes, durch böse Werke Böses erntet, und zweitens, daß Gott einem jeden nach seinen Taten vergilt. Bei dem ungesucht gefundenen Glück oder Unglück dagegen kommt wiederum folgendes in Betrachtung: es soll der Mensch den üblen Schein, wodurch er in Unglück und schlechte Nachrede kommen könnte, nach Kräften zu vermeiden suchen, demnächst aber Gott inständigst bitten, daß ihm, wenn er sich selbst, so gut er kann, in acht genommen, nicht irgendein Unglück widerfahre, wie es mir an jenem Tage widerfahren, da ich, um etwas für meine Gesundheit dringend Nötiges zu verrichten, in ein Gäßchen trat, wo unglücklicherweise jenes Gesindel wohnt, so daß ich, obgleich ohne Schuld und Makel, dennoch mit Schimpf bestanden ...«


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