Joseph Smith Fletcher
Kampf um das Erbe
Joseph Smith Fletcher

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35. Kapitel.

Der Haftbefehl.

Davidge und Triffitt schwiegen, während sie im Fahrstuhl abwärts fuhren. Aber als sie dann zum Ausgang kamen, stieß der Inspektor den Zeitungsmann wieder an.

»Vor der Tür werden Sie einige kräftige Herren in Smoking und Frack sehen«, sagte er. »Man könnte sie für Hausbewohner halten, die unten noch eine Zigarre oder Zigarette rauchen wollen. Aber es sind meine Leute. Nehmen Sie keine Notiz von Ihnen – Ihr Freund Carver ist auch draußen. Gehen Sie zu ihm, und warten Sie.«

Triffitt wußte nicht recht, was das alles bedeuten sollte, und ging zu Carver hinüber, der in der Nähe des Hauseinganges stand.

»Detektive!« flüsterte ihm dieser zu. »Haben Sie etwas Neues gehört?«

»Massenhaft!«

»Aber sehen Sie, da kommen Selwood und der Professor.«

Die beiden kamen eben durch die Haustür und stiegen die paar Stufen zum Gehsteig hinunter. Davidge rief sie an und nahm sie beiseite.

»Was war oben los?« fragte Carver. »War es wirklich interessant?«

Triffitt lenkte die Aufmerksamkeit seines Kollegen auf die Haustür und brachte ihn zum Schweigen.

Burchill kam aus der Tür und dicht hinter ihm Mr. Dimambro. Burchill wirbelte in bester Laune seinen Spazierstock und schien Cox, Selwood und Davidge nicht zu bemerken. Als er aber an der Gruppe der Polizeibeamten vorbeikam, wandten sich diese ihm plötzlich zu. Harter Stahl blitzte im Laternenlicht auf, und ehe Burchill wußte, wie ihm geschah, hatte er Handschellen an den Gelenken.

Als er jetzt wütend aufschaute, sah er Cox und Selwood.

»Verdammte Lügner!« zischte er durch die Zähne. »Sie hatten mir doch freies Geleit zugesagt! Es war verabredet, daß ich kommen und gehen konnte, ohne daß Sie die Polizei auf mich hetzen wollten, Sie Hunde!«

»Sie haben aber die Rechnung ohne mich gemacht!« sagte Inspektor Davidge und trat vor. »Sie scheinen tatsächlich vergessen zu haben, daß ein Haftbefehl wegen einer alten Anklage gegen Sie schwebt. Und wenn Sie auch Mr. Jacob Herapath nicht ermordet haben, so wird Ihnen doch die andere Sache nicht geschenkt. Ich habe noch einen zweiten Verhaftungsbefehl gegen Sie in der Tasche. Die Anklage wird Ihnen vorgelesen, sobald wir auf der Polizeistation sind.«

»Was soll denn das bedeuten? Welche Anklage haben Sie denn gegen mich?« rief Burchill wild.

»Ich sollte meinen, daß Sie das ebensogut wüßten wie ich. Diesmal haben Sie sich viel weniger schlau benommen als sonst. Vorhin erzählten Sie selbst von Ihrem Abkommen mit Barthorpe Herapath, das Testament des Ermordeten außer Kraft setzen zu wollen. Das wird nach englischem Gesetz schwer bestraft. Es ist doch immer gut, etwas in Hinterhand zu haben, wenn man mit so gerissenen Menschen zu tun hat. Bringen Sie ihn fort, durchsuchen Sie ihn, und legen Sie alles für mich bereit, wenn ich komme. Besonders einen Scheck über zehntausend Pfund, den Sie in seiner Brusttasche finden.«

Als die Polizeibeamten Burchill in einem Auto abtransportiert hatten, ließ Davidge Cox, Selwood und die beiden Zeitungsleute vorausgehen und wandte sich selbst an Dimambro, der in größter Erregung noch auf der Treppe stand und nicht wußte, was er nun beginnen sollte. Der Inspektor sagte ihm deutlich die Meinung, und der Italiener entfernte sich rasch mit schuldbewußtem Gesicht. Dann trat Mr. Davidge im Vollbewußtsein seines großen Erfolges wieder zu den anderen.

»Morgen früh muß es das Erste sein, daß Sie den Scheck auf der Bank anhalten«, sagte er. »Das ist natürlich nur Formsache, denn ich bekomme ja das Original gleich. Bei Mrs. Engledew wollte ich weiter nichts darüber sagen. Aber ich muß Ihnen noch erzählen, daß diese Dame mit uns zusammengearbeitet hat. Sie hat Burchill und Dimambro glänzend in die Falle gelockt. Wirklich eine kluge Frau! Wir erfuhren ein paar Stunden nach dem Morde von ihren Diamanten, und zuerst dachte ich, daß Barthorpe sie gestohlen hätte. Darin irrte ich mich allerdings. Wir haben die Sache vollkommen geheimgehalten, bis Burchill und Dimambro wieder auf der Szene erschienen. Den Mörder haben wir allerdings nicht durch diese Diamanten gefunden.«

»Wie haben Sie ihn denn ausfindig gemacht?« fragte Selwood begierig. »Niemand von uns hatte diesen Mann im Verdacht!«

»Ganz recht«, entgegnete Davidge mit einem grimmigen Lachen. »Wirklich ein liebenswürdiger ruhiger Mann, von dem man nicht annehmen sollte, daß er noch an den Galgen kommen würde. Aber das ist oft der Fall. Er hat alles eingestanden und ist vollständig zusammengebrochen, als wir ihn verhafteten. Ich hatte sein Geständnis schon zu Protokoll genommen, ehe ich zu Mrs. Engledew ging. Aber ich will Ihnen noch erzählen, wie wir auf seine Spur kamen. Vor zwei bis drei Tagen kam ein bescheidener Mann, der ein kleines Anwesen in Fullham besitzt, nach Scotland Yard und erzählte mir, daß er sich viel mit dem Mord an Mr. Herapath beschäftigt habe und mir etwas mitteilen müsse. Er ist nicht so flink und schlagfertig wie die Londoner, und deshalb dauerte es bei ihm etwas länger, bevor er auf den richtigen Gedanken kam. Er erzählte, Mr. Jacob Herapath wollte vor einiger Zeit ein Stück Land von ihm kaufen, und am 12. November suchte dieser Mann Mr. Herapath in seinem Büro auf. Sie wurden schließlich handelseins auf einen Preis von fünftausend Pfund, und Herapath bestellte ihn auf den nächsten Morgen um zehn Uhr. Dann sollte er die Kaufsumme bar in Banknoten erhalten. Als der Mann am nächsten Morgen kam, hörte er, was sich ereignet hatte, und wußte, daß der Kaufabschluß dadurch hinfällig geworden war. Erst einige Zeit später fiel ihm eine Bemerkung ein, die Jacob Herapath während der Verhandlungen gemacht hatte. James Frankton war während des Kaufabschlusses im Büro zugegen gewesen, und als die Zahlungsbedingungen vereinbart wurden, hatte sich Herapath an ihn gewandt. ›Ich hole das Geld heute nachmittag von der Bank, Frankton, und wenn ich es Ihnen nicht in der Zwischenzeit geben sollte, finden Sie die Summe morgen in der linken Schublade meines Schreibtisches, damit Sie diesen Herrn auszahlen können.‹ Das waren seine Worte gewesen. Dieser Besitzer aus Fulham dachte nun öfter daran, ob Jacob Herapath das Geld wohl von der Bank geholt hatte. Frankton hatte ihm am nächsten Morgen gesagt, daß er nichts erhalten hätte, und in der Sache auch nichts mehr tun könnte, da sein Chef inzwischen verstorben wäre. Im Besitz dieser Nachrichten begann ich nun mit meinen Nachforschungen und fand auch sehr rasch einige Anhaltspunkte. Ich konnte eine Hundertpfundnote nachweisen, die Frankton erst kürzlich eingewechselt hatte, und gestern morgen stellte ich fest, daß sie zu den fünfzig Banknoten gehörte, die Jacob Herapath am Nachmittag des 12. November auf der Bank erhalten hatte. Daraufhin ließ ich Frankton gestern den ganzen Tag beobachten und verhaftete ihn heute abend.«

»Und was hat er denn gestanden?« fragte Selwood.

»Jacob Herapath hatte ihn für halb zwölf bestellt. Frankton kam aber zu spät und fand Mr. Herapath vor seinem Schreibtisch sitzen, als er in das Zimmer eintrat. Links vor ihm lag ein Paket Banknoten, rechts Perlen und Brillanten. Frankton ging es pekuniär schlecht, da er in die Hände von Wucherern gefallen war. Da er allein wohnte, trug er abends immer einen Revolver bei sich. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, schoß Mr. Herapath nieder, nahm das Geld und die Wertsachen an sich und ging in seine Wohnung. Am nächsten Morgen heuchelte er dann Entsetzen über die schreckliche Tat, als er ins Büro kam. Es war ein gemeiner Raubmord, und der Mann kommt natürlich an den Galgen!« –

»Wer hätte gedacht, daß sich die Sache so überraschend und einfach lösen würde«, meinte Professor Cox, als er mit Mr. Selwood eine halbe Stunde später zu dem Hause am Portman Square kam. »Der Fall wäre also erledigt. Barthorpe und Burchill aber –«

»Ihre Schuld an versuchter Testamentsunterdrückung liegt doch vollständig klar. Ist das nicht ein schweres Vergehen?«

»Ja, in diesem kapitalistischen Lande wird die Sache sehr schwer bestraft. Wahrscheinlich bekommen die beiden eine längere Gefängnisstrafe. Also nun Gute Nacht, mein lieber Selwood!«

»Wollen Sie denn nicht ins Haus kommen?« fragte Selwood, als er die Haustür aufschloß.

Der Professor klopfte ihm auf die Schulter.

»Ich glaube, Peggie will den Bericht lieber von Ihnen allein hören«, sagte er und lächelte verschmitzt.

 


 


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