Joseph Smith Fletcher
Kampf um das Erbe
Joseph Smith Fletcher

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34. Kapitel.

Inspektor Davidges Trumpfkarte.

Burchill machte wieder eine Pause, um dieser Ankündigung auch die nötige Wirkung zu geben.

»Eine bedeutsame Mitteilung«, meinte Davidge leutselig. »Sie kannten ihn wirklich?«

»Besser als ich Sie kenne«, entgegnete Burchill, dem der Ton des Inspektors nicht behagte. »Es überraschte mich auch nicht, daß ich ihn zu der Zeit dort traf.«

»Ich bin an Ihren Ausführungen sehr interessiert. Was hat denn dieser Mr. X. dort getan?« fragte Davidge.

»Mr. X. kam schnell aus der Tür heraus, ging die Seitenstraße ein wenig entlang, machte aber wieder kehrt, wandte sich zur Wageneinfahrt und eilte in der entgegengesetzten Richtung fort. Er wandte sich so schnell um, daß er bestimmt jemand kommen sah, den er nicht treffen wollte.«

»Entschuldigen Sie die Unterbrechung«, mischte sich Mr. Cox ein. »Wie kam es denn, daß er Sie nicht gesehen hat?«

»Ich hielt mich auf der entgegengesetzten Seite im Schatten und trat außerdem in einen Torweg, sobald ich ihn sah. Ich blieb auch dort, um zu sehen, wer der andere war. Und tatsächlich kam kurz darauf Barthorpe Herapath.«

»Ganz recht«, sagte Davidge leise.

»Barthorpe Herapath bog in den Fahrweg ein und ging dann in das Büro. Ich nahm an, daß er von seinem Onkel bestellt war, denn es war für Jacob Herapath nichts Ungewöhnliches, eine Besprechung auf Mitternacht anzusetzen. Ich dachte mir, daß ich nun doch keine Gelegenheit mehr haben würde, Mr. Herapath allein zu sehen, und ging nach Hause. Ich blieb noch einige Zeit auf und schlief infolgedessen am nächsten Tage lange. Als Barthorpe Herapath um drei Uhr nachmittags zu mir kam, war ich eben aufgestanden, und da ich auf keine Zeitung abonniert bin, erfuhr ich erst durch ihn von dem Morde an Mr. Herapath. Das ist die volle Wahrheit, und ich will die Frage vorwegnehmen, die Sie an mich richten werden. Warum habe ich Barthorpe nicht sofort gesagt, was ich in der Nacht vorher gesehen hatte?«

»Ja, warum haben Sie das nicht getan?« fragte Davidge.

»Sehr einfach. Barthorpe Herapath sprach sofort von dem Testament, und ich erkannte, daß die für den Augenblick wichtige Sache nicht die Ermordung, sondern die letztwillige Verfügung über das ungeheure Vermögen von Jacob Herapath war.«

»Sehr klug gedacht«, bemerkte der Inspektor. »Wirklich ungewöhnlich klug!«

»Nun möchte ich Sie, Professor Cox, und Sie, Mr. Selwood, bitten, mir vollständig Glauben zu schenken. Bis zu der gemeinsamen Konferenz in dem Büro von Mr. Halfpenny war ich der festen Meinung, daß Mr. Tertius in Wirklichkeit John Wynne war. Ich werde Ihnen auch mitteilen, warum ich davon überzeugt war. Während meiner Tätigkeit gab Mr. Herapath mir einmal den Auftrag, einen Kasten mit alten Papieren zu sichten und aufzuräumen. Dabei entdeckte ich einen Zeitungsbericht über die Gerichtssitzung, in der Arthur John Wynne wegen verschiedener Fälschungen abgeurteilt wurde. In dem Artikel war auch der Name Jacob Herapath erwähnt. Ich stellte privatim Nachforschungen an und kam zu dem Schluß, daß Tertius und Wynne ein und dieselbe Person seien. Als Barthorpe nun von dem Testament erzählte und sagte, daß er es nicht anerkennen wollte, sah ich, auf welche Weise man die letztwillige Verfügung von Jacob Herapath für nichtig erklären konnte, und handelte dementsprechend. Barthorpe und ich kamen also zu der Vereinbarung, mit allen Mitteln gegen das Testament vorzugehen. Das ist verständlich. Jeder muß leben, und abgesehen davon versprach Barthorpe, Miß Wynne mit einer größeren Summe abzufinden. Wie die Sache weiter verlief, wissen Sie alle. Und nun möchte ich an Inspektor Davidge eine Frage richten. Ich nehme an, daß der einzige Anhaltspunkt, der mich in der Mordsache belasten könnte, das Schriftstück war, in welchem Barthorpe Herapath mir zehn Prozent versprach? Sie fanden es bei der Durchsuchung meiner Wohnung. Außerdem natürlich die Tatsache, daß Barthorpe und ich das Testament für nichtig erklären wollten. Es ist doch nun alles aufgeklärt, nicht wahr?«

Davidge bemühte sich, vollkommen gleichgültig zu erscheinen.

»Sie können es so ausdrücken, wenn Sie wollen. Sie sind ja ein smarter, kluger Kopf, Burchill, und wissen genau, was das Gesetz über Beihilfe, Begünstigung und so weiter sagt. Es ist zur Mittäterschaft nicht notwendig, daß man selbst bei dem Morde zugegen ist. Es gibt auch noch den Begriff von Mittäterschaft nach dem Verbrechen. Wir wollen nicht weiter darüber sprechen!«

Professor Cox, der über Burchills Benehmen aufgebracht war und dies auch nicht verbarg, mischte sich jetzt in das Gespräch.

»Wollen Sie uns denn nicht den Rest noch erzählen?« fragte er scharf.

»Alles der Reihe nach. Ich komme jetzt zu dem Zeitpunkt, als Mr. Davidge Barthorpe Herapath verhaftete. Mir selbst gelang es damals, zu entkommen. Was ich in der Zwischenzeit tat, brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen. Nur soviel möchte ich bemerken, daß ich mich nicht versteckte, sondern mich frei in der Stadt bewegte. Vor ein paar Tagen kam ich in Berührung mit Mr. Dimambro, der gerade nach England zurückgekehrt war. Wie ich schon vorher erwähnte, kannte ich ihn von meiner früheren Tätigkeit her. Als ich ihn traf, wollte er gerade zur Polizei gehen und alles mitteilen, was er wußte. Ich hielt ihn davon ab, und er erzählte anstatt dessen mir seine Geschichte. Ich weihte ihn in das ein, was ich erlebt hatte, und die Folge davon war eine Unterredung mit Mrs. Engledew, in der wir hauptsächlich über die Diamanten sprachen, die sie Jacob Herapath anvertraut hatte.«

»Ich möchte Sie etwas fragen, Mrs. Engledew«, unterbrach Cox Burchills Bericht. »Warum sind Sie nicht sofort zur Polizei gegangen und haben den Verlust Ihrer Brillanten gemeldet, sobald Sie von dem Morde hörten?«

Mrs. Engledew geriet in Verwirrung, und Inspektor Davidge sah den Professor mißbilligend an.

»An Ihrer Stelle würde ich diese Sache nicht weiter erörtern«, sagte er. »Damen denken über alle diese Dinge ganz anders. Wir wollen doch erst einmal den interessanten Bericht von Mr. Burchill zu Ende hören.«

»Ich bin beim letzten Kapitel angekommen«, begann Burchill wieder, »und habe nicht mehr viel zu sagen. Ich traf mit Mrs. Engledew gewisse Verabredungen, und gerade als wir von ihrer Wohnung zurückkehrten, erfuhren wir neue Tatsachen, die weitere Aufklärung brachten. Als Dimambro die Perlen für Jacob Herapath suchte, kaufte er auch einige von einem bekannten Spezialisten in Amsterdam. Gestern erhielt nun Dimambro einen Brief von diesem Herrn, in dem er ihm mitteilte, daß ihm ein kleines Paket solcher Perlen aus London zum Kauf angeboten worden sei, und gab Namen und Adresse des Mannes an, den wir einstweilen Mr. X. nennen. So faßten denn Dimambro und ich einen Plan und wandten uns durch Mrs. Engledew an Miß Wynne.«

»Soviel ich weiß, verlangten Sie einen Scheck von ihr?« unterbrach ihn Davidge trocken.

»Wir haben das Recht, Bezahlung für unsere Detektivarbeit zu verlangen, wenn wir auch gewöhnlich nicht auf diesem Gebiet tätig sind«, entgegnete Burchill. »Ich bin mit meiner Erzählung nun zu Ende gekommen und habe nur noch zu sagen, wer dieser Mr. X. in Wirklichkeit ist. Er hat nicht die geringste Ahnung, daß er unter Verdacht steht, und wenn Sie und Ihre Leute in seine Wohnung kommen, die hier ganz in der Nähe liegt, finden Sie ihn wahrscheinlich zu Hause, wo er in aller Ruhe sein Abendbrot verzehrt. Es ist –«

Davidge erhob sich plötzlich von seinem Stuhl und lachte schadenfroh.

»Geben Sie sich weiter keine Mühe, Burchill. Ich danke Ihnen für Ihre schöne Erzählung. Es war schon immer meine Gewohnheit, die Leute sprechen zu lassen, bis sie sich die Zunge müde geredet haben. Ich weiß genau so gut wie Sie, wer Jacob Herapath ermordet hat, und wer dieser Mr. X. ist.«

Die anderen horchten erstaunt auf.

»Jacob Herapath wurde von – seinem Bürovorsteher James Frankton erschossen und beraubt«, fuhr der Inspektor fort. »Und wenn Burchill eben sagte, daß er ruhig sein Abendbrot verspeist, so geschieht das in einer Polizeizelle, denn ich habe ihn heute abend um sieben Uhr verhaftet, ohne die Hilfe von Mr. Burchill nötig zu haben. Ich bin wirklich nicht so unintelligent, wie ich aussehen mag. Und wenn es auch ein grober Fehler war, daß ich Sie entkommen ließ, so habe ich doch nun den richtigen Täter gefaßt. Mrs. Engledew«, wandte er sich mit einer etwas linkischen Verbeugung an die Dame, »was ich sagen wollte, habe ich gesagt. Ich möchte mich jetzt verabschieden und wünsche Ihnen allen Gute Nacht. Mr. Triffitt, wir wollen gehen.«

Draußen packte Davidge den jungen Reporter am Arm und lachte selbstzufrieden, als sie zum Fahrstuhl gingen.

»Das war die erste Überraschung. Warten Sie unten auf der Straße, und Sie erleben die zweite. Nur wird es unten etwas lebhafter zugehen als oben.«

 


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