Joseph Smith Fletcher
Kampf um das Erbe
Joseph Smith Fletcher

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15. Kapitel.

Junge Kräfte.

Carver hatte aufmerksam zugehört, schob jetzt seinen Teller zurück und steckte sich eine Zigarette an.

»Ich wäre wahrscheinlich an den Galgen gekommen, wenn ich das gewesen wäre!«

»Die Zuhörer bei der Verhandlung waren auch fest von seiner Schuld überzeugt. Die Szene, die sich nachher vor dem Gerichtsgebäude abspielte, werde ich nie vergessen. Es hatten sich viele Leute, besonders Frauen, angesammelt, und als das Urteil verkündet wurde, gab es einen ungeheuren Tumult. Alle glaubten, daß er seine Frau umgebracht hatte, und wollten ihn gehängt sehen. Sicher hätten sie ihn gelyncht, wenn er in ihre Gewalt gekommen wäre. Und trotzdem hatte er die Kühnheit, das Gerichtsgebäude durch den vorderen Haupteingang zu verlassen. Aber sobald er sich zeigte, wurde er mit Steinen, Ziegelstücken und Schmutz beworfen, und die Polizei mußte sofort einschreiten. Sie holte ihn in das Gerichtsgebäude zurück und brachte ihn heimlich aus der Stadt. Ich glaube bestimmt, daß er sich nie wieder in jener Gegend hat sehen lassen.«

»Und was wurde aus dem Testament? Hat er das Geld bekommen?«

»Ja, damit hatte er Erfolg. Er übergab die Sache einem tüchtigen Rechtsanwalt, der das Haus und alle anderen Liegenschaften verkaufte und zu Geld machte. Es kam zwar nicht allzuviel heraus, aber immerhin waren es einige tausend Pfund und genug, sich anderweitig eine Existenz damit zu gründen.«

»Sie wissen ganz genau, daß es derselbe Mann ist?«

»Totensicher! Den könnte ich nicht verwechseln, obwohl die Geschichte neun Jahre zurückliegt. Ich war zwar erst sechzehn, aber dieser Eindruck ist mir unvergeßlich. Ich sehe sein theatralisches Auftreten noch vor mir. Schon oft habe ich daran gedacht, was wohl aus ihm geworden ist. Was sagen Sie nun dazu, Carver?«

»Jedenfalls ist dieser Benson eine geheimnisvolle Persönlichkeit. Es ist doch zu auffällig, daß gerade er die Sekretärstelle bei Herapath hatte. Haben Sie eigentlich schon einen Plan, wie Sie weiterkommen können?«

»Ja«, entgegnete Triffitt zuversichtlich. »Ich muß die Sache so weit klären, daß ich zu unserem Chef gehen und ihm sagen kann, ich könnte die Polizei zum Handeln zwingen. Ich habe zwar von unserem Nachrichtenredakteur heute einen Rüffel bekommen, aber das soll mich nicht hindern. Wenn ich den Bericht über das Begräbnis gemacht habe, gehe ich zu unserem Alten, und Sie können sicher sein, daß er mich anhört.«

»Ich dachte, der ließe sich überhaupt nicht sprechen, der wäre unnahbar.«

»Im allgemeinen stimmt das auch, aber ich spreche ihn trotzdem. Und Sie machen mit, Carver. Nicht für Ihre Zeitung, sondern für sich selbst. Arbeiten Sie mit mir zusammen, und wenn wir Erfolg haben, verspreche ich Ihnen einen Posten in der Redaktion des ›Argus‹, bei dem Sie doppelt soviel verdienen wie jetzt. Das sind keine leeren Phrasen – ich weiß, was ich sage.«

»Großartig! Ich bin dabei. Was soll ich denn zuerst unternehmen?«

»Zweierlei. Erstens besorgen Sie mir unter der Hand die Adresse dieses Burchill oder Benson. Sie kennen doch verschiedene Leute vom ›Magnet‹, die sie Ihnen verraten können. Erfinden Sie irgend etwas, sagen Sie, daß Sie Burchill wegen eines Stückes um Rat fragen wollen, das Sie geschrieben haben. Sie hätten eine so hohe Meinung von seinen Kritiken, daß Sie unbedingt sein Urteil über Ihr Werk hören wollten.«

»Gut, das mache ich. Als ob Sie es wüßten – ich habe nämlich tatsächlich ein Stück verbrochen. Und zweitens?«

»Sie müssen herausbringen, welcher Chauffeur den Doppelgänger des alten Herapath in der fraglichen Nacht zum Siedlungsbüro gefahren hat. Sicher existiert ein solcher Mann, und wenn wir den Verstand auf dem rechten Fleck haben, finden wir ihn auch heraus. Und wenn wir ihn zum Sprechen bringen können, kommen wir ein ganzes Stück weiter.«

»Es wird eine Geldfrage sein«, meinte Carver kurz.

»Geld spielt in diesem Fall keine Rolle«, erwiderte Triffitt zuversichtlich. »Wenn ich heute bei unserem Chef Glück habe, brauchen wir uns deshalb keine Sorgen zu machen. Jetzt wollen wir zur Fleet Street gehen. Heute abend treffe ich Sie im Klub – sagen wir einmal um sechs Uhr.« –

Als Triffitt in sein Büro kam, schrieb er an Stelle des Berichtes über das Begräbnis einen Brief an den Eigentümer und Chefredakteur seiner Zeitung und versiegelte ihn sorgfältig. Er brachte ihn gleich zu dem Privatsekretär des gefürchteten Mannes, und dieser sah ihn und das Schreiben verblüfft an.

»Ist das auch tatsächlich eine persönliche Angelegenheit?« fragte er argwöhnisch. »Sie wissen ganz gut, daß Mr. Marcledew mich nachher dafür verantwortlich macht, wenn das nicht stimmt.«

»Auf Ehre«, versicherte Triffitt. »Die Sache ist auch äußerst wichtig, und ich wäre Ihnen zu größtem Dank verpflichtet, wenn Sie ihm den Brief sofort geben möchten.«

Das ernste Gesicht des jungen Mannes überzeugte den Privatsekretär.

»Nun gut, ich werde ihn übergeben, sobald der Chef kommt.«

Triffitt machte sich nun wirklich an seine Arbeit. Er war erregt, aber in gehobener Stimmung. Es war unendlich schwer, eine Unterredung mit Marcledew zu bekommen, der nicht nur alleiniger Inhaber, sondern auch Chefredakteur und geschäftlicher Leiter der Zeitung war und seine Angestellten in strammer Zucht hielt. Seine knappen Instruktionen glichen eigentlich mehr militärischen Befehlen. Er war ein großer, schwergebauter Mann mit Gesichtszügen, die aus Granit hätten gemeißelt sein können. Wenn es jemand gelang, zu ihm vorzudringen, so kam er sich vor, als ob er zu einer Sphinx spräche. Wenn ihm aber jemand etwas wirklich Wertvolles brachte, wurde er für seine Mühe reichlich belohnt.

Zehn Minuten nach vier öffnete der Direktionsbote die Tür des Büros, in dem die Berichterstatter arbeiteten. Triffitt hatte seinen Artikel gerade beendet.

»Mr. Marcledew möchte Mr. Triffitt sprechen«, meldete der Junge.

Die anderen Reporter steckten die Köpfe zusammen und unterhielten sich über dieses unerhörte Ereignis, während Triffitt die Treppe in die Höhe stürmte und bald vor dem Zimmer des Allgewaltigen stand, der gerade mit seinem Privatsekretär verhandelte. So hatte er einige Minuten Zeit, wieder zu Atem zu kommen. Gleich darauf schickte Marcledew den Sekretär mit Schriftstücken fort, und wandte sich zu dem jungen Reporter um.

»Los! Was haben Sie?«

Triffitt erzählte seine Geschichte so knapp und präzis als möglich und sah dem Chefredakteur dabei kühn in die Augen. Ein paarmal blitzten die Augen des alten Herrn auf, und einmal nickte er sogar zustimmend. Und nach einer Viertelstunde war Triffitt weder abgewiesen noch hinausgeworfen, sondern hatte sein Anliegen voll und ganz vortragen können.

»Also gehen Sie der Sache weiter nach, ich bin mit Ihrem Plan einverstanden. Aber bringen Sie nichts in die Zeitung, was ich nicht vorher selbst begutachtet habe. Vor allem brauchen wir Tatsachen, keine Theorien! Warten Sie einen Augenblick.«

Er nahm zwei Bogen, schrieb auf jeden ein paar Zeilen, überreichte sie Triffitt und entließ ihn dann mit einem Kopfnicken.

»Wenn Sie mich sprechen wollen, sagen Sie es meinem Sekretär. Sie haben eine großartige Chance, junger Mann.«

In seiner freudigen Erregung hätte Triffitt auf den Teppich niederknien und Marcledews große Schuhe küssen mögen. Aber da er den Chefredakteur nur zu genau kannte, faßte er seinen ganzen Dank in zwei Worte und eine kurze Verbeugung zusammen und eilte hinaus. Er ging wie auf Wolken. Die Anweisungen des Chefs waren kurz, aber wertvoller, als ob sie mit Gold und Brillanten besetzt waren.

Der Nachrichtenredakteur war von Natur aus reizbar, und die tägliche unangenehme Berufsarbeit hatte seinen Charakter und sein Temperament nicht verbessert. Er sah ärgerlich auf Triffitt, als er auf ihn zukam, und zeigte auf einen noch feuchten Bürstenabzug.

»Sie haben wieder viel zu viel über das Herapath-Begräbnis geschrieben. Nehmen Sie das mit und streichen Sie ein Viertel davon.«

Statt jeder anderen Antwort überreichte ihm der Reporter das Schreiben von Marcledew, und der Redakteur las verwundert:

»Mr. Triffitt ist von seinen laufenden Arbeiten entbunden, um eine Aufgabe unter meiner persönlichen Leitung zu bearbeiten.

J. M.«

Der Mann starrte Triffitt an, als ob er plötzlich einen Glorienschein um ihn sähe.

»Was hat das zu bedeuten?« fragte er.

»Nun, ich meine doch, das wäre deutlich genug.«

Er wandte sich ab und ging fort, ohne sich im geringsten um den Bürstenabzug zu kümmern. Das war das erstemal, daß er den Nachrichtenredakteur hatte abfahren lassen können, und diese Erfahrung war süß und berauschend für ihn. Er trug den Kopf sehr hoch, als er zur Kasse ging und das andere Schreiben des Chefs präsentierte. Der Kassierer las mechanisch und geschäftsmäßig:

»Mr. Triffitt ist berechtigt, so viel Geld zu ziehen, als er zur Durchführung einer besonderen Aufgabe braucht. Er wird mir persönlich darüber Rechnung legen.

J. M.«

Der Kassenbeamte legte die schriftliche Mitteilung ruhig beiseite.

»Wollen Sie jetzt schon Geld haben?« fragte er gleichgültig. »Wieviel soll ich Ihnen auszahlen?«

»Noch nicht gleich«, entgegnete Triffitt. »Ich werde später wieder vorsprechen.«

Dann zog er seinen Mantel an und verabschiedete sich mit einem sphinxartigen Lächeln von seinen Kollegen, als er das Büro verließ, um Carver aufzusuchen.

 


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